Bad Segeberg: Extinction Rebellion im Rathaus: Viele Fakten, wenig Konkretes

Eigentlich ist es ganz einfach: Die Segeberger Landwirte schaffen ihre Biogasanlagen ab, die A 20 wird nicht weitergebaut, alle öffentlichen Gebäude im Kreis bekommen Solaranlagen aufs Dach. Und die Felder noch ein paar Windräder mehr. Es werden keine Einfamilienhäuser mehr gebaut, jeder verkleinert seinen Wohnraum und es entstehen keine neuen Gewerbegebiete. Die Radwege werden ausgebaut und jeder fährt Bus. Statt Auto. Fertig ist der Klimaschutz. Das waren jedenfalls Appelle, Wünsche und Vorschläge, die Einheimische am Montag im Rathaus heraushören konnten. Mitglieder von Extinction Rebellion, die – gern provokant – rasche Maßnahmen gegen den Klimawandel fordern, hatten zu Fachvorträgen geladen. „Je drastischer die Maßnahmen, desto besser die Ergebnisse“, hieß es etwa. Jedoch ging es vielfach um Millionen und Trillionen, ferne Korallenriffe, Dax-Konzerne, alte Männer als Entscheider und all das Schlimme, das die Menschen durch den Klimawandel erwartet. Was ein Segeberger konkret tun kann, da blieben Fragen offen. Greenpeace: „Kohle steckt auch in Segeberger Strom“: Einzig Studentin Selina Vogt, die sich bei Greenpeace in Lübeck engagiert, holte die Segeberger auch vor ihrer Haustür ab. „Kohle hat auch Anteil im Segeberger Strommix. In Schleswig-Holstein kommt die erneuerbare Energie vor allem aus Windkraft und Biogas. Doch Biogas ist leider auch nicht so sauber, weil die Anlagen vor allem mit Mais betrieben werden. Und der laugt die Böden aus.“ Sie sprach die Bürger ganz direkt an: „Segeberger, setzt mehr auf Windkraft und Energie aus der Sonne!“ Solaranlagen auf öffentlichen und Wirtschaftsgebäuden seien ein guter Anfang. Auch bei den vielen Einzelhäusern der Region würde sich das lohnen. Weiterer Vorschlag: sichere Radwege. Und die auch nutzen. „53 Prozent der Segeberger sind nie mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Rad unterwegs“, so Vogt. „Dabei könnte Mobilität so günstig sein.“ Sie lobte die Region als Vorreiter – mit Klimaberichten, Klimanotstand, als Mitglied im Netzwerk Klima-Bündnis. „Ihr seid so vielen Städten so weit voraus. Bitte nutzt das Potenzial.“ BUND: „Andauerndes Wachstum ist nicht möglich“: Leise Kritik am Rande blieb nicht aus: „Die jungen Menschen sind noch nicht im Leben angekommen. Im Studium oder Ausbildung erhalten sie Transferleistungen. Ihre Vorschläge sollen sie mal einem Industriemechaniker oder Betroffenen anderer Berufszweige unterbreiten, die eine Familie zu ernähren haben“, sagte ein Teilnehmer. Doch eines haben die Referenten im Bürgersaal gemeinsam: Sie engagieren sich. Und wollen mit dem, was sie wissen, auch andere dazu bewegen. „Eine Änderung wird kommen, ob es uns gefällt oder nicht“, zitierte etwa Wolfgang Lührsen vom Bund für Umwelt und Naturschutz (Bund) die Aktivistin Greta Thunberg. Er mahnte vor allem dazu, sich zu beschränken. „Andauerndes Wachstum ist nicht möglich. Den Konsum einzuschränken ist unumgänglich.“ Verkehr und Energie im Fokus: „Es wird immer schwieriger werden, sich den extremen Wetterlagen anzupassen“, fasste Tobias Bayr, Meteorologe am Kieler Geomar-Institut für Ozeanforschung, per Videosequenz zusammen. „Statt Klimaschutz muss man eher von Menschheitsschutz sprechen.“ Seine zentrale Botschaft: beim Klimaschutz schneller werden. „Verkehr und Energie sind die größten Sektoren, um die es geht“, so der Wissenschaftler. Es seien aber auch jene, an denen am schnellsten zu drehen sei. Auch auf lokaler Ebene. Bayr ermunterte dazu, es den Dänen nachzumachen. „Kopenhagen will bis 2025 klimaneutral werden. Und die schaffen das auch.“ Der feine Unterschied: Die Skandinavier hätten Zukunftslust. „Sie priorisieren den Radverkehr, den Ausbau der Windkraft und Fernwärme aus Holzkraftwerken. Sie gehen das mit Pioniergeist und Begeisterung an.“ Er wünscht sich, dass Kiel mit seiner Nähe zu Skandinavien als Leuchtturm für Deutschland vorangeht. Zum Thema „Klimakatastrophe stoppen“ gibt es am Donnerstag, 15. Oktober, einen weiteren Termin. Um 18.30 Uhr kommen die Referenten erneut zusammen, diesmal auf der Rennkoppel im oberen, überdachten Bereich der Tribüne. Es wird ebenfalls um Anmeldung gebeten. Es gibt alkoholfreien Punsch, Tee, Fackeln und Musikvideos für die Gemütlichkeit. Wer möchte, kann eigene Decken mitbringen. Anmeldung ist per Mail an segeberg@extinctionrebellion.de oder unter Telefon 045 20/59 98 82 oder 0174/5 76 15 09 möglich. „Das war keine verdauliche Kost“, sagte Bad Segebergs Bürgermeister Dieter Schönfeld (SPD) nach den faktenreichen Vorträgen. „Wir müssen alle gemeinsam darüber nachdenken, ob wir richtig aufgestellt sind. Und wie wir die Lehren in unser praktisches Leben übertragen können.“ Klar sei für ihn aber auch, nachdem er in der vergangenen Woche bereits einen anderen Vortrag zu „Klimawandel und Landwirtschaft“ gehört hatte: Das Verbraucherverhalten trägt massiv zum Problem bei. Denn Landwirte produzieren nur die Lebensmittel, die verbraucht – und vielfach auch wieder vernichtet werden. „Der Mut zur Veränderung muss auch bedeuten, den Mut auf andere Bürger zu übertragen. Alle Mühe muss darauf ausgerichtet sein, weitere Menschen damit zu erreichen“, so Schönfeld. Von Irene Burow