Weißer Ring: Mehr häusliche Gewalt in Ostholstein seit Corona

Deutlich mehr Opfer von Kriminalität haben im vergangenen Jahr Hilfe vom Weißen Ring Ostholstein bekommen: Ihre Zahl ist um 42 Prozent gestiegen. Dazu habe auch die Pandemie beigetragen, sagt der Leiter der Hilfsorganisation im Kreis. Kriminelle machten sich unter anderem die Maskenpflicht zunutze, und zugleich habe sich die Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt erhöht. „Neue Kriminalitätsphänomene“ in der Pandemie: „Das kriminelle Milieu hat leider äußerst schnell auf die Pandemieumstände reagiert“, sagt Holger Dabelstein, Leiter der Außenstelle Ostholstein des Weißen Rings. 109 Opferfälle haben die acht ehrenamtlichen Mitarbeiter der Hilfsorganisation im Jahr 2020 im Kreis betreut. Das sind 46 mehr als im Vorjahr, als die Zahl noch bei 63 Fällen lag. Dabei seien auch „neue Kriminalitätsphänomene kreiert“ worden. So seien einige Täter als angebliche Handwerker, mit Mund-Nasen-Schutz gut getarnt, in Wohnungen gekommen, indem sie vorgaben, Wasserschäden reparieren zu wollen. „Dabei haben sie in einem Fall das körperlich eingeschränkte Opfer geschlagen und mit einer Schusswaffe bedroht“, berichtet Holger Dabelstein. In einem anderen Fall hat ein Täter ein Timmendorfer Juweliergeschäft überfallen – ebenfalls mit Mund-Nasen-Schutz maskiert, was ihm allerdings insofern nichts nützte, als dass er noch am Tatort festgenommen wurde. Warnung vor „Corona-Betrugsmaschen“: Zudem hätten Betrüger den Masken-Handel für sich entdeckt, schildert Holger Dabelstein, gerade in Bezug auf die FFP2-Masken, „weil diese rar und teuer waren“. Sie wurden per Internet angeboten, die angeblichen Verkäufer kassierten, lieferten aber nicht. Vor derlei „Corona-Betrugsmaschen“ warnte der Weiße Ring auch auf seiner Internetseite. Große Sorge bereitet Holger Dabelstein der Anstieg der häuslichen Gewalt, „gerade in Zeiten häuslicher Isolation, häufig einhergehend mit zunehmender wirtschaftlicher und psychischer Belastung“. Hatten die Mitarbeiter des Weißen Rings in Ostholstein 2019 noch sechs Fälle in diesem Bereich zu verzeichnen, verdoppelte sich die Zahl 2020 auf zwölf Fälle. Unter anderem zögen einige Frauen aufgrund der Pandemie-Bedingungen einen Schlussstrich unter einer von Gewalt geprägten Partnerschaft, vermutet er, weshalb der Beratungsbedarf gestiegen sei. Außerdem gibt es eine bundesweite Kampagne unter dem Titel „Schweigen macht schutzlos – mach dich laut“. Auch der Bundesverband des Weißen Rings hat bereits auf die Zunahme häuslicher Gewalt in der Corona-Krise hingewiesen. Lesen Sie auch Corona: Weißer Ring warnt vor Betrugsmaschen Weißer Ring: App soll Stalkern das Handwerk legen Corona-Krise: Opferschützer vom Weißen Ring kritisieren Politik scharf Steigende Tendenz auch bei den Stalking-Fällen: Insgesamt leisteten die Helfer in Ostholstein im vergangenen Jahr 3145 Stunden ehrenamtliche Arbeit, zu der 72 Beratungen und Begleitungen von Opfern gehörten. Zwölf von ihnen zählten zu den Stalking-Fällen, bei denen ebenfalls eine steigende Tendenz zu verzeichnen sei. „Selbst nach Jahren der Trennung gibt es Versuche, das Leben der ehemaligen Partnerin oder des ehemaligen Partners zu zerstören“, schildert der Außenstellen-Leiter. „In der Wahl der Mittel gibt es scheinbar keine Grenzen: Gewalt, Bedrohung, Verleumdung, Strafanzeige, Nötigung.“ Holger Dabelstein verweist in diesem Zusammenhang auf die „NoStalkApp“ des Weißen Rings, mit der Betroffene Beweise wie Fotos oder Handy-Nachrichten sammeln können. Die Mehrheit der vom Weißen Ring in Ostholstein betreuten Opfer sind weiterhin Frauen und Mädchen mit 68 Prozent, wobei 2020 allein 20 von ihnen Opfer von Sexualdelikten wurden. Mit über 8000 Euro unterstützte der Verein zudem einige der Hilfesuchenden in Ostholstein. Ein Beispiel ist eine junge Frau aus Italien, die nach einer sexuellen Belästigung wohnungslos wurde und ohne Geld dastand. Der Weiße Ring stattete sie mit Bargeld als Soforthilfe für die Heimreise aus. „Da sie erst vor wenigen Tagen aus dem Corona-Hotspot Italien eingereist war, galt es, sich besonders vor Ansteckung zu schützen“, berichtet Holger Dabelstein. Generell habe die Pandemie die Mitarbeiter des Weißen Rings vor einige Herausforderungen gestellt, galt es doch, „Abstandsregeln und Kontaktbeschränkungen auch in der Opferarbeit zu beachten“. Hauptsächlich setzten sie dabei auf telefonische Beratung und digitale Angebote. „Zu 90 Prozent haben wir die Arbeit telefonisch abgewickelt“, sagt Holger Dabelstein, „und ab und zu eben vor Ort Hilfen ausgehändigt“. Gesucht werde noch ein Ehrenamtler oder eine Ehrenamtlerin für den Bereich Heiligenhafen/Großenbrode. Informationen dazu sowie zur Opferhilfe gibt es unter Telefon 0151/55164750 sowie auf der Internetseite www.ostholstein-schleswig-holstein.weisser-ring.de. Von Sabine Latzel