Hürdenlauf für Alte: Weite Wege für Segeberger Senioren zur Corona-Impfung

Das mobile Impfteam, das im Kreis Segeberg unterwegs zu den Seniorenheimen und anderen Einrichtungen dieser Art ist, hat den ersten mehr als 600 alten Menschen das Biontech-Pfizer-Serum injiziert. Auch die ersten 120 Impflinge sind durch das Impfzentrum Kaltenkirchen geschleust. Die Start-Runde der Corona-Impfungen läuft also, doch wirklich rund ist was anderes, wie nicht nur die blitzschnell ausgebuchte Terminvergabe zeigt. Betreutes Wohnen ist außen vor: So legte das Impfmobil am Montag am Paul-Gerhardt-Seniorenheim in Wahlstedt einen Stopp ein. 80 der 92 Bewohner bekamen das Serum. Doch die alten Menschen, die gleich nebenan im betreuten Wohnen leben und impfberechtigt sind, gingen leer aus, obwohl beide Einrichtungen zum Landesverein für Innere Mission und zusammen gehören. Die Impf-Teams sind nicht zuständig. „Die Kollegen in den Altenpflegeheimen sind in erster Linie froh, dass eine Impfung für die Bewohner unserer Altenpflegeheime so schnell nach der Entwicklung des Impfstoffes gegen das Corona-Virus möglich ist. Aber: Wir haben viele Anfragen von Mietern und nehmen auch eine gewisse Unzufriedenheit wahr, weil die Bewohner der betreuten Wohnangebote nicht über die Kapazitäten der Altenpflegeheime geimpft werden können“, beschreibt Landesverein-Sprecher Sebastian Wieschowski die Situation. „Es besteht bei vielen die Hoffnung, dass dies noch möglich ist, oder dass künftig auch eine Impfung über die Hausärzte durchgeführt werden kann.“ Gebündelte Termine gefordert: Wieschowski unterstreicht, dass eine Unterstützung der alten Menschen wünschenswert sei. „Sie ist unter den derzeitigen Rahmenbedingungen und der Arbeitsbelastung während der Pandemie von den Kollegen vor Ort aber nur schwer umsetzbar. Ein Problem ergibt sich aus unserer Sicht vor allem aus der Terminbuchung.“ Eine gebündelte Buchung für mehrere Menschen auf einmal sei zum Beispiel nicht möglich, kritisiert er. Betroffene müssten sich über die Telefon-Hotline 116 117 oder online anmelden und ein Impfzentrum aufsuchen, sagt Nikolaus Schmidt, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KVSH). „Hilfe gibt es da von uns nicht.“ Im Sozialministerium sei entschieden worden, dass diejenigen Hochbetagten, die im betreuten Wohnen oder alleine leben, sich Hilfe aus dem Angehörigen- und Bekanntenkreis holen. Auch übernehme die Krankenkasse nicht die Kosten für eine Beförderung zum Impfzentrum. Es sei zwar ein Gemeinschaftsprojekt von Land und KVSH, in dem die Zusammenarbeit hervorragend funktioniere, „aber wir sind nur Ausführende. Am Ende muss die Politik diese wichtigen Fragen klären.“ Rund 6000 Senioren leben in Alten- und Pflegeeinrichtungen im Kreis Segeberg. Doch insgesamt gab es laut aktueller Statistik 2019 knapp 18 000 Männer und Frauen im Alter von 80 Jahren und darüber. Was die Situation für den einzelnen alten Menschen bedeuten kann, das macht ein Beispiel klar: Angenommen eine 92-Jährige aus Dorf Berlin (Gemeinde Seedorf), nennen wir sie Meta S., hätte dank unerschrockener Hartnäckigkeit einen Termin über die Hotline ergattert und soll sich um 16 Uhr im Impfzentrum Kaltenkirchen einfinden. Meta S. ist stark gehbehindert und auf einen Rollator angewiesen. Ihre Lunge ist schon etwas schwächer, das Gehör hat stark nachgelassen. Sie fährt weder Auto, noch hat sie Verwandte, Nachbarn oder Freunde, die sie dorthin kutschieren könnten. Hilfe für Senioren auf dem Land fehlt: Sie könnte ein Taxi nehmen, wenn sie es sich leisten kann. Die Tour hin und zurück würde zwischen 70 und 80 Euro kosten. Ober sie entscheidet sich, weil ein Taxi zu teuer für sie ist, für öffentliche Verkehrsmittel. Dann müsste sie mit dem Bus nach Bad Segeberg (Linie 7700) fahren, am ZOB umsteigen in die Linie 7600 bis nach Bad Bramstedt und von dort den Zug bis Kaltenkirchen Süd nehmen. Die letzten rund 500 Meter wären dann Fußmarsch, bis sie nach mehr als dreieinhalb Stunden im Impfzentrum ankäme. „ÖPNV geht ja gar nicht. Wir haben leider keine Möglichkeit einzugreifen“, bedauert Thomas Hartstock, Leiter im Amt Trave-Land. „Wir sind ganz und gar raus und nicht sehr glücklich darüber“, sagt er und betont, dass man betroffene Senioren gerne in irgendeiner Form unterstützen würde. Eine erste Initiative gibt es in Wakendorf I. Hier haben sich der stellvertretende Bürgermeister Uwe Karbe und Gerd Böttger zusammengetan und alle Hochbetagten über 80 Jahren im Dorf ausfindig gemacht. 26 Männer und Frauen sind es, die älteste 90 Jahre alt. 23 hätten die angebotene Hilfe, zunächst nur für die Anmeldung, gerne angenommen. Erste Initiative in Wakendorf I: „Viele haben gedacht, dass sie angeschrieben werden. Aber das ist in Schleswig-Holstein ja nicht so, da muss sich jeder selbst kümmern. Wir haben diese Menschen erfasst und versucht über die 116 117 oder online Termine zu bekommen. Kurz vor acht Uhr am Dienstag ging noch nichts, kurz nach acht Uhr ging nichts mehr“, beschreibt Karbe den ersten gescheiterten Versuch. „Wir wären froh, wenn die Leute erst einmal erfasst werden. Ob wir sie dann fahren, wissen wir noch nicht. Eher nicht.“ Käme das Impfzentrum in Bad Oldesloe in Frage, sei der Aufwand auch für die Senioren machbar. Aber viel mehr hofft er auf einen Sammeltermin bei einem mobilen Impfteam, das in die Gemeinde kommt. Karbe warte derzeit auf Antworten auf Mails und gibt sich kämpferisch: „Egal ob sie nächste Woche oder erst in drei geimpft werden – Hauptsache ist, dass unsere Senioren auf dem Land nicht vergessen werden.“ Von Heike Hiltrop