Corona und Lockdown: Segebergs Frauenhaus muss viele Anfragen ablehnen

Das einzige Frauenhaus im Kreis Segeberg ist voll. Nur wer Glück hat, bekommt eine sichere Unterkunft – weg von der meist psychischen Gewalt, die zu Hause unerträglich geworden ist. Die Corona-Pandemie verschlimmert das Problem. Das Frauenhaus Norderstedt muss inzwischen auf externe Notplätze ausweichen. Der Kreis hat im Juni bereits Mittel dafür bereitgestellt. Doch das reicht bei Weitem nicht. „Die Annahme, dass es bedingt durch die Corona-Krise einen erhöhten Bedarf an Frauenhausplätzen geben wird, war zutreffend“, teilt Anita Brüning, Leiterin des Frauenhauses in Norderstedt, der Kreisverwaltung Segeberg im August mit. Mit ihrem Schreiben geht die Bitte um weitere Unterstützung einher. Von Mitte März bis Mitte Juni mussten 57 Frauen und ihre Kinder abgewiesen werden. Ende Juli hatte sich die Zahl bereits mehr als verdoppelt. Absage für 157 Frauen und Kinder: „Trotz der zusätzlichen Plätze können wir weiterhin viele Anfragen nicht bedienen. Von Anfang März bis Ende Juli haben wir insgesamt 157 Personen Absagen erteilen müssen“, sagt Brüning. 76 Frauen und 81 Kindern konnte auf diesem Wege nicht geholfen werden. Jetzt sollen weitere Notplätze geschaffen werden. Im Kreishaus ist das Thema am Donnerstag erneut auf der Agenda. Erst am 25. Juni hatte der Kreistag entschieden, das Frauenhaus mit Notplätzen während der Pandemie zu unterstützen. Eine Wohnung wurde angemietet und Ende Juli in Betrieb genommen. Kurz darauf war sie mit sieben Personen voll belegt. Die Einrichtung der Räume wurde mit Spenden von Kaufhäusern und Privatpersonen ermöglicht. Gewalt zeigte sich erst nach dem Lockdown: „Die Gewalt hat während des Lockdowns zugenommen“, sagt Barbara Eibelshäuser von der Fachberatungsstelle für Frauen „Frauenzimmer“ in Bad Segeberg – an deutschen Frauen sowie Migrantinnen und Flüchtlingen. „Das hat sich jedoch nicht während der Zeit gezeigt, sondern erst in den Wochen danach.“ Sie und ihr Team waren regelrecht erschrocken, dass der Kontakt mit den Geflüchteten direkt weggebrochen ist. Auch in anderen Beratungsstellen. Der Grund: Während des Lockdowns war der Partner stets zu Hause. „Sie können sich nicht melden, wenn er daneben sitzt“, sagt Eibelshäuser. Zudem sei ein direkter Zusammenhang mit der Zeit in Quarantäne erkennbar. „Der Druck der Männer steigt, wenn sie in Kurzarbeit sind oder finanzielle Sorgen haben. Das erhöht das Risiko, dass sie gewalttätig werden – auch für Kinder“, betont sie. „Bei uns gab es nach dem Lockdown einen Anstieg von Anfragen und dieser ist auch weiter gleichbleibend. Wir haben nicht die Kapazitäten, Wohnungen für hilfesuchende Frauen anzumieten und müssen deswegen vermehrt an andere Frauenhäuser verweisen“, teilt das Frauenhaus Stormarn auf Anfrage mit. Lange gab es einen Überhang an Männern, jetzt helfen etwas mehr Frauen in der Außenstelle des Weißen Rings im Kreis Segeberg. Das sei auch gut so, sagt Wolfgang Schürer. Er bittet dennoch um Unterstützer, denn aus verschiedenen Gründen sei das Team in letzter Zeit geschrumpft. Hinzu kommt, dass Termine immer häufiger zu zweit wahrgenommen werden. Es geht um die eigene Sicherheit und um die Sicherheit der Opfer. Auslöser waren Vorwürfe der sexuellen Belästigung beim Weißen Ring Lübeck im Jahr 2018. Speziell Opferbetreuer sind willkommen. „Es wäre schön, wenn wir in dieser Hinsicht wieder ein Polster bekommen“, sagt Schürer. Interessenten melden sich unter Telefon 041 92/819 02 69. „Taxifahrer wissen, wo die Frauenhäuser sind“: Die voll belegten Frauenhäuser sind kein lokales Phänomen. Die Karte der Autonomen Frauenhäuser in Schleswig-Holstein zeigt keine freien Plätze an. Alle 16 Einrichtungen sind derzeit belegt. „Wir haben viele Anfragen im ganzen Land und betonen schon länger, dass es zu wenig Plätze gibt. In einer Online-Datenbank können wir freie Plätze sehen. Am Montag war in ganz Schleswig-Holstein nicht ein Platz frei“, sagt Vera Zingarini von der Koordinierungsstelle der Autonomen Frauenhäuser. „Allein im Frauenhaus Schwarzenbek können wir zurzeit pro Tag zwei bis drei Frauen nicht aufnehmen.“ Das Innenministerium lasse derzeit von einem Institut die Aufnahme-Kapazitäten der Frauenhäuser in Schleswig-Holstein prüfen, um den genauen Bedarf zu ermitteln. Die Situation im Frauenhaus Norderstedt ist ebenfalls schon länger bekannt. „Wann immer wir Anfragen haben, sehen wir in die Datenbank. Norderstedt ist nie dabei“, sagt Barbara Eibelshäuser. Die vielen Absagen in diesem Jahr seien fatal. „Man muss dazu sagen, dass es nicht immer Frauen aus der Region sein müssen, die dort Schutz suchen. Es ist empfehlenswert, weiter weg zu gehen.“ Denn sonst sei auch der Weg für die Männer nicht weit. Sie fahren oft einfach hinterher. „Die Taxifahrer wissen, wo die Frauenhäuser sind.“ Psychoterror ist die größte Belastung: „Die Wege führen von diversen sozialen Einrichtungen zum Frauenhaus“, sagt Wolfgang Schürer vom Weißen Ring im Kreis Segeberg. „Die Gewaltformen sind unterschiedlich“, erzählt er. Meistens sei es der Psychoterror, der belastet. Schläge seien eher selten. „Dass eine Frau verprügelt wird, haben wir zum Glück nicht sehr oft.“ Es gibt kaum Alternativen zu Frauenhäusern. Der Weiße Ring hat in Ausnahmefällen bereits Frauen im Hotel untergebracht. Das Team vom „Frauenzimmer“ kooperiert manchmal mit dem Jugendamt, das über Krisenwohnungen verfügt. Doch hier ist der Schutzstandard nicht der gleiche. Der Verein setzt sich jetzt dafür ein, das digitale Hilfsangebot zu verbessern. Betroffene sollen in Zukunft online noch einfacher Kontakt herstellen können – über Computer, Handy, Chat –, damit sie trotz Ausnahmesituation und trotz Corona jederzeit Hilfe suchen können. Das LN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Lübeck dienstags bis samstags gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Lesen Sie auch Häusliche Gewalt: Hunderte Segebergerinnen sind betroffen Weißer Ring Segeberg verzeichnet mehr Fälle von Stalking Kayhude: Radfahrer verprügelt Spaziergänger – Lebensgefahr Segebergs Polizei warnt vor Taschendieben im Supermarkt Von Irene Burow