Praktikumsplatz dringend gesucht: Corona macht Berufsorientierung schwer

Ein Praktikum, das ist für Jugendliche oft der erste Kontakt zum Berufsleben. Hier begreifen sie buchstäblich Arbeitsalltag. Nicht in der Theorie, sondern mit allen Sinnen und ganz praxisnah. Es ist die Gelegenheit, erstmals auszuloten, welcher Beruf der richtige sein könnte oder ob der anvisierte Traumjob der Vorstellung von ihm tatsächlich entspricht. Hier gewinnt der Nachwuchs grundlegende Einblicke, knüpft erste wichtige Kontakte zu Betrieben und muss sich bewähren. Doch der Start in die Berufsorientierung ist in der Pandemie nicht leicht, Praktikumsplätze sind knapp: „Momentan sieht es wirklich schlecht aus. Erst ein Viertel von 80 Schülern, die im Februar 2021 ein Praktikum antreten sollen, haben einen Platz“, sagt Timm Emser, Leiter der Dahlmannschule in Bad Segeberg, besorgt. Unternehmen sollen sich melden: „In der aktuellen Situation ist es für unsere Schüler besonders schwierig“, sagt der Schulleiter und richtet einen dringenden Appell an Industriebetriebe, Handwerk, Banken, Versicherungen und andere, Plätze für Schülerinnen und Schüler zur Verfügung zu stellen. „Ich weiß von einer Schülerin, die 14 Bewerbungen geschrieben hat – erfolglos. Für viele gab es nur Absagen, wenn sich die Unternehmen überhaupt gemeldet haben“, umreißt Emser die Situation – gut drei Monate, bevor es für die Oberstufe ins Wirtschaftspraktikum gehen soll. „Die Firmen bieten derzeit sehr wenig. Wir überlegen gerade, welche Alternativen wir bieten können, auch schulintern, wobei ein Aufenthalt in einem Betrieb ganz andere Impulse bietet.“ Gleiches gelte für die Berufspraktika der Mittelstufe (Neuntklässler). Die Schüler bekämen dabei einen sehr guten Eindruck. Eine reine Berufsbeschreibung könne das nicht leisten. „Viel Praxisbezug und eine wichtige Entscheidungshilfe. Hier zeigt sich, ob es wirklich das Abitur sein muss oder doch besser eine Ausbildung“, sagt Emser. Schulische Alternativen keine befriedigende Lösung: „Die Betriebe sind alle sehr, sehr vorsichtig geworden, was ich verstehen kann“, sagt Rüdiger Nelson, Leiter der Schule am Burgfeld. In der Poul-Due-Jensen-Gemeinschaftsschule, PDJS, in Wahlstedt sind jüngst nach Zu- immer mehr Absagen eingetrudelt, betätigt auch Schulleiterin Annette Grosse. „Bisher hat mehr als die Hälfte der drei betroffenen Klassen einen Platz“, sagt Lehrerin Ulrike Stoffers, zuständige Koordinatorin dort. Sie sei zwar auch besorgt, hoffe aber, dass sich die Situation entspannt. „Ja, es hat Schwierigkeiten gegeben, besonders in den Pflegeberufen, aber es kommen auch wieder Zusagen. Unser Notfallplan sieht schulische Alternativen wie Webinare und modulartige Orientierung vor.“ Timm Emser reicht das nicht: „Wir haben bisher keine befriedigende Lösung gefunden, wie eine Alternative aussehen kann.“ Er glaube nicht, dass solche Maßnahmen ein Praktikum ersetzen könnten. Weniger Ausbildungsplätze, weil Orientierung fehlt: Das wird von Unternehmerseite und im Handwerk ebenso gesehen: „Für die Berufsorientierung ist ein Praktikum einfach ein ideales Instrument“, betont Carsten Bruhn, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Mittelholstein. „Der Schüler stellt fest, ob es etwas für ihn ist, der Betrieb sieht, ob er das Zeug dazu hat und man lernt sich persönlich kennen.“ 850 Mitgliedsbetriebe in Segeberg und Neumünster gehören der Kreishandwerkerschaft Mittelholstein an (plus der Landesverband der Maler). Im vergangenen Jahr wurden 600 Ausbildungsverträge abgeschlossen. In diesem Jahr sind es bisher 500 und es gibt noch freie Stellen. 2700 aktive Ausbildungsbetriebe gibt es derzeit bei der IHK Lübeck, rund 500 davon im Kreis Segeberg. Schon jetzt zeichnen sich erste Auswirkungen ab: „Wir haben 100 eingetragene Ausbildungsplätze in Segeberg weniger als im vergangenen Jahr“, sagt Bruhn. Daran habe der Lockdown einen großen Anteil. Die Zahl der Bewerber sei vor allem dadurch zurückgegangen, dass gerade den Unentschlossenen die Berufsorientierung fehle. Bruhn: „Und natürlich gibt es auch Unternehmen, die aufgrund der Situation weniger Plätze besetzen und sehr vorsichtig sind.“ Nachwuchs und Betriebe kommen nicht zusammen: Es liegt nicht daran, dass die Plätze nicht da sind und auch nicht daran, dass die Schüler nicht da sind. „Ein Praktikum kann man nicht virtuell machen. Die jungen Menschen und die Betriebe kommen einfach nicht zusammen“, bedauert Dr. Ulrich Hoffmeister, Geschäftsbereichsleiter Aus- und Weiterbildung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Lübeck. Die Firmen betrieben Unsicherheitsminimierung. „Die sagen sich: ,Komm, ich lasse es in dieser Situation. Wenn jemand Corona einschleppt, muss ich die Bude dichtmachen.’“ Aktuell sei ein Minus in den Ausbildungsverträgen von elf Prozent zu verzeichnen. „Der Hauptgrund ist eindeutig Corona.“ Eine Idee, wie man die Situation der Schülerinnen und Schüler auf der Suche nach einem Praktikumsplatz verbessern könnte, habe er bisher noch nicht. Auch er appelliert: „Betriebe, öffnet die Tore – Ihr braucht sie.“ Von Heike Hiltrop