Lost Places: Die alte Nazi-Wache am Rande des Segeberger Forstes

Die Bäume rundherum sind gefällt. Das Schild mit der Hausnummer 1 baumelt, nur noch von einem rostigen Nagel gehalten, an der roten Backsteinfassade. Die grünen Fensterläden bräuchten dringend einmal frische Farbe, der alte große Kachelofen im Untergeschoss hat längst ausgedient und wird abgerissen. Das kleine Häuschen gleich hinter dem Hochregal-Lager der Firma Pelz ist in die Jahre gekommen. Verwohnt. Runtergekommen. Für jemandem, dem es egal ist, ein Fall für die Abrissbirne. Doch das Haus soll bleiben. Das haben die Besitzer, Familie Pelz, beschlossen. Auch, weil es ein Stück Wahlstedter Geschichte ist. Denn anders, als viele glauben, ist es gar kein altes Forsthaus. Auch wenn es, bevor gewerbliche Zweckbauten ihm auf die Pelle rückten, mitten im Wald stand. Genauer gesagt im Arkowald. Teil des Marineartillerie-Arsenals: Die hölzerne Treppe hoch ins Dachgeschoss knarzt bei jedem Schritt. Schwere Soldatenstiefel haben die Stufen abgewetzt. Das quadratische, schnörkellose Gebäude war eine der Wachen des einstigen Marineartillerie-Arsenals, das von 1937 an entstanden war. Dort schindeten die Nazis während des Zweiten Weltkrieges mehr als 2000 Zwangsarbeiter zur Überarbeitung von Munition. Eine Feldbahn führte in den Forst, wo mehr als 200 Munitionshäuser aus Beton in Erdhügeln versteckt waren. Von den Fenstern der einstigen Wache aus öffnet sich ein weiter Blick hinein in den Wald und zu einer wichtigen Verbindungsstrecke. Noch heute sind dort Reste der alten Anlagen zu entdecken, spinnt sich ein feines Netz aus schmalen Pfaden, wo einst Schienen lagen. Auf einem vergilbten Nachkriegsfoto stehen ein paar britische Soldaten vor der Wache. Eine Hinweistafel gibt Erklärungen dazu. Wie ihr Alltag aussah, ist nicht dokumentiert. Auch nicht der Alltag ihrer Vorgänger oder der Menschen, die hierher verschleppt worden waren. Ein kaum noch zu erkennender, gepflasterter Weg führt rund um das Gebäude. Wenn die Backsteinmauern reden könnten, sie hätte sicherlich viel zu erzählen. Die Anlagen überdauerten Krieg und Besatzung, wurden so zum friedlichen Grundstein für die Ansiedlung von Gewerbe sowie Industrie in Wahlstedt. Und die alte, geräumige Wache mit ihren vier großen Räumen im Erd- und denen im Dachgeschoss wurde Jahre nach dem Krieg das Zuhause von Silvius Wodarz und seiner Familie. Zuhause für Wahlstedts berühmtesten Umweltschützer: Der Forstdirektor, Umweltschützer und Naturbewahrer, der bis 1995 die Lehranstalt für Forstwirtschaft der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein in Bad Segeberg führte, machte es damit zum Forsthaus. Vielleicht kam der 1930 in Oberschlesien geborene Mann genau hier, beim herrlichen Ausblick in den Wald, 1972 auf den Gedanken, einen Umweltschutzverein in Wahlstedt zu gründen. Gut möglich auch, dass genau hier ein paar Jahre später die Idee geboren wurde, dass der Verein den Baum des Jahres ausrufen könnte, um für den Wald zu sensibilisieren und seine Bedeutung im ökologischen Zusammenspiel deutlich zu machen. Die Inschrift „Catarina Wodarz 1981“ und die in den Pfosten geritzten Worte „Der Herr beschütze deinen Weg“ sind auch nach fast 40 Jahren noch deutlich zu lesen. Das Holzkreuz mit dem Dach auf der Brücke über die Trave bei Schackendorf erinnert an den gewaltsamen Tod von Catarina Wodarz. Die damals 16-jährige Tochter von Helgard und Silvius Wodarz wurde am Morgen des 9. Juli 1981 hier tot in ihrem Blut liegend gefunden. Das Mädchen war erschossen worden. Der Täter, Wolfgang M., stellte sich später und wurde als gemeingefährlich in die Psychiatrie eingewiesen. In den 1990er-Jahren gelang ihm die Flucht. Wolfgang M. wurde bundesweit auch über das Fernsehen gesucht und schließlich gefasst. Seither sitzt er in Sicherungsverwahrung. Eine schwere Tragödie überschattete das Leben im „Forsthaus am Arkowald“, als Silvius Wodarz’ Tochter 1981 ermordet wurde. Die Ehe der Eltern zerbrach. Jahre später wohnte schließlich ein Pelz-Mitarbeiter in dem Haus, das wenig Beachtung fand. Bestenfalls der Hund, ein weiß-brauner Mischling, der am Zaun beeindruckte, ist manchem, der an diesem vergessenen Ort vorbeischlendert, noch in Erinnerung. Die Volkshochschule Wahlstedt bietet geführte Touren durch das ehemalige Gelände des einstigen Marine-Artillerie-Arsenals Fahrenkrug-Wahlstedt für Gruppen, Familien und Schulklassen an. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad wird das Gebiet bei einem Rundkurs erklärt. Die Teilnehmer erfahren unter anderem Wissenswertes über fast 70 der noch erhaltenen Gebäude. Anmeldungen über das VHS-Büro, Waldstraße 1 in Wahlstedt. Es ist dienstags und donnerstags zwischen 15 und 17 Uhr besetzt; Telefon 045 54/59 12, E-Mail-Adresse vhs.wahlstedt@t-online.de Wie vor 50 Jahren bekommt das kleine unscheinbare Gebäude nun erneut eine neue Bestimmung. „Innen ändert sich alles“, sagt Michael Matthusen von der Firma Pelz beim Rundgang und plaudert aus Vorhaben und dem geplanten Umzug seiner Abteilung an den Waldrand. Das Unternehmen wachse stetig und das Häuschen wären für seine Abteilung genau richtig. „Hier kommen zwei Besprechungsräume hin, die miteinander verbunden und zu einem vergrößerbar sind. Das da wird Besucherbereich und hier entsteht mein Büro.“ Die alte Treppe müsse wohl weichen und ein irgendwann in den vergangenen 70 Jahren zugemauertes Fenster werde wieder geöffnet. Wände sollen versetzt und alles modernisiert werden. „Ach, das wird schon schön“, sagt Matthusen und versichert: „Das äußere Erscheinungsbild soll erhalten bleiben.“ Von Heike Hiltrop