Fast zwei Jahre vermisst: Battal Karabulut glaubt, dass sein Sohn lebt

Im Kreis Segeberg hat zuletzt wohl kein Ereignis für mehr Aufsehen gesorgt, als das mysteriöse Verschwinden von Baris Karabulut. Und die Suche nach ihm: Drohnen, Hubschrauber oder Taucher, Spürhunde und Einsatzhundertschaft mit Spaten – vor allem im Sommer 2020 scheut die Kieler Mordkommission keine Mühen. Da ist der junge Mann schon seit über einem Jahr verschwunden. Im März 2019 verliert sich seine Spur. Die Ermittler gehen von einem Tötungsdelikt aus. Die Großaufgebote der Einsatzkräfte nach so langer Zeit hatten in den sozialen Netzwerken Fragen aufgeworfen. „Erst jetzt?“, fragt etwa jemand. Zwischenzeitlich wurde die Ermittlungsgruppe der Kripo in Bad Segeberg sogar aufgelöst. Neue Hinweise ergeben sich erst 2020. Die Mordkommission in Kiel übernimmt, federführend ist die Staatsanwaltschaft. Gefahndet wird öffentlich. Mehrmals. Zahlreiche Medien berichten. Alles wird neu aufgerollt. Eine heiße Spur verliert sich aber offenbar wieder: Zwar wird ein Tatverdächtiger ermittelt, festgenommen wird er jedoch nicht. Die Ergebnisse sind bisher ernüchternd, zumindest in der Öffentlichkeit ist es ruhig um den Fall geworden. Enorme Reichweite durch Medien und Netzwerke: „Immer noch kein Lebenszeichen?“, fragt eine Nutzerin vor wenigen Tagen in der Facebook-Gruppe „Findet Baris“, der mittlerweile rund 630 Personen folgen. Der Kommentar steht unter dem letzten Eintrag, veröffentlicht am ersten Weihnachtsfeiertag. Immer noch kein Lebenszeichen. Baris Karabulut bleibt verschwunden. Bis heute. „Als Muslime feiern wir kein Weihnachten. Aber wir haben viele deutsche Freunde und nehmen trotzdem Anteil an diesem Brauch“, sagt sein Vater Battal Karabulut. Er hat türkische Wurzeln, lebt aber seit 40 Jahren in der Bundesrepublik. Es ist erneut ein Weihnachten ohne Baris. „Er wäre jetzt 34 Jahre alt“, sagt er. Im März 2021 jährt sich der Tag, an dem er seinen Sohn zuletzt sah, zum zweiten Mal. Posted by Battal Karabulut on Wednesday, August 19, 2020 Mordkommission ermittelt weiter: Tausende Male seien Videos, Aufrufe, Presseberichte geteilt worden. „Jede Hilfe hat nichts geholfen“, bedauert der Bad Bramstedter. „Aber Polizei und Presse haben sich wirklich Mühe gegeben. Ich kann mich nicht beschweren“, sagt er. „Aber ich habe den Eindruck, die Beamten wollen aufhören. Sie suchen nicht mehr.“ Die Ermittlungsgruppe bestehe jedoch weiterhin, teilt die Mordkommission in Kiel auf Nachfrage mit. Doch in der Tat gibt es im Dezember nichts Neues in dem mysteriösen Fall. Und so wird auch der Kontakt zu den Ermittlern weniger. „Es gibt keine neuen Informationen. Sie sagen, er liegt irgendwo begraben. Er sei zu 99 Prozent tot“, sagt Karabulut. Daran glauben will er jedoch nicht. Solange es keinen Nachweis gibt, bleibt die Hoffnung. Wahrsager und Imame würden ihm erklären, dass es lohne, daran festzuhalten. „Alle sagen, er lebt. Aber wo, das weiß kein Mensch.“ So etwas zu hören, beruhigt ihn, sagt er. 17. März 2019: Die Eltern sehen den Sohn zum letzten Mal in Bad Bramstedt. 18. März: Baris verlässt gegen 9 Uhr die Wohnung seiner Freundin in Seevetal und trifft sich zwischen 13 und 16 Uhr mit diversen Freunden – in Norderstedt, Bad Segeberg und Leezen. Laut Polizei wurde er um 17 Uhr das letzte Mal in Bad Segeberg gesehen. 