Schüleraustausch: Jahreswechsel im Corona-Lockdown und fern der Heimat

„Bei uns in Belgien kommt an Weihnachten die ganze Familie zusammen. Wir essen, die Kinder spielen, die Erwachsenen unterhalten sich“, erzählt Julie über den traditionellen Heiligabend in ihrer Heimat. Auf den Tisch kämen Champagner, Jakobsmuscheln, Austern und Gänseleber. In diesem Jahr verbrachte die 18-Jährige den 24. Dezember dagegen etwas anders als sonst. Sie feierte im kleinen Kreis, in einem fremden Land und mit einer anderen Familie – ihrer Gastfamilie, den Heuermanns. Auslandsaufenthalt mit „Experiment e. V.“: Julie wohnt seit August in Henstedt-Ulzburg (Kreis Segeberg) und bleibt noch bis zum kommenden Sommer. Ihren Schüleraustausch macht sie mithilfe der Organisation „Experiment e. V.“. Der gemeinnützige Verein vermittelt schon seit über 85 Jahren interkulturelle Begegnungen zwischen Menschen auf der ganzen Welt. Neben Auslandsaufenthalten für Schüler bietet Experiment auch Freiwilligendienste, Aupair- oder Demipair, Auslandspraktika und vieles mehr für Jugendliche und Erwachsene an. Andere Länder, andere Sitten: Und wie ist das so, das Fest so weit weg von zu Hause zu verbringen? „Viel Heimweh habe ich nicht“, sagt Julie. „Dafür fühle ich mich hier zu wohl.“ Allerdings staune sie schon über einige deutsche Traditionen. „Ich habe mich zuerst gewundert, dass es hier auch einen Nikolaus gibt“, berichtet sie lachend. Außerdem finde die Bescherung in Deutschland schon am Nachmittag oder frühen Abend statt. In ihrer Heimat packe man die Geschenke dagegen erst kurz vor Mitternacht aus und gehe anschließend zur Mitternachtsmesse in die Kirche. „Und danach feiern wir noch.“ Gedicht aufsagen als Familientradition: 53 Geschenke lagen Heiligabend unter dem leuchtenden Tannenbaum der Heuermanns. Bevor sie ihre eigenen öffnen durfte, musste Julie gemeinsam mit ihrer Gastschwester Katharina ein Gedicht aufsagen. „Es ist bei uns Tradition, dass unsere Tochter zur Bescherung etwas vorsingt oder aufsagt“, erklärt Mutter Claudia. Und dies gelte natürlich auch für die Gasttochter. Die elfjährige Katharina weiß, worauf es ankommt: „Wir behandeln sie eben, wie ein richtiges Familienmitglied.“ „Man muss sich auf den anderen einstellen“: Anschließend wurde gemeinsam Raclette gegessen. Das habe ihr besonders gut gefallen, sagt Julie, die sich vegan ernährt. Die besonderen Essgewohnheiten ihrer Gasttochter weckten bei den Heuermanns vor allem Neugier. „Für uns ist das sehr interessant“, erzählt Vater Carsten. Man könne viel voneinander lernen und Neues ausprobieren. „Julie hat schon ein paar Mal für uns gekocht und das war immer sehr lecker.“ Wichtig sei, dass beide Seiten, Gastfamilie und Austauschkind, offen für einander sind. „Man muss sich auf den anderen einstellen“, betont Claudia. Dazu gehöre, dass die Kinder lernen, sich an bestimmte Regeln in der Familie zu halten. Die Familie müsse aber auch bereit sein, den Kindern bestimmte Freiräume zu geben. „Sie sind hier als Schüler. Sie sollen das Land sehen, die Kultur kennen lernen, rausgehen und sich mit anderen treffen“, so die Gastmutter. Wegen Corona müssen viele Ausflüge warten: Vor der zweiten Corona-Welle sei das auch ganz gut gelungen. „Wir waren schon in Bonn und Hamburg, das war sehr schön“, erzählt Julie, die die 11. Klasse eines Gymnasiums besucht. In den Sommermonaten habe sie außerdem viel Sport gemacht und sich mit Freunden getroffen. Im Herbst wurden die Unternehmungen jedoch schwieriger. Kurz