Für den Naturschutz: Segebergs Knicks auf den Stock gesetzt

Wie mit einer riesigen Hand packt der eiserne Greifer des Baggers die dicken, frisch abgesägten Äste. Meter für Meter arbeitet sich das Gerät an den Feldrändern in Wahlstedt, Stipsdorf, in Negerbötel und anderswo vor. Auf dem knapp einen Meter hohen und etliche Meter langen Erdhügel zwischen Wegen, Äckern und Wiesen bleiben nur noch kurze Knüppel übrig, die aus dem Boden ragen. Die unter Naturschutz stehende Wallhecke ist auf den Stock gesetzt. Hin und wieder steht noch ein Baum, ein Überhälter: Knickpflege sieht tatsächlich wie ein Kahlschlag aus und ist kein schöner Anblick für empfindliche Seelen. Vielleicht werden die Knickstümpfe und die riesigen Gehölzhaufen davor, die sich überall derzeit stapeln, darum oft von Spaziergängern argwöhnisch beäugt. Vom 1. Oktober bis zum 28. Februar wurde überall im Segebergischen und anderswo geknickt. „Darüber beschwert sich in der Regel niemand. In wenigen Einzelfällen bekommen wir jedoch Hinweise auf eine nicht fachgerechte Ausführung“, sagt Segebergs Kreissprecherin Sabrina Müller. Da hat der Bauernverband Schleswig-Holstein ganz andere Erfahrungen gemacht: „Immer wieder kommt es zu Anzeigen, weil Spaziergänger das Auf-den-Stock-setzen für Umweltfrevel halten“, bedauert deren Sprecherin Dr. Kirsten Hess. „Viele empfinden es als sehr grob. Es hat aber seinen tieferen Sinn.“ Denn der drastische Rückschnitt sei notwendig, damit die Knicks nicht von unten verkahlen und weiter ihre vielfältigen ökologischen Funktionen erfüllen können. „Wird darauf verzichtet, wachsen die Gehölze aus. Der Knick wird licht und verliert damit seine typischen Schutzfunktionen, etwa gegen Schneeverwehungen und Bodenerosion, wie wir sie in Ostholstein oder an der Autobahn 20 schon erlebt haben“, erklärt der Biologe Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer beim Naturschutzbund ( NABU ) in Schleswig-Holstein. 68 000 Kilometer Knicknetz hat das Land in Schleswig-Holstein gezählt. „Wir gehen davon aus, dass vieles, was dort als Knick bezeichnet wurde, längst keiner mehr ist“, ist Ludwichowski sicher, dass die Zahl deutlich nach unten korrigiert werden müsse. 45 000 Kilometer Knick stehen nach Schätzungen des Naturschutzbundes in Schleswig-Holstein. Ein Knick besteht aus einem knapp einen Meter hohen, oben abgeflachten Erdwall, der mit Sträuchern und buschigen Gehölzen bewachsen ist. Das Umbiegen, knicken, von Zweigen für eine lebendige Einzäunung hat ihm seinen Namen gegeben. Im 18. Jahrhundert wurde die Feldmark aufgegliedert. Jeder Bauer war für sein Land verantwortlich, aber auch dafür, dass sein Vieh auf fremden Grund keinen Schaden anrichtete. Mit dichtem Gebüsch bewachsene Wälle waren dafür ideal. Der landesweite Aufbau des Knicknetzes begann 1766, als der über Schleswig-Holstein herrschende Dänenkönig Christian VII. befahl, die Koppeln mit „lebendem Pathwerk“ einzugrenzen. Es war Schutz, aber auch Brennholzlieferant. In regelmäßigen Abständen wurden Bäume als späteres Bauholz gepflanzt und stehen gelassen. Da das Wallheckennetz Anfang des 20. Jahrhunderts immer dünner wurde, erging 1935 ein Beseitigungsverbot. 1973 nahm das Landschaftspflegegesetz den Knickschutz auf. (Quelle: NABU) Knicks seien die Wanderwege für Amphibien und Pflanzen am Rand von in der Regel intensiv bewirtschafteten Flächen. „Sie sind wichtiger Rückzugsort auch für seltene und gefährdete Arten. Sie verbinden Wälder, Wiesen und andere Biotope miteinander, vernetzen Acker- und Grünflächen.“ Darum sollten sie nicht großflächig geknickt werden. Bäume dort dürfen nur im Rahmen des Auf-den-Stock-Setzens gefällt werden, wenn sie einen Stammumfang von bis zu zwei Metern in einem Meter Höhe haben. Zwar sollte ein gesunder älterer Baum als Überhälter immer einem jungen vorgezogen werden, sagt Ludwichowski, „aber Vorschriften dazu gibt es nicht.“ Das Einkürzen eines Knicks ist erst frühestens drei Jahre nach dem Auf-den-Stock-setzen wieder erlaubt. Problematisch sei, dass Kommunen Baugrundstücke mit Knick verkauften und sich damit der Verantwortung entledigten: „Das sehen wir als NABU sehr kritisch. Irgendwann gibt es Durchbrüche oder untypische Anpflanzungen“, bedauert Ludwichowski, dass ein solcher Knick für den Naturschutz an Bedeutung verliere. Eine Statistik darüber, wie viel geschützte Wallhecke jedes Jahr zerstört wird, erhebe man im Kreis Segeberg nicht, dessen untere Naturschutzbehörde zuständig ist. Es könnten etwa 20 bis 40 Fälle im Jahr sein, schätzt Sprecherin Sabrina Müller. Dann werde ein Bußgeld fällig, das sich an der Höhe der Schädigung orientiert. Müller: „Bei unzulässiger Beseitigung eines Knicks wird in der Regel die Wiederherstellung verlangt, zuzüglich einer Kompensation.“ Geduldeter Naturschaden: Dem Bund für Umwelt und Naturschutz ( BUND ) sind die Kontrollen dazu zu lasch. Schon lange fordert er, dass die Empfehlung, Knicks nicht großflächig abzuholzen, zur Verpflichtung gemacht wird und die Einhaltung der Schutzbestimmungen schärfer kontrolliert sowie Verstöße geahndet werden. Doch es gingen nur sehr selten Meldungen ein, sagt Zepernick aus der Bau- und Umweltabteilung im Amt Trave-Land, in dem 27 Gemeinden Segebergs vereint sind: „So doof das klingt: Es wird leider mehr oder weniger geduldet.“ Von Heike Hiltrop