Wegen Corona: Mann aus Sereetz gesteht im Prozess, Sohn gewürgt zu haben

Die Tat erschütterte im April die Öffentlichkeit. Genauso erschütternd war auch der erste Prozesstag am Dienstag, 22. Dezember, im Lübecker Landgericht: Zwei Stunden lang berichtete der 37-jährige Angeklagte Lasse P. (alle Namen geändert), wie er am Morgen des 29. April dieses Jahres versucht hatte, seinen damals 14 Monate alten Sohn Johannes zu töten. Er habe versucht, das Kind mit seinen Händen zu erwürgen. Anschließend versuchte Lasse P., sich das Leben zu nehmen. Seinen damaligen Zustand und die Tat begründete der Angeklagte mit zunehmenden psychischen Problemen, ausgelöst durch die Corona-Krise. Angeklagter: Da ist mir eine Sicherung durchgebrannt: Lasse P. hielt in seiner langen, immer wieder von Weinen unterbrochenen Aussage mit nichts hinter dem Berg. An jenem Tag nach Ostern seien er und seine Frau wie immer früh aufgestanden, bevor sie zur Arbeit fuhr. Lasse P. hatte Elternzeit genommen und betreute den gemeinsamen Sohn. Der habe an diesem Morgen aber gequengelt und nicht aufgehört zu weinen. „Ich wusste nicht warum“, gestand der Vater. „Da muss bei mir eine Sicherung durchgebrannt sein.“ Lesen Sie auch Mordversuch in Sereetz: Vater wollte seinen Sohn (1) töten. Detailliert schilderte er der für Tötungsdelikte zuständigen I. Großen Strafkammer, was dann passierte: „Da habe ich ihn mit beiden Händen an der Gurgel gepackt und zugedrückt.“ Das habe vielleicht eine halbe Minute gedauert. Johannes habe aufgehört zu schreien und die Augen verdreht. Dann seien Blasen aus seinem Mund gekommen. Suizidversuch auf der Autobahn: Lasse P. ließ seinen in seinen Augen leblosen Sohn zurück, griff sich die Autoschlüssel und fuhr auf die A 1 in Richtung Norden. „Ich habe gedacht: Ich habe mein Kind getötet, ich will auch nicht mehr leben.“ Er habe den Sicherheitsgurt gelöst und sei auf den Betonpfeiler einer Brücke zugerast. „Das ist das letzte Bild, das ich vor Augen habe.“ Dass er anschließend noch über die Mittelleitplanke kletterte und dort vor ein Auto lief, wisse er nicht aus eigener Erinnerung. Es folgten wochenlange Krankenhausaufenthalte und etliche Operationen. Auch sein Sohn überlebte, nach jetzigem Stand ohne Spätschäden. Am Unfallort hatte Lasse P. den Ersthelfern gesagt, er habe sein Kind getötet. Daraufhin suchten Polizeibeamte das Haus der Familie auf und fanden Johannes, der erhebliche Gesichtsverletzungen erlitten hatte. Wie diese zustande kamen, ließ sich am ersten Verhandlungstag nicht endgültig klären. Der Lockdown raubte ihm die Geduld: Lasse P. kann sich aber sehr wohl daran erinnern, wie er in die Situation geriet, so eine Tat zu begehen. Wortreich und präzise legte der gebildet sprechende Mann dar, wie es zu der Eskalation im Kinderzimmer gekommen war. Es war der Lockdown im März, der dazu führte, dass er immer mehr Probleme bekam. „Ich wurde immer dünnhäutiger, bis ich bemerkt habe: Ich kann nicht mehr.“ Sein komplettes Sozialleben sei auf einen Schlag zusammengebrochen. „Es gab niemanden mehr, mit dem ich mich treffen konnte, und keine anderen Kinder, mit denen mein Sohn spielen konnte. Ich wusste nicht, wie ich den Tag gestalten sollte.“ Es habe ihn verrückt gemacht, dass er nicht mehr mit seinem Sohn raus konnte auf den Spielplatz, in die Krabbelgruppe, zum Babyschwimmen. „Wahrscheinlich hat es mir mehr gefehlt als meinem Sohn“, fügte Lasse P. vor Gericht hellsichtig hinzu. Anonymes Gesprächs- und Beratungsangebot für Menschen in Not und Krisen: Kirchliche Telefonseelsorge, Tel. 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 oder unter www.telefonseelsorge.de Kostenlose Beratung zur Wahl des geeigneten Therapeuten: Psychotherapie-Informations-Dienst, Tel. 030/20916 63 30, www.psychotherapiesuche.de Informationen für Betroffene und Angehörige: Stiftung Deutsche Depressionshilfe: www.deutsche-depressionshilfe.de ; Deutschlandweites Info-Telefon: 0800 33 44 5 33. Kinder- und Jugendsorgentelefon: 0800-1110333 Er war noch so klug, sich Hilfe zu suchen. Mit gepackter Tasche habe er eineinhalb Wochen vor der Tat in der psychiatrischen Notfallambulanz der Uniklinik vorgesprochen, um sich einweisen zu lassen. Doch dort habe man ihm nur Medikamente gegeben, die starke Nebenwirkungen hatten, so dass er sie wieder absetzte. Am Tag und am Morgen vor der Tat hatte Lasse P. im Internet nach Suizidmöglichkeiten gegoogelt. Das entdeckte die Polizei später beim Auswerten seines Computers und das sagte der Angeklagte am Dienstag auch vor Gericht aus. Alle Symptome der damaligen Zeit seien nicht mehr da, berichtete auf Nachfrage, er habe keine nervösen Angstzustände, keine Schlafprobleme mehr. Noch vier weitere Verhandlungstage: Lasse P., der bis heute als Folge seines Selbstmordversuchs auf der Autobahn noch nicht wieder ohne Krücken laufen kann, hat seine Geschichte in allen Details erzählt. Wie diese Tat zu bewerten und zu bestrafen ist, wird das Gericht in den kommenden vier Verhandlungstagen herausfinden. 18 Zeugen sollen noch gehört werden, eine Gerichtsmedizinerin und eine forensisch-psychiatrische Sachverständige ihre Gutachten abgeben. Lasse P. will nur eins, wie er gegen Ende seines Geständnisses sagte: „Ich möchte wieder für meine Familie da sein.“ Der Prozess wird am Donnerstag, 7. Januar, fortgesetzt. Von Susanne Peyronnet