Segeberg: Tausend Geflüchtete gelangen auf den Arbeitsmarkt

Immer mehr Flüchtlinge sind seit dem Herbst 2015 auf den Arbeitsmarkt gelangt. Das zeigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus Asylherkunftsländern. Es ist eine der wenigen Statistiken in dem Bereich, die die Arbeitsagentur auch auf Kreisebene führt. Demnach sind im Jahr 2016 in Segeberg 253 Personen in einem Job angekommen. Fünf Jahre später waren es rund fünf mal so viele; 1206 zählt die Statistik im Februar 2020 allein in dieser Region. Das teilt Gerold Melson, Sprecher der zuständigen Agentur für Arbeit in Elmshorn, auf Anfrage mit. Zu den Asylherkunftsländern zählen dabei die Staaten Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien. Also auch jene Herkunftsländer, aus denen Segebergs Flüchtlinge hauptsächlich kamen. „Sehr schön zeigen die Daten, dass mehr und mehr geflüchtete Menschen einen Weg in den Arbeitsmarkt finden, auch wenn dieser Prozess – wie von uns erwartet – länger andauert“, sagt Gerold Melson. Agentur weiter vor großen Herausforderungen: Auch fünf Jahre nach Beginn der europäischen Flüchtlingskrise stehe die Arbeitsmarktintegration – trotz der erreichten Erfolge – weiterhin vor großen Herausforderungen. „Es braucht noch einen langen Atem, bis Schutz suchende Menschen ähnlich am Arbeitsmarkt integriert sind wie andere Zuwanderungsgruppen.“ Die aktuelle Corona-Krise wird sicherlich Bremsspuren hinterlassen. „Bisher stellen wir keinen auffällig höheren Anstieg der Arbeitslosigkeit als bei der Gesamtbevölkerung fest. Wirtschaftlich angespannte Zeiten können jedoch die Integration in Arbeit zusätzlich erschweren“, so der Sprecher. Um noch erfolgreicher zu werden, bleibe es wichtig, dass Geflüchtete ihre Sprachkenntnisse und Qualifikationen für den Arbeitsmarkt weiter verbessern können. Hieran arbeiten Arbeitsagentur und Jobcenter auch nach fünf Jahren noch intensiv. Geflüchtete vieler Staaten arbeiten im Jobcenter Segeberg: Wie der Kreis Segeberg mitteilt, gebe es bei über 1000 Kunden mit Fluchthintergrund im Jobcenter für den Start ins Arbeitsleben genügend Beispiele. Als leuchtende Vorbilder gelten eine afghanische Politikwissenschaftlerin, die nun als Referentin beim „ Paritätischen “ in Kiel arbeitet. Ein syrisches Architektenehepaar, das jetzt für ein Ingenieurbüro in Bayern arbeitet, zudem Geflüchtete vieler Staaten, die im Jobcenter selbst arbeiten oder eine syrische Apothekerin mit vielen Kindern, die inzwischen ihre Approbation erhalten hat und als Apothekerin in Bad Segeberg arbeitet. Als gelungen sei jedoch auch der Fleiß all jener Menschen zu bewerten, die hier einen Schulabschluss gemacht haben. „Viele dieser Menschen sind jetzt in einer Ausbildung oder an Universitäten und Fachhochschulen im Bundesgebiet eingeschrieben“, teilt Kreissprecherin Sabrina Müller mit. Und wer hierbleibt, pendelt zur Arbeit. Viele Norderstedter nach Hamburg, viele Wahlstedter nach Neumünster oder Kiel und viele Glasauer arbeiten in Eutin – völlig unabhängig von Nationalität oder Aufenthaltsstatus. Die Menschen pendeln – unabhängig von der Nationalität: Ein Unterschied bestehe nur anfangs, wenn die Geflüchteten noch keinerlei Bindung an den Ort haben, der willkürlich für sie ausgewählt worden ist. „In dieser Zeit versuchen viele, den Kreis Segeberg zu verlassen und Arbeit eher dort zu finden, wo Familienmitglieder leben oder wo es eine größere Community der eigenen Volksgruppe gibt“, so Müller. Dieser Wunsch werde