Segeberg und Stormarn: Fahrradhändler zwischen Frust und Erfolg

Großer Erfolg? Oder große Enttäuschung? Für den stationären Fahrradhandel in Stormarn und Segeberg ist derzeit alles drin. Die Fahrradläden sind wie viele andere Einzelhändler von den Lockdown-Maßnahmen betroffen und müssen ihre Geschäfte geschlossen halten, Fahrradwerkstätten ausgenommen. Doch der Verkauf via Click & Collect ist erlaubt. Rekordumsätze bei Fahrradplus: Die Sonne scheint, die Temperaturen steigen – für Ingmar Koschnick von Fahrradplus in Bad Oldesloe könnten die Bedingungen nicht besser sein. „Riechen Sie das? Es liegt nicht nur Frühling in der Luft, sondern auch Goldstaub“, sagt der drahtige Geschäftsmann und grinst fröhlich. Es ist gerade Mittag vorbei, und er hat an diesem Tag schon zehn Fahrräder verkauft. „Das Geschäft läuft gigantisch. Das wird der beste Februar überhaupt“, freut sich Koschnick. Seit Frühjahr 2020 erlebt der Oldesloer Fahrradhändler einen noch nie da gewesenen Boom. „Der Fahrradbranche geht es so gut wie nie zuvor. Wir hatten im letzten Jahr 51 Prozent Plus. Allein im April hatten wir einen Allzeitrekord. Und der Boom hält unvermindert an.“ Im vergangenen Jahr konnte Fahrradplus wegen der großen Nachfrage auch Personal aufstocken. Vier Festangestellte und der Inhaber bedienen jetzt die Wünsche der Kunden. Das Geschäft läuft nach strengen Hygieneregeln ab. Der Verkauf läuft über Click & Collect, Fahrradplus stellt einige Top-Modelle auf seiner Homepage vor und berät am Telefon. Der Kunde kommt dann zum Abholen vorbei. Wer seinen Drahtesel reparieren lassen will, gibt ihn draußen im Innenhof ab, wo das Rad mit Abstand angenommen wird. „Es darf nur eine Person zum Bezahlvorgang ins Geschäft reinkommen. Es wird auch nicht irgendwelche Ware gezeigt, sondern es ist rein zum Bezahlen“, betont Koschnick. Oldesloer Werkstattservice nur noch für eigene Kunden: Was die Reparaturen betrifft, laufen die Geschäfte so blendend, dass Fahrradplus inzwischen sogar Aufträge für Räder ablehnt, die nicht in dem Oldesloer Shop in der Hagenstraße gekauft wurden. „Wir haben eine Lehre aus dem letzten Jahr gezogen. Kunden, die ein hochwertiges Rad bei uns erstanden und eigentlich Anspruch auf einen schnellen Service haben, mussten teilweise drei Monate auf einen Werkstatttermin warten. So ausgelastet waren wir.“ Mit dem neuen System will Ingmar Koschnick seinen Kunden einen verbesserten Service bieten. „Irgendwo ein Fahrrad günstig online einkaufen und dann im serviceorientierten Fachhandel reparieren lassen, das System funktioniert wegen Überlastung nicht mehr“, erläutert der Oldesloer. Dass er sein Ladengeschäft derzeit geschlossen halten muss, stört den Chef von Fahrradplus nicht. Er hat trotzdem volle Auftragsbücher, und die Kunden reißen ihm seine Räder und E-Bikes aus den Händen. Spezielle Wunschräder und sportliche Modelle seien in diesem Jahr teilweise gar nicht mehr zu bekommen. „Macht die Fahrradläden auf“: „Macht die Fahrradläden auf“, forderte jetzt Georg Honkomp, Vorsitzender des Dachverbandes der Fahrradhändler ZEG, in einem Brandbrief an Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Fahrräder und E-Bikes seien die idealsten Verkehrsmittel, um sich in der Coronakrise gesund, umweltfreundlich und geschützt zu bewegen. Mit den sinkenden Fallzahlen wäre das Öffnen eine begleitende Maßnahme, so Honkomp. „Ich