Kreis Segeberg nutzt jetzt offiziell das Gendersternchen

„Sehr geehrte Bürger*innen“: Die Stadtverwaltung Hannover macht es, genauso das Theater Lübeck, die Universität Greifswald und die Berliner Charité. Jetzt ist auch der Kreis Segeberg auf den Zug der geschlechtsneutralen Sprache aufgesprungen. Die Mitarbeiter*innen werden in Zukunft das Gendersternchen verwenden – als Folge des „dritten Geschlechts“, das seit Jahresbeginn in Deutschland offiziell anerkannt ist. Das Gendersternchen soll auch die ansprechen, die sich nicht in das sogenannte binäre Geschlechterverhältnis – männlich und weiblich – einordnen lassen. Früher mussten Eltern sich beim Eintrag ihres intersexuellen Kindes ins Geburtenregister für „männlich“ oder „weiblich“ entscheiden, seit diesem Jahr ist die Kategorie „divers“ offiziell anerkannt. Als divers oder intersexuell werden Menschen bezeichnet, deren Körper sowohl männliche als auch weibliche Merkmale aufweisen. Dazu gehören Transsexuelle ebenso wie Androgyne oder sogenannte genderfluide Menschen, bei denen die Geschlechtsidentität wechselt. Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich 2018 mit dem Gendersternchen befasst und beschlossen, es nicht in den Duden aufzunehmen. Damit ist seine Verwendung streng genommen ein Rechtschreibfehler. Damit sollen alle Geschlechter angesprochen werden, trans- und intergeschlechtliche Menschen, Frauen und Männer. Die neue Formulierung ist Teil der Strategischen Ziele des Kreises bis 2023, die im jüngsten Kreistag beschlossen worden sind. Das Papier ist lange vorbereitet worden. Dennoch drehten die Abgeordneten in puncto Diversität eine extra Diskussionsrunde. „Kein weiterer Bedarf“: Der Grund: Die Alternative für Deutschland (AfD) wollte den Zusatz streichen lassen. „Sie glauben doch nicht wirklich, dass es mit dem Malen von Sternchen getan ist?“, polterte Sven Wendorf. Er sprach von „Hysterie“ und „Wahnsinn“, „Zirkus“ und „Augenwischerei“. Man komme dann nicht umhin, die gesamte Sprache umzugestalten. „Lassen Sie die Finger davon. Es ist nicht Aufgabe der Verwaltung oder Politik da einzugreifen.“ Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen würden regelmäßig bedacht. „Ich sehe keinen weiteren Bedarf“, meinte Parteikollege Christian Waldheim. „Repräsentanten der Bevölkerung müssen die Sprache der Bevölkerung sprechen“, verpackte Joachim Brunkhorst (CDU) seine Meinung zum Thema dezenter. Er gehörte zu den vier Mitgliedern von Christdemokraten und Sozialdemokraten, die sich der Stimme enthielten. „Das Sternchen wird nicht gesprochen. Die Verständlichkeit wird dadurch geschwächt. Ich werde mich enthalten, obwohl ich die Ziele unterstütze.“ Julia Tonn (32), Wahlstedt: „Ich habe das mit dem großgeschriebenen I schon für unnötig gehalten. Mir ist die Schreibweise völlig egal. Ich fühle mich nicht benachteiligt, wenn die männliche Form verwendet wird.“ Peter Weißbach (70), Bad Segeberg: „Ich halte das Sternchen zwar für klar erkennbar. Aber kein Modell hat sich bei der Sprache richtig durchgesetzt. Das zeigt ja schon die Schwierigkeit: Es ist ein unnötiges Thema. Jahrelang hat es auch anders funktioniert. Die Gleichberechtigung ist überall angekommen. ,Bürgerinnen und Bürger’ zu verwenden, ist persönlich genug. Statt weiterer Konstrukte könnte man die Form auch einfach abwechseln.“ Leslie Zylla (26), Bad Segeberg: „Frau ist Frau und Mann ist Mann. Es ist schön, dass alle Menschen so unterschiedlich sind. Das in Form von Sprache festzuhalten ist nicht nötig. Das soll niemanden ausgrenzen. Ich kenne jemanden, den das betrifft. Die Person bleibt die gleiche und ich nehme sie an, wie sie ist.“ Iris Schmidt (55), Schlamersdorf: „In dem Punkt streite ich regelmäßig mit meiner Tochter. Sie findet es gut, ich finde es unlesbar. Ich habe auch keine Lösung dafür, aber man sollte es nicht auf Sprache reduzieren. Mit Damen und Herren ist klar, dass auch alle dazwischen gemeint sind. ,Mitbürger’ spricht alle „innen“ genauso an wie alle Kinder. Ich finde es korrekt, dass man sich Gedanken macht über Gleichberechtigung und Akzeptanz. Aber in der Sprache ist es unschön. Es lässt sich weder sprechen noch lesen. Ich glaube nicht, dass sich dadurch die Akzeptanz erhöht.“ Christian Zylla (34), Bad Segeberg: „Mir ist es egal, ob der Stern dort steht oder nicht. Mich betrifft das nicht. Das mag für andere anders sein, die sich über die Identität mehr Gedanken machen. Ich würde bei der Sprache nicht differenzieren. Früher ging es ja auch ohne.“ Gerhild Anhalt (65), Bad Segeberg: „Ich finde die Veränderung nicht gut. Man soll die Sprache so lassen wie vorher. Männer und Frauen anzusprechen reicht. Weitere Veränderungen machen keinen Sinn.“ Augenrollen beim restlichen Kreistag. „Ich spreche hier als jüngste Abgeordnete. Ein Ziel muss vor allem verlässlich sein. Schreiben Sie sie fort, erfinden Sie sie nicht wieder neu“, forderte Miriam Raad (FDP). Dem Grünen-Fraktionsvorsitzenden Arne Hansen war es wichtig, dass genderneutrale Sprache „irgendwann den Eingang in den konservativen Kreis findet“. „Sehr geehrte Anwesende...“ – Die Ansprache der stellvertretenden Kreispräsidentin Ulrike Täck (Grüne) erntete schließlich Beifall. „Als ich damals ein technisches Fach studiert habe, gab es in unseren Reihen zwei Damen. Die Professoren haben sich erlaubt, uns mit ,Fräulein’ anzusprechen. Das war damals schon mindestens diskriminierend“, so die studierte Ingenieurin und Professorin. Gendersprache an Hochschulen völlig normal: „Heute sagt man bei mir an der Hochschule ,Studierende’. Man würde nicht im Traum darauf kommen, das Gendersternchen nicht anzuwenden. Verwaltungen machen es, alle Hochschulen machen es. Das ist nichts Neues! Sprache ist sehr lebendig. Wenn sie sich nicht verändern würde, würden wir heute noch mittelhochdeutsch sprechen.“ Der Kreistag stimmte mehrheitlich für das Sternchen. Für die strategischen Ziele übrigens auch. „Ich stimme den Zielen zu, ob mit oder ohne Sternchen“, sagte Klaus-Peter Schröder, Vorsitzender der FDP-Fraktion. „Es ist vor allem darauf zu achten, dass sich die Ziele auch verstetigen.“ Weiterlesen: In Ostholstein ist das Gender*Sternchen noch die Ausnahme Gender-Stern: Wörter scheren sich nicht um das biologische Geschlecht Pro Gendern: Sprache ist ein scharfes Schwert Kontra Gendern: Taten zählen mehr als Worte Von Irene Burow

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