19. März: Die Familie ortet das Handy und findet den schwarzen Golf am Nehmser See. Tagelang sucht die Polizei den Nehmser See und die Umgebung ab. 18. April: Die Polizei beginnt mit der öffentlichen Fahndung, gibt Fotos und Details des Mannes bekannt. Die Kriminalpolizei schließt ein Verbrechen nicht aus. September: Die Sonderkommission „Baris“ in Bad Segeberg wird aufgelöst. Angehörige suchen weiter. 28. Februar 2020: Die Staatsanwaltschaft Kiel lobt 5000 Euro Belohnung aus. 19. Juni: Überraschend kommt wieder Bewegung in den Fall: Für die Mordkommission des Landeskriminalamtes und die Staatsanwaltschaft in Kiel kristallisiert sich heraus, „dass der Mann Opfer eines Tötungsdelikts geworden sein dürfte“. Per Zeugenaufruf werden spezielle Gegenstände und Dokumente gesucht. 22. Juni: Das LKA mobilisiert diverse Spezialkräfte für eine groß angelegte Suchaktion am Nehmser See: Polizeitaucher, Hubschrauber, Drohnen. 1. und 2. Juli: Weiterer Großeinsatz in Bad Segeberg: 60 Einsatzkräfte durchsuchen ein Grundstück in der Straße Am Wege nach Stipsdorf, der Garten wird umgegraben. Die Mordkommission hat einen Tatverdächtigen ermittelt. Eine Leiche wird nicht gefunden. 30. Juli: Ein Großaufgebot der Polizei durchkämmt ein Waldstück am Stadtrand von Bad Segeberg. 21. August: Die Familie setzt 15 000 Euro als Belohnung aus. Die gesamte Chronik mit allen Berichten gibt es hier zum Nachlesen. Vater zahlt noch Telefongebühren seines Sohnes: Dass Baris in krumme Geschäfte verwickelt gewesen ist, wie einige Medien unterstellten, glaubt er nicht. „Wo sind dann die Drogen? Wo ist dann das Geld? Bei mir hat sich niemand gemeldet, der Schulden beglichen haben wollte oder verärgert war. Er ist ein Typ, der gerne gibt. Er hat nicht den Anschein gemacht, viel Geld auszugeben oder großzügig einzuladen.“ Auch ein Abtauchen im Ausland hält er für ausgeschlossen. „Wir haben jeden Tag telefoniert. Warum meldet er sich nicht?“ Er wüsste gern, was das Handy seines Sohnes für Informationen preisgeben würde. Mit wem hatte er zuletzt Kontakt? Doch die Polizei sagt es ihm nicht. „Das Handy gilt ja als Beweismittel. Ich zahle noch immer die Telefongebühren.“ Ganz so, als wolle er das Telefon später seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben. „Das ist unser Schicksal“: Mittlerweile versuchen er und die Mutter Sonja das Verschwinden zu verdrängen. „Ich bin total blockiert, weil ich nicht weiß, was ich noch tun soll“, sagt Battal Karabulut. „Wir sprechen nicht mehr so oft darüber. Wir halten uns kurz. Es ist besser für uns, dass das nicht immerzu präsent ist. Wir wollen nicht krank werden.“ Denn gegrübelt haben sie jetzt schon so viele Monate. Dabei habe er sich auch an eine Situation vor langer Zeit erinnert. „Vor 20 Jahren war ich in der Türkei bei einer traditionellen Kaffeesatzleserin. Sie erklärte mir damals, dass etwas Furchtbares passieren würde. So ist es jetzt, etwas Schlimmeres gibt es nicht. Wir können nichts machen. Nur warten. Das ist unser Schicksal.“ Selbst eine ausgesetzte Belohnung von insgesamt 20 000 Euro – 5000 Euro von der Staatsanwaltschaft und 15 000 von der Familie – hat bisher niemanden hervorgelockt, der zur Lösung des Falles beigetragen hat. „Aber was heißt diese Summe schon. Das ist nicht viel Geld“, sagt Karabulut. „Das ist nichts im Vergleich zum Leben meines Sohnes.“ Von Irene Burow

Baris Karabulut fast zwei Jahre vermisst - Polizei ermittelt weiter