bevor der Lockdown am 16. Dezember kam, waren Julie und die Heuermanns für ein Wochenende in Bremen. „Wir sind gerade noch rechtzeitig zurückgekommen“, berichtet Carsten. Viele Wege führen ins Ausland – oder aus dem Ausland. Wer einen Schüleraustausch machen möchte, oder selbst Gastfamilie werden möchte, hat unterschiedliche Möglichkeiten. Zahlreiche Organisationen machen einen Austausch rund um die Welt möglich. Zu diesen zählen beispielsweise „Education First“ (EF), „Stepin – Highschool International“, die American Institute For Foreign Study (Deutschland) GmbH – kurz AIFS, die STS Sprachreisen GmbH sowie der Verein „Experiment e.V.“ und viele mehr. Außerdem veranstalten einige Schulen auch direkt Auslandsaufenthalte für die eigenen Schüler. In jedem Fall gilt: Wer einen Austausch machen möchte, sollte sich rechtzeitig informieren und mit der Planung beginnen, am besten schon ein halbes bis ganzes Jahr bevor es losgehen soll. Bei allen Notwendigkeiten, wie der Planung der Reise oder der richtigen Versicherung, helfen die Organisationen. Die Kosten für einen Auslandsaufenthalt können je nach Zielort und Bedingungen stark variieren. In der Regel liegen die Preise für mehrmonatige Aufenthalte aber bei mehreren tausend Euro. Wer Gastfamilie werden will, sollte sich ebenfalls an eine passende Organisation wenden. Diese informiert dann über alle nötigen Voraussetzungen und überprüft die Unterkunft. Die Auswahl von Gastfamilien und Schülern erfolgt je nach Organisation unterschiedlich. Auch die Voraussetzungen und Regeln für den Aufenthalt variieren. „Man muss eben kreativ werden“: Die weiteren Pläne, unter anderem nach Bochum, Berlin und an die schleswig-holsteinische Küste zu fahren, müssen nun erstmal warten. „Eigentlich wollten wir auch auf den Lübecker Weihnachtsmarkt, aber das fällt dieses Jahr leider ins Wasser“, bedauert der Gastvater. Um dennoch eine schöne Zeit zu verbringen, ließen sich die Heuermanns so manches Mal etwas einfallen. „Am zweiten Advent zum Beispiel, da haben wir unseren eigenen kleinen Weihnachtsmarkt im Garten veranstaltet“, erinnert sich Carsten. Über dem Lagerfeuer wurden Stockbrot und Würstchen gebraten, dazu gab es Punsch. „Man muss eben kreativ werden.“ Ausschlafen und puzzlen an den Feiertagen: An den Festtagen zwischen Weihnachten und Neujahr ging es dagegen eher ruhig zu. „Katharina und ich haben ausgeschlafen und den ganzen Tag gepuzzelt“, erzählt Julie strahlend. Ein eintausendteiliges Harry-Potter-Puzzle zeugt von der stundenlangen Arbeit. „Und wir haben Weihnachtsfilme geguckt“, ergänzt Gastmutter Claudia. Ein paar Tage einfach nur „rumzulümmeln“, das hätten sie alle gebraucht. Lesen Sie auch Silvester und Böller-Verbot: Das gilt in SH und Lübeck zum Jahreswechsel Corona-Krise: Karl-May-Spiele rechnen Szenarien für das kommende Jahr durch Impfzentren in SH öffnen am 4. Januar: So können Sie sich anmelden Corona in Schleswig-Holstein und Lübeck: Aktuelle Zahlen am 29.12.2020 „Wir hoffen auf das Frühjahr und den Sommer“: Für Silvester plant Julie einen Besuch bei ihrer Schulfreundin, die ganz in der Nähe wohnt. Ob alle gemeinsam auf das neue Jahr anstoßen werden, sei noch ungewiss. Das ginge schließlich nur, wenn die derzeit geltende Ausgangssperre am 31. Dezember gelockert wird, erklärt Gastvater Carsten. Für 2021 wünschen sich die Heuermanns, dass sie wieder viele gemeinsame Ausflüge unternehmen können. Carsten ist optimistisch: „Wir hoffen auf das Frühjahr und den Sommer.“ Von Rabea Osol