oft durch Wohnsitzauflagen der Ausländerbehörden gebremst. Mit Ausbildung, Arbeit, Schulbindung oder Freunden schwäche sich dieser Wunsch jedoch ab. Insbesondere das Ehrenamt habe in den vergangenen fünf Jahren einen enormen Beitrag für das Gelingen von Integration und Zusammenleben geleistet – gerade bei der Suche nach Wohnraum und Arbeit. Der Verein „Alle in ein Boot“, nur eine von vielen Initiativen in Segeberg, moniert jedoch, dass Menschen, die arbeiten wollen, nicht immer gelassen werden. „Die Politik sollte sich dazu auch bereit zeigen und ihnen die Chance geben“, sagt die Vorsitzende Jana Oelschlägel. „Sonst muss sie, außer mit verzweifelten Geflüchteten, auch mit frustrierten und demotivierten Ehrenamtlichen rechnen.“ Viele Helfer seien an bürokratische und asylrechtliche Grenzen gestoßen. Laut Arbeitsagentur lag die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus Asylherkunftsländern im Februar 2016 bei 253, im Februar 2017 bei 384, 2018 bis 696, 2019 bei 1054 und im Februar 2020 bei 1206 Menschen. Insgesamt werden im Jobcenter Kreis Segeberg knapp 3750 Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit betreut, 1450 von diesen sind als „arbeitslos“ gemeldet. 750 dieser 1450 Personen kommen aus den klassischen Fluchtländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Jemen, Somalia und Syrien. So gibt es im Amt Itzstedt etwa eine Iranerin, die sich seit über einem Jahr allein nach oben kämpft. Sie hat einen wissenschaftlichen Abschluss in Landwirtschaft. Und doch wurde ihr der Aufenthalt verwehrt. Das Verfahren liegt nun bei Gericht, weshalb sie namentlich nicht genannt werden möchte. Für den B1-Sprachkurs hat sie selbstständig gelernt, sich zur Prüfung angemeldet – und bestanden. Jetzt lernt sie für die nächste Stufe. „Sie hätte eine Chance“, sagt Manfred Räker, einer ihrer Unterstützer. Denn im Iran will sie nicht leben. „Dort fehlt die Freiheit. Man muss eine Muslima sein, ein anderer Glaube ist nicht erlaubt. Als Frau darf ich mich nicht scheiden lassen, das entscheiden allein die Männer“, erzählt sie. Zur Serie: Flüchtlinge: Bilanz in Segeberg von 2015 bis 2020 Segeberger Tafel: Weiter viele Flüchtlinge Flucht von Syrien nach Segeberg: Jetzt will Mohamad Steuerberater werden Sprache als Schlüssel: Hunderte kamen zur Volkshochschule So organisierte das Ehrenamt die Flüchtlingshilfe Reichen fünf Jahre, um in der Arbeitswelt anzukommen? In fünf Jahren in der deutschen Arbeitswelt anzukommen ist zwar möglich. Das zeigen allein die Zahlen. Und dennoch ist jeder Mensch einzigartig. Ja, sagt der Kreis: Für junge, gesunde und motivierte Akademiker, die des lateinischen Alphabets mächtig sind, die durch die Fluchtumstände nicht zu sehr traumatisiert wurden und mit Familie fliehen konnten, seien fünf Jahre oft ausreichend. Zwar könnten motivierte, kräftige Männer auch in Helfertätigkeiten unterkommen – selbst, wenn sie Analphabeten sind. Um Menschen ohne akademischen Titel oder ausreichende Schulbildung nachhaltig und existenzsichernd unterzubringen, sei die Zeit aber zu kurz. Wer neben Sprache und Bildung noch weitere Problemfelder zu bewältigen hat, dem fällt es naturgemäß schwerer. Kriegstraumata, Gesundheit, Kinderbetreuung, Pflege oder soziokulturelle Probleme zählen dazu, beispielsweise der Abbau von klassischen Rollenbildern. Auch hätten gerade Frauen oft Schwierigkeiten, sich in den vielfältigen Möglichkeiten des Arbeitslebens in Deutschland zurechtzufinden. Von Irene Burow