Winzer auf Fehmarn: Weinlese an der Ostsee

Schwer hängen die dunklen, reifen Trauben an den Zweigen. Thomas Pinçon greift zur Schere, schneidet ein paar Exemplare ab, probiert. „Die schmecken wunderbar. Die letzten Tage haben ihnen gutgetan“, sagt er. Nach vier Jahren hat der Hamburger Gastronom mit Wein-Leidenschaft den Dreh raus. Er weiß, welche Sorten auf der Insel Fehmarn gut wachsen und hat tierische Feinde kennengelernt. Im nächsten Jahr plant er mit seinem Partner – dem Blieschendorfer Landwirt Joachim Witt – die Anbaufläche zu verdoppeln. Der Wein soll im März 2021 trinkfertig sein: Doch jetzt ist erst einmal Erntezeit. Tausende Trauben müssen gepflückt und weiter verarbeitet werden. Läuft alles glatt, gibt es im März trinkfertigen Weiß- und Rotwein mit dem Namen Sund. Für Pinçon, der 1966 in Frankreich, genauer gesagt in der Bretagne geboren wurde, ist der Anbau Experiment, Projekt und Leidenschaft zugleich: Seit mehr als 20 Jahren sammelt er, der französischer Söldner war, ein Sicherheitsunternehmen hatte und seit März 2019 das Hamburger Café des Artistes im Thalia-Theater betreibt, Weine. Kein Wunder: „Mein Vater hatte eine Kochschule. Ich hatte schon früh mit der Gastronomie zu tun“, erinnert sich Thomas Pinçon. Den Wunsch, Wein anzubauen, erklärt er wie folgt: „Ich wollte verstehen, wie der Wein in die Flaschen gelangt. Wein ist so vielfältig“, schwärmt er. Sein Vorhaben, ein Weingut in Frankreich oder an der Mosel zu pachten, scheiterte. Stattdessen lernte Pinçon, der seit rund 20 Jahren auf Fehmarn Urlaub macht, Joachim Witt kennen. „Er wollte gerne etwas Neues ausprobieren und dann haben wir losgelegt“, sagt Pinçon. Das Gutachten einer freien Fläche, deren genauen Standort er nicht verraten möchte, habe ergeben, dass der fehmarnsche Boden sich für Weinpflanzen eignet. Starker Wind auf Fehmarn ist Freund und Feind der Rebstöcke: Los ging es mit zwölf Sorten, verteilt auf zwei Hektar. Ziel war es, auch mit Hilfe von befreundeten Winzern, herauszufinden, welche Sorten mit den Bedingungen auf der Insel am besten klarkommen. Zudem musste und muss der mitunter kräftige Wind beachtet werden: „Wir haben die Rebstöcke relativ dicht aneinander gepflanzt, damit sie sich gegenseitig stützen können und nicht im Wachstum brechen“, erläutert Thomas Pinçon. Jedoch sei die steife Brise auch ein Vorteil, da sie die Pflanzen trockne. Ebenso positiv ist die große Zahl an Sonnenstunden. „Wir brauchen die Sonne für die Photosynthese“, betont er. Weinbauern sind in Schleswig-Holstein selten: 2018 erhielt das Duo schließlich Rebpflanzrecht. Damit gehören die Weinbauern zu 18 Firmen und Privatpersonen in Schleswig-Holstein, die sich mit den Früchten beschäftigen. Laut Verbraucherschutzministerium gibt es Genehmigungen für rund 40 Hektar, wobei derzeit auf lediglich 28 Hektar Wein wächst. In allen anderen Bundesländern findet der Anbau auf mehr als 103 000 Hektar statt. Solaris, Weißburgunder und Rondo: Sowohl von riesigen Flächen als auch von Tausenden Flaschen Wein pro Jahr sind die Winzer weit entfernt. Jedoch ist nach den ersten Erntejahren klar, dass die Rebsorten Solaris und Weißburgunder einen ordentlichen, schmackhaften und ausreichend natürlichen Zucker (Oechsle) enthaltenen Weißwein ermöglichen. „Auch bauen wir die Rotweinsorte Rondo an. Vielleicht machen wir daraus einen Rosé. Wir sind ja noch in der Probierphase“, verdeutlicht Pinçon. Wer einen Schluck vom Sund probieren möchte, muss Glück haben. Bislang gibt es die Weine nur im Café des Artistes. „Ich lasse die Menschen den Wein in meinem Restaurant probieren. Wir haben auch einen roten Wermut gemacht“, führt er aus. Vögel fressen kiloweise Trauben: Wichtig ist dem Gastronom, dass seine Weinpflanzen biodynamisch angebaut werden. „Wir machen das aus Überzeugung. Wir müssen keine Pestizide spritzen, auch wenn das mehr Arbeit ist“, sagt er. Zudem würden die Rebstöcke mit Tees besprüht. Dies soll Mehltau (schädliche Pilze) bekämpfen. Weitere Feinde, jedoch tierischer Art, versuchen die Weinbauern mithilfe von Zäunen und Netzen fernzuhalten. Kaninchen, Rehe und Vögel sollen Pflanzen und Früchte möglichst nicht erreichen können. „Das klappt nicht immer. Als wir mal einen Tag zu spät waren mit unseren Netzen, hatten Vögel rund 100 Kilo Trauben weggegessen“, erzählt Thomas Pinçon. Dennoch ist die Zahl der reifen Früchte so hoch, dass ein 300 Liter fassendes Eichenfass bald zum Einsatz kommen kann – für den Wein von der Insel Fehmarn. Lesen Sie auch Hamburger Top-Gastronom wird Winzer auf Fehmarn Malkwitz: In diesen Bergen wächst nicht nur Wein Großenbrode bekommt ein Hotel mit Schwimmbad und Spa Von Sebastian Rosenkötter