halte das infektionstechnisch für Unsinn. Ich gehe davon aus, dass die Inzidenzzahlen wieder steigen, wenn zu viele Geschäfte geöffnet werden. Dann kommen wir nicht annähernd an den gewünschten Wert von 35“, befürchtet Koschnick. Viele seiner Händlerkollegen hätten auch gemeint, es sei doch gut, wenn keine Kunden im Geschäft seien. Dann könne man sich auf telefonischen Verkauf und das Reparieren konzentrieren. Wieso dürfen Friseure öffnen, aber Fahrradhändler nicht? Klaus Martens von Zweirad Martens in Bad Segeberg möchte sein Ein-Mann-Geschäft hingegen lieber heute als morgen endlich wieder öffnen. „Ich kann die Politik nicht verstehen. Ich habe 350 Quadratmeter. Wieso darf ein kleiner Friseurladen ab nächster Woche öffnen – aber ich nicht? Beim Friseur ist der ganze Laden voll, und alle halbe Stunde kommt ein neuer Kunde rein. Und die haben bestimmt nicht alle Türen und Fenster offen.“ Der Segeberger findet die Ungleichbehandlung einfach nur ungerecht. „Wenn mir jemand sagt, vorne muss eine Klingel ran, es dürfen nur zwei Kunden rein – ich mache das sofort“, sagt Martens, der mit seiner Meisterwerkstatt auf Beratung, Verkauf und Service von Fahrrädern, E-Bikes und Motorrollern spezialisiert ist. Kunden kämen zwar in seiner Werkstatt vorbei, um ihre Räder reparieren zu lassen. Aber der Verkauf laufe sehr schleppend. „Click & Collect ist erlaubt, aber Kunden dürfen nicht ins Geschäft. Interessenten können mich anrufen, ich kann sie am Telefon beraten und per Whatsapp mit Video. Dann dürfen sie ihr Fahrrad bei mir an der Tür mit einem Termin abholen und kontaktlos bezahlen oder vorher überweisen.“ Aber eigentlich wolle man sein Fahrrad doch live sehen, bevor man sich entscheide, am besten auch mehrere Modelle zum Vergleich. „Und man möchte das Rad auch gerne anfassen und eine Probefahrt machen. Aber das ist ja alles nicht erlaubt.“ Wird Ostergeschäft wieder vermasselt? Sorgen bereitet Martens auch, dass Ostern und damit seine Hauptsaison vor der Tür steht. „Das war letztes Jahr schon so, dass uns das Ostergeschäft durch den ersten Lockdown vermasselt wurde.“ Zwar habe er die Verluste durch die Nachfrage im weiteren Verlauf des Jahres wieder einigermaßen auffangen können, aber jetzt dürfe er die Wünsche der Kunden schon seit dem 16. Dezember nicht mehr bedienen. Und die Miete von monatlich 3000 Euro laufe fleißig weiter. Dabei hat Klaus Martens sein Ladengeschäft rappelvoll stehen mit allen möglichen Modellen vom Kinderfahrrad über City- und Sporträder bis zu E-Bikes mit Tiefeinstieg. „Fahrräder sind auf dem Markt knapp, aber ich kann die komplette Bandbreite anbieten, weil ich genügend und rechtzeitig geordert habe.“ Über einen Onlineshop hat Martens mal kurz nachgedacht, die Idee aber schnell wieder verworfen. „Erstens würde man mich bei Google gar nicht finden, wenn ich jetzt damit anfangen würde. Außerdem ist das für mich allein auch schwer umzusetzen.“ Die vielen Mails, die er beantworten müsse, das aufwendige Versenden und die Retouren von womöglich gefahrenen und zerkratzten Rädern. All das könne er sich als stationärer Händler finanziell und zeitlich gar nicht leisten. Jetzt ist der Bad Segeberger erst mal dabei, seine Website neu zu gestalten. Und parallel hofft Klaus Martens, dass die Politik ein Einsehen hat und die Fahrradläden schnellstmöglich wieder öffnen dürfen. Von Britta Matzen