Beschlossen: Im Kreis Segeberg kommt bald wieder die Gemeindeschwester

Zeit für einen Schnack über den Gartenzaun oder einfach jemand, der nach dem Befinden fragt: Sogenannte Gemeindeschwestern klingeln ab 2021 bei Segebergern an der Haustür. Der Kreis will damit die Region weiter als Gesundheitsstandort stärken. Facharztausbildung, Unterstützung von Praxisgemeinschaften oder Weiterbildungen für nichtärztliche Praxisassistenten: Medizinisch gesehen ist bereits einiges in Bewegung. Mit den Gemeindeschwestern kommt ein weiteres Projekt hinzu, das eine Lücke schließen soll. Nämlich die Gesundheit präventiv durch Hausbesuche zu erhalten. Nach über einem Jahr der Vorbereitung hat sich der Kreistag jetzt mit knapper Mehrheit dafür ausgesprochen. Geplant ist ein Modellprojekt über drei Jahre. Rund eine halbe Million Euro will die Verwaltung dafür in die Hand nehmen. Präventiver Ansatz soll verfolgt werden: „Die Idee dahinter war ein Modell, das es vor Jahren schon einmal gab“, sagte die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Rosemarie Jahn. Vor rund zehn Jahren sollten in Schleswig-Holstein Arzthelferinnen den Job übernehmen, in der Ärztekammer Bad Segeberg wurden mehrere dafür ausgebildet. Doch damit wurde eher das Ziel verfolgt, Krankenbesuche zu delegieren. „Es ist leider so, dass die Infrastruktur in den Gemeinden weniger wird. Es gibt kaum noch Geschäfte und Lokale, keine gute Verkehrsanbindung – man sieht sich nicht mehr so viel.“ Die Läden, so Jahn, seien einst die Börsen für Informationen gewesen. Die Menschen gaben automatisch aufeinander acht. „Jetzt gibt es dazu wenig Gelegenheit. Das trägt sicher dazu bei, dass einige Menschen die Entwicklungen einfach nicht mitbekommen.“ Genau da solle das neue Projekt ansetzen. „Die Mittel sind eingestellt, wir können loslegen.“ Der Vereinsamung entgegenwirken: Die Planungen sind noch ganz am Anfang. Zunächst sollen Modellregionen festgelegt werden. Angedacht sind etwa zwei Regionen, in denen zwei Personen tätig werden könnten. Der Kreis spricht von einer anspruchsvollen Aufgabe, die erfahrene Fachkräfte aus der Pflege und sozialer Arbeit übernehmen könnten. Etwa von örtlichen Trägern der Wohlfahrtspflege. Zielgruppe sollen Menschen ab einem Alter von 70 Jahren sein, die nicht pflegebedürftig sind und zu Hause wohnen. Die Gemeindeschwestern beraten zum Beispiel zu Hausnotruf, Haushaltshilfen, Essens- und Fahrdiensten, sie knüpfen Kontakte zur Nachbarschaft, motivieren zur Teilnahme an Angeboten – um der Vereinsamung entgegenzuwirken. Pfleger und Ärzte haben keine Zeit: „Das ist total sinnvoll. Denn aus den Arztpraxen ist immer wieder zu hören, wie sehr soziale Kontakte vernachlässigt werden. Dass dort dringend etwas getan werden müsste“, sagt Laura Lüth, Ressortleiterin für Regionale Versorgung bei der Ärztegenossenschaft Nord. „Pflegekräfte haben einfach keine Zeit, um mal einen Kaffee zu trinken. Arztbesuche gehen schnell, denn sie müssen gleich wieder weiter.“ Otto Melchert, seit 2019 Koordinator für die ambulante ärztliche Versorgung im Kreis Segeberg, begrüßt die Schaffung neuer Netzwerke: „Das ist nur positiv, dass es so eine Koordinierung gibt, Dienste miteinander verbunden und letztlich auch Ärzte entlastet werden. Wenn es den Menschen besser geht, sie selbstständig leben können, dann brauchen sie auch weniger Leistungen.“ Die Gemeindeschwestern würden sicher für ein positives Gefühl in der Bevölkerung sorgen. Der Kreistag hat die Behindertenbeauftragten bestellt. Damit macht sich statt einer Person nun ein Team an die Arbeit: Jutta Altenhöner, Dr. Volker Holthaus und Uwe Harm. Beschlossen wurde die Sanierung des Schulhofes des BBZ Bad Segeberg. Im Zuge des Neubaus einer Multifunktionshalle wurde festgestellt, dass eine Sanierung dringend nötig ist. Kosten: rund 330 000 Euro. Der Kreis schickt Bewegungslotsen in die Kommunen. Finanziert wird das Projekt maßgeblich durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die Lotsen können in jeder Gemeinde aktiv werden. Es soll keine Verbindlichkeit für die Bürger entstehen, wie durch eine Mitgliedschaft in einem Verein. Die Lotsen legen einfach los und motivieren Bürger langfristig zu mehr Bewegung. Zudem wird das elektronische Schülerticket eingeführt. Es soll spätestens zum Schuljahr 2021/22 kommen. Die Tickets werden dann nicht mehr von den Schulträgern ausgegeben. Die Kreise Segeberg, Stormarn und Herzogtum Lauenburg haben sich zusammengetan: Die Bearbeitung für die drei Kreise übernimmt die Verwaltung in Lauenburg. Das digitale Antragsverfahren soll Schulträger entlasten. Positives Gefühl stärken, Ärzte entlasten: „Die Präventiven Hausbesuche können ein Baustein für die Bildung lokal sorgender Gemeinschaften sein“, heißt es von der Kreisverwaltung. Von 2021 bis 2023 werden pro Jahr 142 000 Euro bereitgestellt. Es wird davon ausgegangen, dass noch weitere Kosten hinzukommen könnten, etwa für Öffentlichkeitsarbeit. Fördermöglichkeiten, wie durch EU-Mittel der Aktivregionen, werden noch geprüft. Im Kreistag blieb das Anliegen nicht ohne Kritik. Angelika Hahn-Fricke (CDU) monierte etwa die Altersbeschränkung. „Manch einer ist mit über 80 noch fit, andere brauchen ab 60 schon Hilfe. Das muss individuell bleiben.“ Ihrer Ansicht nach seien die Zeiten, in denen die Schwester mit dem Rad von Haus zu Haus fahre, auch längst vorbei. Es gebe bereits ein breites Angebot sozialer Hilfen. „Die Aufgaben für Ältere sind doch andere: Mobilität erhalten, durch Bürgerbusse oder Sammeltaxen, sowie eine seniorengerechte Digitalisierung. Es kann nicht angehen, dass das an den Menschen vorbeigeht.“ „Gemeindeschwester“ sei nur ein Arbeitstitel, stelle Toni Köppen (Wi-Se) klar. „ Wir haben uns seit über einem Jahr auf den Weg gemacht. Jetzt ist das Konzept da. Es kann jederzeit angepasst werden. Nichts zu tun ist der völlig falsche Weg. Wir können das nicht vor uns herschieben, obwohl der demografische Wandel das erfordert.“ Von Irene Burow