Timmendorfer Unikat: Schuhmacher Manfred Grabow hört auf

60 Jahre ist Manfred Grabow mittlerweile im Beruf. Tausende Absätze hat der Schuhmacher erneuert, ebenso viele Sohlen getauscht, Sondermaße angefertigt, Lederschuhe, Lackpumps und Sandalen repariert – und jeden noch so individuellen Kundenwunsch erfüllt. Wenn viel zu tun war, hat er morgens um 5 Uhr angefangen und um 22 Uhr die Tür wieder abgeschlossen. So manchen Sonntag hat er nicht im heimischen Garten, sondern in seiner Werkstatt verbracht. Und das alles aus purer Leidenschaft. Grabow: „All das wird mir fehlen“: „Ich liebe meinen Job“, sagt der 76-Jährige voller Überzeugung. „Und das habe ich jeden Tag meines Lebens getan.“ Am Timmendorfer Platz betreibt er noch immer eine Schuhmacherei. Doch nun will er aufhören. Die Zeiten haben sich geändert, dazu kommen Umsatzverluste durch Corona und eben sein Alter. „Aber es wird nicht leicht“, sagt Grabow und blickt sich um. „All das wird mir sehr fehlen.“ Damit meint er nicht nur die Arbeit, sondern vor allem den Kontakt mit den Kunden. Wenn ein Kunde durch die Tür der kleinen Werkstatt blickt, begrüßt Manfred Grabow ihn direkt mit einem flotten Spruch. Viele kennt er seit Jahrzehnten. Der Kundenkontakt ist dem Schuhmacher das Wichtigste: Ein Mann hält ihm beispielsweise einen nagelneuen Schuh entgegen. In Sekundenschnelle zupft Manfred Grabow die Einlage aus dem Lederschuh und ersetzt sie durch eine Korkeinlage. „Das andere ist doch Quatsch, warum machen die Hersteller so was“, sagt er kopfschüttelnd und hält das dünne Original in die Luft. Kurz darauf bekommt er einen lindgrünen Damenschuh in die Hand gedrückt, dessen Lederverzierung kaputt ist. „Mein Hund hat darauf rumgebissen“, erklärt die Kundin schmunzelnd. Manfred Grabow zückt einen kleinen Zettel mit einer Nummer und sagt: „Kann in zwei Stunden wieder abgeholt werden.“ So kennen seine Kunden ihn. Nichts wird auf die lange Bank geschoben, alles sofort erledigt. „Das ist wichtig, abends muss immer alles ordentlich und fertig sein“, sagt er. Dann betritt eine Frau das Geschäft. „Je später der Tag, desto schöner die Gäste“, ruft Grabow und schmunzelt. Die Kundin schildert ihr Problem und der 76-Jährige setzt zu einer Erklärung an. Dann sagt die Kundin glücklich: „Wissen Sie was? Sie sind der einzige, der Verständnis für Füße hat.“ Auf einmal kontert der sonst so schlagfertige Schuhmacher nicht mit einem lockeren Spruch. Er nickt ruhig und es wirkt so, als hätte die Frau es auf den Punkt gebracht. Mit seiner Arbeit möchte Manfred Grabow Menschen helfen. Genau aus diesem Grund hat er sich als Jugendlicher für die Schuhmacherlehre entschieden. Grabow: 45 Mark gab es als Lehrlingsgehalt: Weil er als Kind bereits eine Beinprothese trug, hat sein Vater ihm einen Beruf in einer Schreibstube empfohlen. Doch der Jugendliche hatte schon viel Zeit bei Orthopäden verbracht, musste häufig mit seiner Prothese dort hin. „Dort habe ich mich immer wohlgefühlt, weil diese Menschen immer etwas Gutes für andere bewirkt haben.“ Das hat er fortan auch getan. Auch wenn das bedeutete, dass er im ersten Lehrjahr mit 45 Mark im Monat klar kommen musste. Nach der Ausbildung in Bad Schwartau übernahm er ein Geschäft in Timmendorfer Strand und machte an der Abendschule seinen Meister. In den 80er Jahren zog er an den Timmendorfer Platz. „Als ich vor zwölf Jahren ins Rentenalter kam, hab ich die Werkstatt deutlich verkleinert, ich wollte ja nur noch ein bisschen was um die Ohren haben“, erzählt der 76-Jährige. Lesen Sie auch: Eutiner Tischler-Lehrlinge sind begehrte Fachkräfte Schleswig-Holsteins beste Segelmacherin kommt aus Eutin Selbstständig auf zwei Rädern: Schrauber macht Leidenschaft zum Beruf Trotz Corona-Krise: Bei Ostholsteins Handwerkern geht die Arbeit weiter Nachfolger für Timmendorfer Schuhmacherei war nicht zu finden: Früher waren die Regale täglich bis oben hin mit Schuhen gefüllt. Heute warten dort etwa 15 Paare auf ihre Abholung. „Es sind nicht mehr viele bereit, Geld für teure Schuhe auszugeben“, sagt Manfred Grabow. Und wer einen billigen Schuh kauft, lässt den im Zweifel nicht mehr reparieren. Das Timmendorfer Publikum sei dankbar. Viele Einheimische und Zweitwohnungsbesitzer sind vor Ort, die Wert auf teure und gute Schuhe legen – und denen viel daran liegt, ihren geliebten Lederschuh im Zweifel 15 Mal neu besohlen zu lassen. „Das macht Spaß, aber es reicht trotzdem nicht mehr“, sagt Manfred Grabow. Einen Nachfolger hat er für seinen Laden nicht gefunden. „Leider“, sagt er seufzend. Nun hofft er zumindest für seine große Maschine, mit der er alle Arbeiten ausführt, einen Abnehmer zu finden. „Für jemanden der anfängt, wäre das ein Glücksgriff“, sagt der Schuhmacher. Manfred Grabow geht es nicht darum, die Maschine möglichst teuer zu verkaufen. Er wüsste sie gerne in guten Händen. Wenn die Maschine verkauft wird, dann ist sofort Schluss. Spätestens aber im Oktober werden die Türen für immer geschlossen. Kunden kommen aus ganz Deutschland her: Dann werden viele Timmendorfer, Hamburger, Travemünder oder Kieler vor der Tür stehen. In der Hand ihr bestes Paar Schuhe, das sie normalerweise bei Manfred Grabow abgeben. „Meine Kunden kommen von überall“, erzählt Manfred Grabow. „Viele sind übers Wochenende hier, bringen bei der Ankunft die Schuhe und holen sie vor der Abfahrt wieder ab.“ Einigen Kunden hat Manfred Grabow schon verraten, dass er bald aufhören will. „Die haben schon gesagt, dann müssen sie ja noch einmal schnell alle Schuhe bringen“, sagt er lachend. Von Maike Wegner