Hohe Inzidenz: Segebergs Handel stellt auf Termin-Shopping um

Die Ankündigung von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), dass der stationäre Einzelhandel in Segeberg und weiteren Kreisen wieder mehr beschränkt wird, hatte sich angesichts der hohen Inzidenz abgezeichnet, da sind sich Ladenbesitzer und Kunden in Segeberg einig. Die Sorgen werden deshalb aber nicht kleiner. Mareike Petersen, Geschäftsführerin vom Handelsverband Nord, beschreibt die Stimmung bei den Einzelhändlern im Land als „Mischung aus Verzweiflung, Resignation und Wut“. Handel verweist auf gute Hygienekonzepte: Telefon, Whatsapp, E-Mail, sogar Fax und an die Tür klopfen: Auf vieles hat sich Segebergs stationärer Handel eingestellt, damit ein bisschen Geld in die Kasse kommt und die Menschen ihr Vor-Ort-Angebot nicht aus den Augen verlieren. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet der kleine, lokale Einzelhandel zu den steigenden Zahlen beiträgt. Wenn es an ihm liegen würde, dann müssten sich ja Mitarbeiter und Kunden in Supermärkten reihenweise infizieren – davon habe ich bisher noch nicht gehört“, sagt Sabine Petersen von der gleichnamigen Galerie. Sie habe vor zehn Tagen erwartet, dass als erster Lockerungsschritt „Click & Meet“ erlaubt werden dürfe, also der Einkauf mit Termin, bei 20 Quadratmetern pro Person im Laden. „Und erst danach weitere Lockerungen – statt umgekehrt.“ Es gebe aus ihrer Sicht Brennpunkte, die für steigende Zahlen sorgen würden, da wünsche sie sich eine gründlichere Analyse, so Peters weiter. Aber die vom Land verordnete Rolle rückwärts sei angesichts der hohen Inzidenzwerte von 100 Corona-Fällen pro 100 000 Segeberger aus ihrer Sicht dennoch richtig. „Durch uns sind die Zahlen garantiert nicht gestiegen“, ist auch Herrenausstatter Klaus-Uwe Hogrefe von „H&R Männermoden“ überzeugt. „Wir lassen weniger Leute rein als wir dürften, haben gute Konzepte und vorsichtige Kunden. Außerdem sind vor allem ältere Menschen total überfordert von Click und Dings – das ist alles sehr verwirrend für sie.“ Beim Termin-Shopping sei er trotzdem dabei, sagt Hogrefe. „Wenn der Kunde rein darf, das hilft uns sehr. Gleiches gelte, wenn der Kreis wieder auf ,Click & Collect’ umsteige, wenngleich die Situation für alle dann viel schwieriger werde. „Aber wir machen alles mit, bis die Sache ausgestanden ist.“ Das sieht auch Barbara Grozev vom Büro- und Schreibwarenbedarf „Köhrsen“ so: „Wir versuchen, alles zu machen, was geht. Aber wenn ich erlebe, was im Supermarkt los ist, dann frage ich mich schon, wo die Gerechtigkeit bleibt. Ich empfinde das definitiv als Benachteiligung. Wir sind nicht der Corona-Hotspot Segeberg.“ Telefonische Beratung sei in ihrem Metier schwierig, das habe die Erfahrung aus Januar und Februar gezeigt. „Wenn der Kunde ins Geschäft darf, das rettet uns ein bisschen.“ „Click & Meet“ gilt in Schleswig-Holstein ab einer Inzidenz von über 50 und im Kreis Segeberg ab Montag, 22. März. Es meint Einkaufen mit Termin. Der kann telefonisch, per Mail oder sogar an der Tür erfragt werden. Dabei soll es möglich sein, sich selbst im Geschäft umzusehen und auch anzuprobieren (ein Kunde pro 20 Quadratmeter). Die Läden sind verpflichtet, die Kontaktdaten der Kunden aufzunehmen, damit im Fall einer Corona-Infektion eine Nachverfolgung durch das Gesundheitsamt möglich ist. Die Einkaufszeit ist zeitlich begrenzt. Es dürfen nur Personen aus einem Haushalt gemeinsam zu einem Termin erscheinen. „Click & Collect“ ist die verschärfte Variante aus dem Lockdown. Hierbei können Kunden Waren im stationären Handel online, per E-Mail, telefonisch, per Whatsapp oder anders bestellen und sie an der Ladentür oder vor Ort abholen. Das bestätigt auch Marie Güldner vom Kreativhaus. Aber immerhin gebe es nun von Ministerpräsident Günther einen Leitfaden. „Der unklare Schwebezustand vorher war schlimmer, aber man merkt, die Luft ist raus. Die Leute haben keinen Bock mehr. Aber wenn wenigstens die Kinder eine klare Struktur bekommen, dann stecke ich gerne zurück.“ „Die Stimmung ist nicht gut. Viele wissen nicht, wie es nächste Woche wird. Womöglich müssen wir wieder in Kurzarbeit. Ich kann das nicht nachvollziehen. Unser Hygienekonzept ist gut, unsere Kunden fühlen sich sicher“, betont Leif Ilinsch (34) vom „Sporthaus Roland“. „Ich denke, die steigenden Zahlen entlang der A 7 Richtung Neumünster haben auch etwas damit zu tun, dass Hamburg Ferien hatte und noch alles zu war“, ist Kundin Christiane Schmidt (65) überzeugt. „Das ist für uns schon ärgerlich. Aus Sicherheitsgründen kann ich es aber verstehen, dass alles wieder strenger wird.“ Berufspendler Michael Voß (51) aus Ostholstein arbeitet in Bad Segeberg: „Ich kann das überhaupt nicht mehr nachvollziehen. Es gibt seit dem ersten Lockdown Konzepte, die gut sind.“ Das Problem liege aus seiner Sicht woanders. „Doch es wird nicht differenziert. Ich denke, es muss andere Wege geben. Woher kommen die Fälle? Ich als Laie blicke da nicht mehr durch.“ Selbst Ministerpräsident Daniel Günther hatte am Donnerstagabend eingeräumt, dass der stationäre Handel kein Corona-Hotspot sei. Landrat will die Situation erst später bewerten: So fordert der Handelsverband Nord nun eine Abkehr vom Inzidenzwert als alleinige Entscheidungsgrundlage. Vor dem Hintergrund vermehrter Tests und der erfolgten Impfungen, etwa von Bewohnern und Personal in Pflegeheimen, müssten auch andere Kriterien beachtet werden, sagt Mareike Petersen und nennt als Beispiel die Zahl der Krankenhauspatienten. Erste Landräte und Bürgermeister beispielsweise in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sehen das ähnlich. Segebergs Landrat Jan Peter Schröder verweist dagegen durch seine Pressesprecherin auf die noch unklare Entwicklung im Kreis. Er könne derzeit noch keine Bewertung abgeben. Von Heike Hiltrop