Grundschulen öffnen: Aber Unterricht ohne Nähe und Kuscheln

Es könnte ein fulminantes, flächendeckendes Experiment gewesen sein. Wie lernen Kinder am besten? Zur Schule zu gehen – das ist in Coronazeiten etwas Besonderes. Es gibt Kinder, die blühen auf und sind froh, in Kleingruppen unterrichtet zu werden und kommen gern nur einmal die Woche. Sie lernen besser zu Hause. Andere entdecken erst jetzt, wie lieb ihnen die Schule mit den Lehrkräften geworden ist. Sie ist ihr soziales Lebens-Elixier. Sie sind todtraurig, dass sie nur einmal die Woche hindürfen, bombardieren Lehrkräfte per Mail mit Wünschen, ihnen doch Aufgaben zu schicken, berichtet ein Lehrer den LN. Großes Aufatmen dürfte hier herrschen: Bereits vom 8. Juni an soll zumindest für alle Grundschülerinnen und Grundschüler eine tägliche Beschulung im Klassenverband wieder aufgenommen werden, teilte Bildungsministerin Karin Prien am Mittwoch mit. Sie möchte mit den Grundschulen den „ersten großen Öffnungsschritt“ gehen. „Das alles geschieht vor allem vor dem Hintergrund, dass wir in den Grundschulen weiter sehr gut nachvollziehen können, wer zu welchem Zeitpunkt Kontakt zu wem hatte.“ Die Lehrkraft muss die Kinder auf Distanz halten: Seit wenigen Tagen läuft nun die dritte Phase der Wiedereröffnung der Schulen, die Jahrgänge 1 bis 3 sind in die Schule zurückkehrt. Weiterhin sind auch die vierten Klassen mit von der Partie. Aber Präsenz-Unterricht heißt jetzt in der Regel: Die Kinder gehen nur noch wöchentlich einmal zum Unterricht, aber wegen der Corona-Pandemie mit strikten Regeln, die an Opas Dorfschule vor 100 Jahren erinnern. Die Lehrkraft klebt vorn an der Tafel und hält die Kinder auf Distanz. Schule im Mai 2020 dient weniger der Wissensvermittlung, sondern bringt sich so als sozialer Treff in Erinnerung. Die Kinder sollen nicht vollends den Kontakt zur Lehrkraft und zu den Freunden verlieren. Während in Läden und Fußgängerzone schon wieder das öffentliche Leben pulsiert, ist hier noch alles stark reglementiert. Erstklässler haben das Abstand halten schnell gelernt: „Kuscheln und umarmen geht jetzt nicht, das muss man den Kindern erklären“, sagt auch Anja Look, Schulleiterin der Heinrich-Rantzau-Schule. „Wir tragen Verantwortung, dass die Infektionszahlen nicht wieder nach oben gehen.“ Trotz der Bedingungen: „Die Kinder freuen sich, uns zu sehen – und wir freuen uns auf die Kinder.“ Es sei „entzückend zu sehen“, wie sehr auch schon Erstklässler die Abstandsregeln verinnerlicht haben. Die Kinder warteten vorbildlich an ihren markierten Punkten, bis sie von der Lehrerin in die Schule gerufen werden. Corona-Regeln seien schon „eine logistische Herausforderung“. So habe jede Gruppe ihren eigenen Pausenbereich auf dem Schulgelände. Täglich kämen acht Klassengruppen und vier Notbetreuungsgruppen in die Heinrich-Rantzau-Schule. Da werde vorbildlich auch zu Hause gearbeitet. Look: „Ich mache mir keine Sorgen für den Übergang der jetzigen Viertklässler in die weiterführenden Schulen.“ „Ich habe es mir schlimmer vorgestellt“, sagt Lisa Lünebrink, Klassenlehrerin der 1d. So strikte Hygienevorschriften wie in der Schule gebe es sonst im öffentlichen Leben nicht. „Aber ich habe das Gefühl, dass schon die Erstklässler genau wissen, um was es geht.“ Eine ganze Stunde auf seinem Platz zu sitzen, der Lehrerin nicht zu nahe zu kommen – nicht leicht für Siebenjährige. „Wenn wir bald wieder zur Normalität zurückkehren, spielt sich das schnell wieder ein“, davon ist die Pädagogin überzeugt. Das LN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Lübeck dienstags bis samstags gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Mit Walkie-Talkie am Schulklo: Kirsten Lubinus, Schulleiterin der Grundschule Fahrenkrug mit 87 Kindern, war es in dieser Woche eine Freude, alle wiederzusehen. „Ich liebe meinen Beruf“, sagt sie, und es sei schon hart, nicht mehr spontan zu den Kleinen gehen zu dürfen. In der Zeit ohne Schule schickten Eltern Fotos von ihren Kindern, Lubinus selbst korrigierte abfotografierte Heftseiten, die per Mail kamen. Jetzt sind alle wieder da, wenigstens alle vier Tage. In der kleinen Schule gibt es nur wenige Räume, auch wenige Toiletten. „Wir Lehrkäfte verständigen uns mit Walkie-Talkies, ob zum Beispiel die Toilette für ein Kind frei ist.“ Vielleicht wird man später darüber lachen. „Aber ich bin froh, wieder meine Schüler auf dem Schulhof zu sehen“, sagt Kirsten Lubinus. Die vielen Wochen ohne ihre Schützlinge, „das war nicht das, wofür man Lehrerin geworden ist.“ Schulleiterin: „Ich kann die Sorgen von Psychologen verstehen“: An den Hygieneauflagen und Abstandsregeln hat sich in den Schulen seit April – im Gegensatz zu den Lockerungen im öffentlichen Bereich – nichts geändert, stellt Schulleiterin Göntje Braren von der Franz-Claudius-Schule fest. Sie hatte privat ein Schlüsselerlebnis in einer Arztpraxis, als ein Kind völlig verängstigt auf all die maskierten Menschen im Wartezimmer reagierte und mit großen Augen in die Runde sah. Die Schulleiterin fragt sich: Was speichern Kinder aus dieser Zeit ab, was nehmen sie auch langfristig als tief verankerte Erinnerung mit? Die Kinder erfahren jetzt: Halt dich von anderen Menschen fern. „Ich kann die Sorgen von Psychologen verstehen, die fragen: Was passiert mit unseren Kindern?“ Sie befürchtet Folgen, wenn Kinder über Monate in ihren Wohnungen waren und keine Spielgefährten hatten. „Was das alles an Auswirkungen für Kinder haben wird, das wissen wir noch gar nicht." Insofern sei es gut, wenn die Mädchen und Jungen wieder in die Schule kommen. Ein Schritt in die Normalität. Laut Braren werde Wissensvermittlung wie im normalen Unterricht nicht zu erreichen sein. Aber es gebe die aktuelle Rückmeldung von Kollegen, „dass es gut gelingt, in Kleingruppen mit Kindern zu arbeiten“. Die LN-Themenseite mit allen Artikeln zum Thema Corona Coronavirus in SH: Das ist die aktuelle Zahl der Infizierten Liveblog zur Corona-Krise: Das ist die Lage in Lübeck und Schleswig-Holstein Schutzmasken richtig tragen: So geht’s! 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