Tanken zum halben Preis: Wie ein Praktikant den Betrug aufzog

Einmal volltanken, aber nur für eine halbe Tankfüllung bezahlen. Dieses Angebot hat Andre F. (Name von der Redaktion geändert) vielen seiner Bekannten und Verwandten gemacht. Die griffen gern zu. Möglich gemacht hat es die Tankkarte eines Bauunternehmens in Timmendorfer Strand, bei dem Andre F. als Praktikant arbeitete. Die Masche brachte dem 21-jährigen Mann aus Ratekau eine Anklage wegen 136-fachen Computerbetrugs vor dem Lübecker Amtsgericht ein. Konkret wird Andre F. vorgeworfen, die Tankkarte der Praktikumsfirma zwischen Anfang und Ende Dezember 2019 etliche Male zu seinem eigenen Vorteil missbraucht zu haben. Dabei soll der Angeklagte Freunden und Bekannten, die wiederum Freunde und Bekannte informierten, angeboten haben, zum halben Preis tanken zu können. Bezahlt wurden die Tankfüllungen widerrechtlich mit der betrieblichen Tankkarte – insgesamt für rund 10 000 Euro. Die Hälfte des Betrags ließ sich der Angeklagte von den Nutznießern der illegalen Tankaktion in bar auszahlen und erschloss sich damit in den Augen des Richters „eine zusätzliche verlässliche Einnahmequelle.“ Vor Gericht legte Andre F. ein Geständnis ab. „Die Taten habe ich begangen, das war ich, das kann ich nicht abstreiten.“ Um das Geschäftsmodell zu verstehen, waren eine Reihe von Zeugen geladen. Unter anderem auch ein junger Mann, der mit dem Bruder des Angeklagten befreundet war und auf diesem Wege von der Tankmöglichkeit zum vermeintlichen Schnäppchenpreis erfahren hatte. Dieser Zeuge erklärte, dass der Angeklagte seine Kundschaft aufgerufen hatte, noch weitere Freunde und Bekannte zu informieren über das „Tanken zum halben Preis“. Sogar über soziale Medien soll der Angeklagte dafür geworben haben. Aus Sicht des Richters ist die Lage eindeutig: „Das ist gewerbsmäßiger Betrug. Sie wollten in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Leute zum Tanken bewegen, um möglichst viel Geld daran zu verdienen.“ Heiligabend Tankkarte über 20 Mal benutzt: Missbraucht wurde die Tankkarte an verschiedenen Tankstellen in der Region – unter anderem in Sereetz, in Bad Schwartau und in der Ziegelstraße in Lübeck. Den Schilderungen der Zeugen und auch des Angeklagten selbst zufolge habe Andre F. seine Kunden in einem verabredeten Zeitfenster an einer dieser Tankstellen empfangen, so dass dieselbe Tankkarte inklusive Pin an einem Abend durchaus auch mehrfach zum Bezahlen für mehrere Tankfüllungen genutzt wurde. Das bestätigt die Kartenabrechnung. Doch offenbar fiel an keiner Tankstelle einem Mitarbeiter diese Dauerbezahlung mit ein und derselben Karte auf. Nicht einmal, als ein Kunde sich einen großen 300-Liter-Extra-Container volltanken ließ und auch nicht an Heiligabend 2019, als Andre F. über 20 Mal am Abend in die Tankstelle kam, um jedes Mal für ein anderes Auto die Benzinrechnung zu begleichen. An den Angeklagten adressiert, erklärte der Richter: „Das ist schon stümperhaft von Ihnen, zu glauben, dass das keiner merkt.“ Aufgeflogen war der Betrug, als jemand intern in der Abrechnungsabteilung der Tankstellenkette über die Auffälligkeiten gestolpert war, die Karte sperrte und die Baufirma darüber informierte. Kein Schulabschluss, kein Beruf, keine Reue: „Ohne irgendetwas beschönigen zu wollen“, erklärte der Verteidiger von Andre F., „die Umstände haben es ihm leicht gemacht, den Betrug zu begehen.“ Und ohne eine konkrete Strafe zu benennen, plädierte der Rechtsanwalt Morten von Holdt, die Strafe auf Bewährung auszusetzen, „auch wenn ich weiß, dass die Trauben sehr hoch hängen“. Eine Bewährung war aber nicht mehr drin. Im Gegenteil: Mit seinem Urteil ging Strafrichter Bennien sogar deutlich über die Forderung der Staatsanwältin hinaus, die für eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten plädiert hatte. Sobald das Urteil gegen Andre F. rechtskräftig ist, erwartet ihn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten – und zwar ohne Bewährung. Urteil für einen Bewährungsversager: Ein Grund dafür ist, so erklärte es der Richter in seiner Urteilsbegründung an Andres F. gewandt, „dass Sie jetzt schon zweimal Bewährungsversager sind“. So hatte der 21-Jährige bereits eine Haftstrafe bis Ende Oktober 2019 abgesessen – bis kurz vor Begehung des groß angelegten Tankbetrugs. Sein Urteil begründete der Richter weiter damit, dass der Angeklagte ohne Schul- und Berufsabschluss, einem eher schlechten Verhältnis zu seiner Familie sowie keiner erkennbaren Reue bezüglich der eingeräumten Taten „auf der Positiv-Seite nicht viel zu vermelden hat“. Und dass das, was der Staat bereits getan habe, um Andre F. unter die Arme zu greifen, „nichts genutzt hat“. Lesen Sie auch: Unruhe in Stockelsdorf: Geht ein Brandstifter um? Weihnachtlicher Lichterglanz in Bad Schwartau Bad Schwartau hält trotz Corona an einem Weihnachtsmarkt fest Von Doreen Dankert

Vor Gericht: Betrug beim Tanken - Haftstrafe für Praktikant aus Ratekau