Bad Segeberg: Das Schicksal des von Neonazis getöteten Obdachlosen Friedrich Maßling

Es geschah am 29. März 1993. Der Obdachlose Friedrich Maßling (58) wurde in den späten Abendstunden in der abgelegenen Bad Segeberger Obdachlosenunterkunft „Villa Menke“ von dem damals 19-jährigen Neonazi Bernd T. und dessen älteren Cousin über Stunden malträtiert. Wenige Tage später, am 3. April, stirbt Maßling im Krankenhaus an den schweren Kopfverletzungen. Jetzt fordert die Initiative „ Bad Segeberg bleibt bunt “ die Stadtvertreter und Bürgermeister Dieter Schönfeld auf, den Gustav-Frenssen-Weg in „Friedrich-Maßling-Weg“ umzubenennen. Villa Menke wurde vor Jahren abgerissen: In der Stadtvertretung gab es bislang – trotz der Einwände des Seniorenbeirates – eine breite Zustimmung für die Umbenennung der Straße. Sie ist noch nach dem Heimatdichter Frenssen (1863 bis 1945) benannt, der einst fanatischer Anhänger von Adolf Hitler gewesen war. Es gibt reichlich menschenverachtende Aussagen des „fanatischen Nationalsozialisten“, die die antisemitische und rassistische Haltung von Frenssen belegen. Da liege es doch nahe, den Weg nicht mehr einem Nazi-Dichter, sondern einem Nazi-Opfer zu widmen, meinen Vertreter der Initiative „Bad Segeberg bleibt bunt“. Der Tatort, wo Friedrich Maßling zu Tode gequält wurde, die völlig verwahrloste „Villa Menke“ wurde vor Jahren abgerissen. Davon ist nichts mehr über. Die Tat erregte damals kaum öffentliche Aufmerksamkeit. Es schien eine Gewalttat im Obdachlosen-Milieu gewesen zu sein, war den Behörden kaum eine Meldung wert. Erst später stellten sich die rechtsextremen Tatmotive heraus. Der Name des Mannes und die Tatumstände wurden nach beinahe 30 Jahren aus dem Vergessen gerissen und durch ein Forschungsprojekt der ZEIT und des Tagesspiegels offen gelegt. Ein Dokumentationsprojekt von „Zeit-Online“ hat seit 2010 in einer Langzeit-Recherche nach den 187 Todesopfern rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung gefragt und dokumentiert alle Opfer und Täter. Danach haben „rechtsmotivierte Gewalttäter“ zwischen 1990 und 2020 in Deutschland mindestens 187 Menschen getötet, berichtet Zeit-Online. Doch in den offiziellen Statistiken der Sicherheitsbehörden tauchten nur 109 von ihnen auf. Die Dokumentation aller Namen und Fälle solle „den Opfern ein Gesicht geben und zeigen, dass sie nicht Opfer gewöhnlicher Kriminalität“ wurden. Hunderte Lokalzeitungsartikel und Gerichtsurteile seien dafür gesichtet, monatelang Opferberatungsstellen und Hinterbliebene, Anwälte und Strafverfolgerinnen befragt worden. Aufgenommen wurden nur Fälle, bei denen die politische Motivation der Täter als sicher gelten kann, teilen die Autoren der Dokumentation mit. Die Rechercheure des Projektes bemerken in ihrer Studie, dass sich Rechtsradikale oft als Angriffsziele Obdachlose und sozial am Rande stehende Menschen als Opfer aussuchen. Auch Polizei und Justiz hätten damals diese Fälle mit diesem Hintergrund oft nicht wahrgenommen. Friedrich Maßling wurde von einem Bad Segeberger, dem damals 19jährigen Bernd T., zu Tode misshandelt. Der Täter lebt heute wieder in Bad Segeberg – „in seinem Umfeld sind erneut schwere Gewalttaten aufgetreten“, teilt die Initiative „Bad Segeberg bleibt bunt“ mit. Es sei „zutiefst beschämend, dass es so lange Zeit erforderte, um den Namen und die Begleitumstände der rechtsradikalen Tat zu ermitteln“. Daher fordert die Initiative, die nach eigenen Angaben rund 60 Anhänger hat, die Stadtpolitik nun auf: „Stellen Sie sich dieser unangenehmen Seite der Bad Segeberger Geschichte, und setzen Sie ein Zeichen gegen Rechtsradikalismus!“ Sie schlugen mit Fäusten, Stuhlbein und Stange auf ihn ein: Nach Recherchen von Zeit-Online war Friedrich Maßling erst am Tattag in die „Villa Menke“ eingezogen, in der seine beiden Angreifer schon seit Wochen lebten. Mit den Worten „Lass mal den Penner aufmischen“, seien die Neonazis in das dort so genannte „Pennerzimmer“ eingedrungen. Sie „schlugen mit Fäusten, einem Stuhlbein und der Fahnenstange einer Flagge der neonazistischen Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP) auf ihr Opfer ein“. Im Prozess vor dem Landgericht Flensburg habe sich herausgestellt, dass der offen als Neonazi-Skin posierende Bernd T. am Morgen nach dem Angriff sein schwer verletztes Opfer aufgefordert hatte, das verwüstete Zimmer wieder herzurichten und sein Blut wegzuwischen, denn er habe sich „für die Ordnung im Haus mitverantwortlich gefühlt“. Das Landgericht Flensburg verurteilte den gebürtigen Bad Segeberger T. wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu einer dreieinhalbjährigen Jugendstrafe; sein erwachsener Cousin erhielt drei Jahre Haft. Nach seiner Haftentlassung wird Bernd T. zu einem bundesweit bekannten Neonazi, einem Intensivtäter, der seit einem Jahr wieder in Bad Segeberg aktiv ist. Sollte die Stadt die Schilder mit dem Namen Gustav Frenssen entfernen und dafür den Weg in der Südstadt nach dem Gewaltopfer dieses Mannes in Friedrich-Maßling-Weg umbenennen? Bad Segebergs Bürgermeister Dieter Schönfeld ist da skeptisch. Es sei für ihn „problematisch“ Opfer von Gewalttaten mit Straßennamen zu ehren. „Ich kenne dafür auch kein Beispiel.“ In dem Viertel der Südstadt würden bislang auch nur Dichternamen verwendet. Er plädiere dafür, in diesem Rahmen zu bleiben. Der Ältestenrat der Stadt habe eine Namensänderung vorgeschlagen. Die Anlieger der Straße sollen dazu in einer Versammlung noch gehört werden. Es könne jeder Vorschläge machen, aber das Recht Straßennamen zu vergeben habe ausschließlich die Stadtvertretung. Von Wolfgang Glombik