„Negernbötel“ in Segeberg: Können Ortsnamen rassistisch sein?

Angesichts von Alltagsrassismus und zunehmender sprachlicher Sensibilität sorgen einige Ortsnamen mindestens für Verwirrung. So muss ein kleines Dörfchen im Sauerland sich dieser Tage quer durch die Bundespresse Rassismus-Vorwürfe gefallen lassen. Grund ist der Ortsname Neger. Er liegt im Negertal, ist unterteilt in Unterneger, Mittelneger und Oberneger. Die Namen sind mehrere Jahrhunderte alt. Rund 400 Menschen wohnen hier, und wohl niemand unterstellt ihnen automatisch aufgrund des Ortsnamens fremdenfeindliche Neigungen. Sprachwissenschaftler: Negernbötel könnte problematisch sein: Der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch, der sich mit politisch korrektem Sprachgebrauch befasst, sieht im Norden weitere umstrittene Ortsnamen: Darunter auch Negernbötel im Kreis Segeberg, Mohrkirch im Kreis Schleswig-Flensburg oder Groß Mohrdorf in Mecklenburg-Vorpommern. „Das N-Wort ist extrem herabwürdigend, es ist in der deutschen Sprache eines der als am schlimmsten als diskriminierend empfundenen Worte überhaupt“, sagt der Forscher und regt zum Umdenken an. „Man sollte Debatten über den Ortsnamen nicht gleich abblocken. Ortsnamen sind nicht heilig, wenn eine Gesellschaft und ihre Werte sich ändern“, unterstreicht er. Segeberg verfügt noch über weitere kuriose Ortsnamen, darunter das Dorf Berlin, das schon oft für Verwechslungen gesorgt hat. Das morbide klingende Todesfelde oder auch Groß Kummerfeld – nicht auszudenken, es würde drinstecken, was drauf steht. Gelten lassen könnte man das vielleicht lediglich bei den zwei Dörfern im Namen des Hasen – Hasenmoor und Hasenkrug – wo Meister Lampe tatsächlich öfter auf den umliegenden Feldern gesichtet wird. Und so findet sich aktuell auch die knapp 1000-Seelen-Gemeinde Negernbötel in Berichten des Tagesspiegels, der Welt, des Focus und sogar RTL wieder. Anfragen haben Bürgermeister Marco Timme zwar noch nicht erreicht. An den Einwohnern ist die Debatte gleichwohl aber nicht vorbeigegangen. „Ich wurde schon darauf angesprochen“, sagt Timme. Am liebsten möchte er jedoch sofort abwinken. Das Fass gar nicht erst aufmachen. Wieder, muss man sagen – denn neu ist die Frage für die Dorfbewohner keineswegs. Begriff ist immer mal wieder Thema im Ort: „Wir wissen um die Bedeutung. Das ploppt alle Jahre wieder hoch“, sagt der Bürgermeister. Sein Vorgänger Dieter Beuk habe ihn schon vorgewarnt. Er nimmt es sportlich, ist aber auch verärgert: „Bei uns lebt nicht ein Rassist. Wir haben so großen Zuspruch. Wen das stört, kann ja woanders wohnen“, meint Timme. Es gebe viele andere fragwürdige Ortsnamen. Den Namen Negernbötel gebe es schon seit Hunderten Jahren. „Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber so ist er eben irgendwann entstanden.“ Stein des Anstoßes ist das Wort Neger, das abgeleitet vom Lateinischen „niger“ die Bedeutung „schwarz“ oder „dunkel“ vermuten lassen könnte. Im Sauerland wurde der Ort nach einem kleinen Fluss benannt. Im Segebergischen ist der Ursprung aber wohl im Niederdeutschen zu finden. „Neger“ übersetzt das Plattdeutsch-Wörterbuch mit „näher“. Namenskundler Hanswilhelm Haefs beschreibt in seinem Büchlein „Deutschsprachige Ortsnamenkunde“ den Zusammenhang mit der Entstehung von Fehrenbötel. Negernbötel bedeutet „Nähere Siedlung“: „Die ursprünglich wendischen Siedlungen gehörten nach Gründung des Segeberger Klosters zu den Klosterdörfern. Der Name taucht Ende des 12. Jahrhunderts erstmals in Urkunden auf“, erklärt Segebergs Stadthistoriker Hans-Werner Baurycza. „Als Botele (,Bötel’) bezeichnet man eine Siedlung. ,Negern’ ist die Bezeichnung für eine ,nähere’ Siedlung. Im Gegensatz zur Ortschaft Fehrenbötel, die die ,fernere’ Siedlung zu Segeberg bezeichnet“, sagt er. Problem dabei sei insgesamt auch, dass verschiedene Interpretationen zu finden seien. Eine Umbenennung lehnt Bürgermeister Marco Timme jedenfalls entschieden ab: „Wir wollen in der Gemeinde etwas bewegen. Wir haben wirklich andere Aufgaben. Der Ortsname kommt in der Liste da erst ganz ganz ganz weit hinten“, sagt er. „Warum sollte man den jetzt ändern, wenn das all die Jahre kein Thema war?“ Dann müsste man schließlich sämtliche Namen überdenken. Wer zum Beispiel nicht christlichen Glaubens sei: „Hätten Begriffe wie ,Schönkirchen’ oder ,Neukirchen’ dann automatisch einen fragwürdigen Charakter?“ fragt er. Muslime könnten sich dadurch gestört fühlen. „Die Kette geht ja immer so weiter.“ „Man kann den Ortsbewohnern nicht vorwerfen, dass sie in dem Ort leben, der so heißt. Aber man kann ihnen einen Perspektivwechsel abverlangen“, sagt hingegen der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch. Es müsse schon eine Bereitschaft zum Nachdenken geben, dass der Ortsname verletzend wirken könne. Die Herkunft eines Namens spiele eine weniger wichtige Rolle als die heutige Bedeutung. Menschen könnten sich diskriminiert fühlen: Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) erklärt, dass Bundestreffen der Initiative bereits im Sauerland stattgefunden hätten. „Es gab einige, die entsetzt waren, als sie durch den N-Ort gefahren sind“, berichtet er. Aufgekeimt war die Debatte im vergangenen Jahr nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen Polizisten in den USA. Auch in Deutschland gingen Tausende Menschen gegen Rassismus auf die Straße. Beim Bürgermeister der Stadt Olpe, zu der der Ort Neger gehört, gingen daraufhin mehrere Schreiben ein, in denen die Umbenennung des Dorfes gefordert wurde. Schilder wurden beschmiert. Vandalismus lässt sich zumindest auch für Negernbötel nicht abstreiten: „Immer wieder werden hier die Ortseingangsschilder geklaut“, sagt Bürgermeister Timme. „Sie glauben ja nicht, wie oft wir die Ortstafeln erneuern müssen...“ Von Irene Burow