Neues Buch: Zeitzeugen erinnern sich an das Kriegsende in Bad Segeberg

Dieses Segeberger Geschichtsbuch hat viele Väter und Mütter: In einer bislang einmaligen Zusammenstellung von Zeitzeugenberichten ist jetzt noch rechtzeitig vor Weihnachten im Buchhandel die Dokumentation über das Kriegsende 1945 in Bad Segeberg erschienen. Zusammen mit Schülern der Dahlmannschule hatten Herausgeber Peter Zastrow und Oberstudienrat Dr. Christopher Schumacher dafür Zeitzeugen besucht. Anlass war das Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Diktatur in Bad Segeberg vor 75 Jahren. Die 15- bis 16-jährigen Jugendlichen befragten die betagten Menschen, die zum Kriegsende ungefähr so alt waren wie sie selbst. Es war die Zeit, als die Herrschaft des Nationalsozialismus zusammenbrach und die britischen Besatzungssoldaten nach Bad Segeberg kamen. „Wichtig war uns, die Menschen zu befragen, die hier in Bad Segeberg großgeworden sind“, erzählt Zastrow. Die Erinnerungen von 30 Zeitzeugen sind dokumentiert, einige haben ihre Erlebnisse auch schon vor Jahren zu Papier gebracht, wie der inzwischen gestorbene frühere Bürgervorsteher Bruno Haaks. Bruno Haaks wurde das Messer abgenommen: Er sah mit eigenen Augen, wie am 3. Mai beim Näherrücken der Engländer deutsche Soldaten Maschinengewehre an eisernen Laternen zerstörten und sich die Abzeichen von den Uniformen rissen. Der kleine Bruno wurde direkt an der Eisenbahnbrücke Oldesloer Straße von anrückenden Truppen überrascht. „Plötzlich umstellten mich drei britische Soldaten und richteten ihre Waffen auf mich. Ein Soldat nahm mir meinen ganzen Stolz, mein Fahrtenmesser, ab.“ Es ging das Gerücht um, dass deutsche Jungs trainiert waren, feindliche Soldaten mit dem Fahrtenmesser zu ermorden. Die bewegenden Aussagen der alten Menschen wurden aufgezeichnet, so hat man auch ein akustisches Zeitdokument. Die dramatischen Tage und Wochen sind aus der Perspektive von Jugendlichen dargestellt, das Ganze wird aber von Geschichtslehrer Schumacher und Peter Zastrow historisch eingeordnet. Mitgewirkt hat an dem Buch auch Hans-Werner Baurycza, der viele Fotos aus seinem Kalkbergarchiv beisteuerte. 15-Jähriger fuhr mit Wehrmacht-LKW: In dem Buch ist zu lesen, was die Jugend von damals bewegte, wie sie erst die verordnete Nazi-Ideologie verkraftete, dann den Zusammenbruch des Systems und die britische Besatzung, die Häuser und Wohnungen räumte. Dabei war Bad Segeberg – zumindest äußerlich – vom Krieg weitgehend verschont geblieben. Nur wenige Bomben fielen auf die Stadt. In dem Buch geht es um den „Vehicle Park“ auf der Rennkoppel, Hausbesetzungen, die Siegesfeier der Briten und wie ein 15-Jähriger namens Karl-Willy Jansen mit einem Büssing-LKW stehend durch Bad Segeberg fuhr. Ohne die Hilfe der Stiftung Sparkasse Südholstein und dem Lionsclub Segeberg hätte das Buchprojekt nicht verwirklicht werden können, teilte Herausgeber Peter Zastrow bei der Buchvorstellung „Kriegsende 1945 in Bad Segeberg“ dankbar mit. Interessierte bekommen das jetzt erhältliche, 172 Seiten starke Werk von der Geschichtswerkstatt VHS Segeberg trotz Corona-bedingter Schließung in den örtlichen Buchhandlungen. So kann man es bei der Buchhandlung am Markt und im „Druckwerk“ per Anruf bestellen. Dort kann man es an der Ladentür gegen Rechnung abholen oder sich innerhalb Bad Segebergs per Lieferservice bringen lassen. Das Buch kostet 19,80 Euro und ist in einer Auflage von 400 Exemplaren gedruckt worden. Der Vorzugspreis gilt bis 15. Januar. Danach soll das Buch 24 Euro kosten. Es sei jetzt dringend Zeit, die letzten Zeugen zu befragen, meint Zastrow. Eine Zeugin, die viel erzählen konnte, ist nur wenige Monate nach der Befragung durch die Schüler gestorben. Es sind auch die Details ihrer Erzählung, die das Buch so spannend und unterhaltsam machen. Zigaretten seien damals die wichtigste Währung gewesen, berichtet Zastrow. So waren die Jungen aufgerufen, bei den Besatzungssoldaten immer die Kippen aufzusammeln. „Aus sieben Kippen konnte man eine Zigarette drehen“, berichtet Zastrow schmunzelnd. Als die rasselnden Panzer kamen: Zeitzeuge Klaus Schierbeck erzählt in dem Buch, dass er am 3. Mai 1945 dabei war, als der amtierende NS-Bürgermeister August Marxen am Bad Segeberger Marktplatz vor versammelten Bürgern, Flüchtlingen und Wehrmachtsoldaten verkündete, dass er die Stadt soeben zusammen mit dem Stadtkommandanten Adler kampflos an die Engländer übergeben habe. Daher dürfe es keinen bewaffneten Widerstand geben. Erleichtert sei Schierbeck damals gewesen, dass es Engländer und keine Russen waren, die Bad Segeberg besetzten. Und dann seien auch schon die britischen Panzer „mit einem Getöse und Gerassel“ angefahren. Sie stoppten auf dem Marktplatz. Als englische Offiziere in das Modehaus der Familie Schierbeck eindrangen, sahen sie auch die gelagerten Schaufensterpuppen. Bei dem Anblick sagte ein Offizier: „Oh, nackend Lady.“ Im Kalkbergstadion, in dem acht Jahre zuvor noch NS-Propagandaminister Jospeh Goebbels 20 000 Menschen auf das 1000-jährige Reich eingeschworen hatte, war es im Juni 1945 dann der britische Oberbefehlshaber Bernard Montgomery, der seine Truppen bei einer Feierstunde in der ausgedienten „Nordmark-Feierstätte“ der Nazis empfing. Segeberger waren bei diesem rein britischen Ereignis zwar nicht zugelassen. Allerdings waren zuvor 100 Jugendliche der Stadt herangezogen worden, um im Stadion sauberzumachen und Unkraut zu jäten. Von Wolfgang Glombik