Lost Places: Der ehemalige Truppenübungsplatz bei Wittenborn

So idyllisch, wie es jetzt für Spaziergänger auf den Wegen ist, war es nicht immer. Nichts zeugt im Wald davon, dass sich die Gemeinde Wittenborn in den 1960er Jahren vehement dagegen wehrte, dass hier einmal Soldaten in Schützengräben liegen und sich bekämpfen. Dass sie angreifende Flieger vom Himmel holen und militärische Manöver mit Kampfpanzern durchführen würden. Alles nur zu Übungszwecken. Dennoch, etwas Krieg vor der Haustür, wer hat den schon gern? Im Februar 1961 lehnt die Gemeindevertretung die Einrichtung eines Standortübungsplatzes für die Bundeswehr ab. Wohnraum sei wichtiger als die Brandgefahr durch Munition, hieß es damals. Da waren die ersten drei Kompanien des Panzergrenadierbataillons 182 bereits von Boostedt in die neue, spätere Lettow-Vorbeck-Kaserne in Bad Segeberg eingezogen. „Es ist schon erstaunlich, dass sich die Gemeinde so lange wehren konnte, obwohl alles längst beschlossene Sache war“, sagt der Wittenborner Ortschronist Jörg Reimann. Nach jahrelangem Streit war Erholungsgebiet dahin: Gestritten wird damals vor allem um das Wegenetz bei Wittenborn. Die Waldflächen gehörten ohnehin dem Staat. Noch bis 1966 sollte es dauern, bis der Bund rund 3,5 Hektar Wegefläche von der Gemeinde erwirbt. Immerhin: Der Hartnäckigkeit der Kommunalpolitiker um Bürgermeister Hein Juister ist es zu verdanken, dass der Truppenübungsplatz damals zum Ausgleich etwas weiter nach Westen verschoben wird und ein Grünstreifen als Pufferzone zum Ort entsteht. „Nur einen Ärger gibt es im Dorf: Der Verlust der schönen Spazierwege“, schreiben die Lübecker Nachrichten 1965. Das Erholungsgebiet ist dahin. Jetzt, ein halbes Jahrhundert später, haben die Ausflügler es wieder. Mehr als 40 Jahre lang hatte es Kampfhandlungen in dem militärischen Sperrgebiet gegeben. Eine alte Geländekarte zeugt von Schießständen für Maschinenpistolen, Granatpistolen, Kleinkalibern oder Mörsern, den kurzen Steilfeuergeschützen. Es gab einen Hubschrauberlandeplatz, Biwakplätze und gekennzeichnete Flächen für „Combat in towns“ (Kampf in Städten) oder „Combat in Woods“ (Kampf in Wäldern). Soldaten zogen nach rund 50 Jahren ab: 2009 ziehen die letzten Soldaten ab. Ein Jahr später wird eine alte amerikanische Panzerbrücke vom Typ M48 verladen und nach Boostedt gebracht. Sie war längst im Boden versackt. Gedacht war das 14 Tonnen schwere Monstrum ursprünglich zur mobilen Überwindung von Hindernissen wie Bächen oder Gräben, diente in Wittenborn aber viele Jahre den Fahrern von Lastern oder dem Schützenpanzer „Marder“ zu Übungszwecken. Bei vier Metern Breite brauchte es reichlich Übung, um nicht „abzustürzen“... Knapp 20 Kilometer Wege führen über den Truppenübungsplatz. Wer den Rundweg entlang spaziert, ist etwa vier Stunden unterwegs. Die Wege zu verlassen, ist verboten. 330 Hektar umfasst das Gelände des ehemaligen Truppenübungsplatzes. 294 Hektar sind als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Ein Großteil des Geländes gehört dem Bundesforstbetrieb Trave mit Sitz in Mölln, einer Abteilung der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima). Das Revier Boostedter Heide, für das seit November 2020 Bundesförsterin Svenja Weihe zuständig ist, umfasst die ehemaligen militärischen Flächen in Boostedt, Wittenborn und Todesfelde sowie 100 Hektar bei Ruhwinkel. Die Natur erobert sich die letzten noch vorhandenen Relikte des militärischen Terrains langsam zurück. Zwar sind Gräben längst verschüttet und Häuser abgerissen. Doch wer wachen Auges spazieren geht, wird einiges noch entdecken. Was etwa wie ein stillgelegtes Freibad aussieht, war im Grunde auch eines. Nur