Patienten bringen sich aus Angst vor Corona in Lebensgefahr

Kliniken im Norden schlagen Alarm. Offenbar verzichten viele Menschen aus Sorge vor einer Corona-Infektion nicht nur auf verschiebbare Arztbesuche, sondern sogar bei lebensbedrohlichen Erkrankungen auf eine Behandlung in der Klinik. Dabei sei die Lebensgefahr dadurch oft deutlich höher als bei einer Corona-Ansteckung, warnen Ärzte. „Wir bemerken in den Notaufnahmen und auf den Stationen insgesamt eine rückläufige Anzahl von Patienten, insbesondere von Patienten mit schweren und lebensbedrohlichen Erkrankungen, von denen viele womöglich aus Angst vor einer Corona-Infektion eine dringend notwendige Behandlung in der Klinik vermeiden. Dadurch bringen diese Patienten sich mitunter in Lebensgefahr, denn die Grunderkrankung ist oft weit gefährlicher als das Risiko einer Corona-Ansteckung“, sagt Mathias Eberenz, Sprecher der Asklepios-Kliniken, die unter anderem Kliniken in Hamburg, Bad Oldesloe und Bad Schwartau betreiben. Wer unsicher ist, soll sich melden: Auch die Segeberger Kliniken bestätigen die Lage. „Wir beobachten seit Beginn der Corona-Krise, dass weniger Herz-Patienten in unsere Klinik kommen und sehen leider bei verzögerter Behandlung auch unnötig schwere Krankheitsverläufe“, sagt Prof. Gert Richardt, Chefarzt im Herz- und Gefäßzentrum der Segeberger Kliniken. Die Betreuung der Patienten mit Herz- und Gefäßerkrankungen dürfe aber auch während der Pandemie-Bekämpfung nicht vernachlässigt werden. Patienten mit akuter Luftnot, Brustschmerzen oder Herzrhythmusstörungen müssten weiterhin direkt über den Rettungsdienst in die Klinik kommen und würden unter strenger Beachtung aller Hygienemaßnahmen sofort behandelt. Keine Termine ohne Rücksprache einfach absagen: Auch Termine in den Ambulanzen solle man nicht ohne Rücksprache einfach absagen. Ein Herzschrittmacher müsse überwacht und auch die Behandlung einer Herzschwäche regelmäßig kontrolliert werden. „Wer unsicher ist, darf sich bei uns telefonisch melden“, empfiehlt der Kardiologe. „Herzinfarkte, Rhythmusstörungen mit hohem Risiko für einen Herzstillstand oder Schlaganfälle sind lebensbedrohliche Krankheiten, die eine sofortige Behandlung erfordern. Wer aus Angst vor einer Infektion eine dringend notwendige stationäre Behandlung vermeidet oder auch nur verzögert, bringt sich in große Gefahr“, ergänzt Prof. Stephan Willems, Chefarzt der Kardiologie der Asklepios Klinik St. Georg. In den Kliniken würden aufwendige Schutzmaßnahmen zur Infektionsvermeidung vorgenommen. „Patienten haben daher kein erhöhtes Risiko, sich in der Notaufnahme oder auf einer Station anzustecken“, betont Prof. Willems. Ärzte sind beunruhigt: Ebenso ist der Chefarzt der Inneren Medizin der Segeberger Kliniken, Prof. Diether Ludwig, beunruhigt. Er sieht ähnliche Risiken für Patienten, die mit Diabetes, dem Verdacht auf ein Magengeschwür oder einer abgestimmten Tumordiagnostik den vereinbarten Terminen fernbleiben beziehungsweise den Besuch in der Ambulanz meiden. „Die Menschen befolgen den Rat der Politik, zu Hause zu bleiben. Das ist gut so. Leider werden in diesem Zusammenhang Empfehlungen vergessen, zeitkritische Erkrankungen trotzdem unverzüglich zu diagnostizieren und zu behandeln“, sagt Ludwig. Er sieht auch eine gewisse Gefahr, dass nach Rückkehr zur Normalität verlängerte Wartezeiten möglich sind. „Daher rate ich allen Patienten mit akuten Symptomen, sich unverzüglich in ärztliche Behandlung zu begeben.“ Das LN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Lübeck dienstags bis samstags gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Bei Asklepios sieht man die gleiche Gefahr. „Ohne Behandlung wachsen Tumore einfach weiter, dehnen sich in Bereiche aus, wo wir nicht mehr operieren können“, sagt Prof. Dirk Arnold, Ärztlicher Leiter des Asklepios Tumorzentrums Hamburg. Er warnt dringend davor, anstehende Behandlungen einfach bis nach der Pandemie auszusetzen oder begonnene Tumortherapien nicht fortzuführen. Psychologe: Aufmerksamkeit eingeengt: Dass die subjektive Angst vor einer Corona-Infektion größer ist, als vor den realen Folgen eines versäumten Klinikbesuchs zum Beispiel bei kardiologischen Problemen, lässt sich aus der Sicht von Oliver Bohlen, Erster Leitender Psychologe der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Bad Segeberg, durch verschiedene psychologische Mechanismen erklären. „Die Aufmerksamkeit der Menschen ist auf die Corona-Thematik eingeengt, da das Thema allgegenwärtig ist. Gefahren können unter diesem Druck mitunter nicht mehr sorgfältig abgewogen werden“, sagt Bohlen. Hier sei echte Aufklärung notwendig, damit die Betroffenen ihre bereits bestehenden Erkrankungen nicht aus dem Auge verlören. 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