Segeberg: Frauenhaus Norderstedt ist ständig überbelegt

Die Gewalt an Frauen beschäftigt weiter Segebergs Politik. Allein mehrere Anträge verschiedener Fraktionen zum Thema Frauenhaus zeugen davon: es ist dringend. Im vergangenen Jahr wurde mehrfach Geld bereitgestellt, um externe Plätze für Frauen und ihre Kinder schaffen, die im eigenen Zuhause nicht mehr sicher sind. Die Debatte um ein zweites Frauenhaus im Kreis wurde noch vertagt, um eine Studie zum Bedarf in Schleswig-Holstein abzuwarten. Die ist jetzt da: Überbelegung und hohe Abweisungszahlen zeugen vom flächendeckenden Mangel an Plätzen. „Die Quote ist zu hoch, um sofortigen Schutz zu bieten. Frauen und deren Kinder sind gezwungen, in Gefährdungssituationen zu bleiben oder finden kurzfristig ,Unterschlupf’ im privaten Umfeld, wobei die Situation prekär bleibt“, heißt es in der Analyse. Ein Ausbau sei dringlich. Langfristiges Ziel ist ein zweites Frauenhaus: In Segebergs einzigem Frauenhaus in Norderstedt sind die Zahlen dramatisch. Rund 400 Frauen und Kinder mussten 2020 abgewiesen werden, rund 40 Prozent mehr als im Jahr davor. „Im Januar und Februar waren wir mit 113 Prozent überbelegt“, berichtet die Leiterin Anita Brüning. Im Durchschnitt ist es zu 99,5 Prozent ausgelastet. Die Kreispolitik will handeln. Zwar ist ein zweites Frauenhaus wohl noch nicht beschlussreif, jedoch soll es jetzt erneut Geld für neue externe Plätze und mehr Personal geben. 90 000 Euro werden bis Ende 2021 in Aussicht gestellt. Bundesweit sind im Jahr 2019 117 Frauen durch ihren Partner oder Expartner getötet worden. Darauf hat der Verein Frauenhauskoordinierung, der bundesweit Frauenhäuser und Beratungsstellen vernetzt, Anfang März aufmerksam gemacht. Demnach kämen jährlich rund 30 000 Frauen und Kinder in Deutschlands Frauenhäusern unter. Mehr als 14 000 Plätze würden fehlen. 115 000 Frauen würden laut Polizei häusliche Gewalt erleben. Das Dunkelfeld sei um ein Vielfaches größer. „Dennoch hat Deutschland nach wie vor kein Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen“, sagt Geschäftsführerin Heike Herold. Weiteres Geld soll für das Projekt „Frauen Wohnen“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes fließen, das im Kreis bestenfalls ausgeweitet werden soll. Zusätzlich werden alle amtsfreien Gemeinden und Ämter des Kreises um Unterstützung gebeten. Inwieweit werden schon Wohnungen für Frauen vorgehalten? Gibt es eine Bereitschaft, bei der Einrichtung von externen Plätzen zu helfen? Dieser Kompromiss, ein Dringlichkeitsantrag der CDU, hat gute Chancen auf Zustimmung im nächsten Kreistag. „Die Situation ist derzeit besonders angespannt“, sagt Christian Mann, Geschäftsführer der CDU-Kreistagsfraktion. Zu sehen sei das auch an der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer im Frauenhaus: mit 106 Tagen habe diese im vergangenen Jahr signifikant über dem landesweiten Wert gelegen. Grüne fordern 1,5 Millionen Euro für neue Einrichtung: Der Weg zu einem zweiten Frauenhaus ist damit nicht vom Tisch. „Das wird ein langer Prozess. Ich bin aber vorsichtig optimistisch, dass wir in diesem Jahr zu einer Absichtserklärung kommen“, sagt Christopher Schmidt (SPD), Vorsitzender des Sozialausschusses. In seinem Gremium war das Thema lange diskutiert worden. „Es ist zumindest keine grundsätzliche Verweigerung erkennbar“, so Schmidt. Allerdings gebe es noch Details zu klären, nicht alle Fraktionen zogen gleich mit. „Der Studie zufolge fehlten in Schleswig-Holstein 2019 zwischen 67 bis 101 Plätze in Frauenhäusern“, sagt Christine Künzel (Grüne). Das Problem der häuslichen Gewalt habe sich während der Pandemie noch verschärft. Die Belastung der Betreuungsteams sei auf Dauer zu hoch. „Das Frauenhaus soll ja als Krisenzentrum fungieren. Das ist aktuell nicht mehr gewährleistet, da keine Frauen mehr aufgenommen werden können.“ Auch die externe Wohnung sei dauerhaft belegt, für neue Notfälle kein Platz. „Es bedarf dringend der Einrichtung eines weiteren Frauenhauses im Kreis Segeberg oder eine Erweiterung des Frauenhauses in Norderstedt“, so Künzel. Ihre Fraktion fordert, 1,5 Millionen Euro im Nachtragshaushalt bereitzustellen. SPD sieht Land in der Pflicht: Die SPD fordert eine Willenserklärung für ein zweites Frauenhaus und dass der Kreis sich an den Kosten beteiligt. Er solle mit dem Land verhandeln und mit Kommunen auf Standortsuche gehen, sagt die Fraktionsvorsitzende Edda Lessing. Die CDU sieht noch Beratungsbedarf. „Die Hauptverantwortung liegt beim Land“, sagt Christopher Schmidt. Und das sei gerade dabei, das Hilfesystem zu überarbeiten. Nach einer Ausweitung sehe es bisher eher nicht aus. Möglicherweise richte sich der Fokus zunächst auf Kreise ohne jegliches Frauenhaus. „Ich gehe davon aus, dass wir ein zweites Frauenhaus bekommen werden, aber zur Finanzierung wage ich keine Prognose.“ Ob ein Projekt in Eigenregie eine Mehrheit bekommen würde, falls das Land sich sperrt, bleibe ebenso abzuwarten. Theoretisch wäre es aber möglich. „Es ist eine freiwillige Leistung der Kommunen. Auch wenn das Land in der Pflicht steht, kann der Kreis sich nicht verstecken“, so Schmidt. Häusliche Gewalt wird weiter zunehmen: Während der politischen Debatten sind die Probleme für die Helferinnen im Frauenhaus Norderstedt jeden Tag sehr real. Natürlich freut man sich über jede Hilfe. Mit dem Kompromiss für kurzfristige Hilfen würde man genau den Vorschlägen der Bedarfsanalyse folgen, sagt Leiterin Anita Brüning. Die Frage nach neuen Standorten sei sehr komplex. Zunächst sei da die Sorge, ob externe Wohnungen langfristig gehalten werden können. Jetzt neue Plätze zu schaffen sei sicher nicht so schnell umsetzbar, wie im vergangenen Jahr. „Da gab es Aufbruchstimmung und sehr günstige Umstände“, sagt sie. Nun bräuchte man wieder ein neues Objekt. „Und man muss auch an die Ausstattung und den Betrieb denken.“ Die Sorge um die Finanzierung bleibt: Neue Wohnungen machten nicht nur für einige Monate Sinn. Letztlich seien Frauenhäuser nur eine Notlösung. Es brauche viele Akteure, um das gesellschaftliche Problem zu lösen. Laut Prognosen, so Brüning, werde die häusliche Gewalt noch zunehmen – aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. „Arbeitsplatzverlust bedeutet häusliche Gewalt. Das tragen Frauen und Kinder auf ihren Schultern.“ Von Irene Burow