eben für Panzer. Am Rande des Übungsplatzes wurde die Waschanlage einst eingerichtet, um die Kettenfahrzeuge nach Kampfeinsätzen im Gelände vom Modder zu befreien. Nur noch die Betonbecken sind heute erhalten. In ihnen wächst Schilf und eine junge Birke. Letzte sichtbare Relikte auf dem Truppenübungsplatz: Auf der Freifläche daneben standen einst zwei halb geschlossene Wände. Drei Soldaten auf jeder Seite bedienten mit Hebeln die großen Schwenkdüsen. „Da war immer ordentlich Modder auf den Panzern“, erinnert sich Wolfgang Teegen. Mehr als zehn Jahre war er als Zugführer, und bis 2006 schließlich als Kompaniefeldwebel in der dazugehörigen Lettow-Vorbeck-Kaserne stationiert. Wenn der pensionierte Wittenborner heutzutage im Wald seine Laufstrecke absolviert, blickt er auf eine Menge Erinnerungen zurück. „Das Wasser kam mit Hochdruck aus den Düsen, sonst hätte man gar nicht zurück auf die Straße fahren können“, erklärt er. Anschließend wurde das schwere Gerät weiter per Hand gereinigt. Über einen großen Kreislauf und ein Filtersystem sei das Wasser in den Becken geklärt worden, austretende Öle oder Betriebsstoffe über einen Ölabscheider herausgefiltert. „In den Becken schwammen sogar Karpfen, daran konnte man sehen, wie sauber das Wasser war“, sagt Teegen. Bis zu 40 Fahrzeuge werden es wohl gewesen sein, die man so pro Tag habe reinigen können. Panzerwaschanlage: Dreck mit Hochdruck entfernt: Eine baugleiche Panzerwaschstraße gebe es noch auf dem Boostedter Übungsgelände, erklärt die zuständige Revierleiterin der Bundesforst, Svenja Weihe. Bis vor Kurzem hätten hier noch Baracken gestanden. Immer wieder wurde jedoch randaliert, deshalb ist alle Technik zurückgebaut worden, berichtet Bürgermeister Thorsten Lange. Mit den umliegenden Feuerwehren gebe es aber ein Abkommen: Im Falle von Waldbränden darf Wasser entnommen werden. Dafür sei die zentrale Lage optimal. Auch das Technische Hilfswerk probt hier ab und an den Ernstfall. Mitten auf dem Gelände standen vor Jahren noch einzelne Übungshäuser. Es gab verschiedene Szenarien, zum Beispiel Angriffe aus der Bevölkerung. Dafür wurden ganze Dörfer nachgebaut, um Soldaten auf Auslandseinsätze vorzubereiten. Immer wieder wurden die Häuser mit Wurfankern gestürmt und der Umgang mit Widerständlern geübt. War das Biwakieren nicht mehr möglich oder das Wetter doch zu ungnädig, wurde in den „Üb-Häusern“ zuweilen auch das Nachtlager aufgeschlagen. Fliegerabwehranlage, Tunnelsystem und Schützengräben: Nur ein Gebäude hat die Bundeswehr überlebt. Es wurde zu einer Fledermausforschungsstation umgebaut und wird als Quartier immer besser angenommen. Ein bundesweit einmaliges Projekt. Zu den sichtbaren Überbleibseln der Kampfzone zählen auch zwei verrostete Masten, die mit ihrer rot-weißen Farbe an Schranken erinnern. Kaum jemand würde denken, dass sie früher als Fliegerabwehranlage genutzt worden sind. An Zugseilen spannte man zwischen den beiden Bauten ein kleines Flugobjekt, das sich mit einem Motor vorwärts bewegte. Die im Gelände verschanzten Soldaten konnten das Objekt dann mit ihrem Flugabwehrgeschützen ins Visier nehmen. Es braucht schon eine Menge Fantasie, um sich vorzustellen, wie in der Idylle der westlichen Heidelandschaft ausgediente Panzer standen. Trainiert wurde hier etwa das Absitzen oder der Feindkontakt. Längst nicht mehr sichtbar ist zudem ein begehbares und verschachteltes Tunnelsystem. Als Teil der Übungen lebte die Armee unter anderem tagelang unter der Erde. Oder sie übte Verteidigungsszenarien aus dem offenen Schützengraben. Das 50 bis 60 Meter lange unterirdische Stellungssystem ist, wie vieles andere auch, inzwischen verschüttet worden. Von Irene Burow