Segeberger Tafel: Weiter viele Flüchtlinge

Eine lange Schlange von Wartenden zieht sich entlang des Zaunes an der Efeustraße: An diesem Mittwoch kommen rund 60 Menschen zur Lebensmittelausgabe. Freitags seien es wesentlich mehr. „Wir haben nach wie vor einen ungebremsten Zustrom an Geflüchteten“, sagt Hans-Joachim Wild, Vorsitzender der Segeberger Tafel. „Dass die Zahlen zurückgehen, können wir von uns aus nicht behaupten.“ Seit einigen Wochen gibt es hier wieder eine Warteliste. Ganz so wie vor zwei und vor vier Jahren. „Am Anfang sind wir mit einer hohen Fluktuation förmlich überrollt worden. Aber wir haben es gewuppt“, erinnert er sich. Ein Großteil der Menschen sei dann wieder verschwunden. „Die wollten weiter zu ihren Angehörigen. Vor allem die Iraner“, sagt Wild. Oder sie verschwanden, weil sie geschafft hatten, was sie wollten. Auf der anderen Seite sind da auch Asylsuchende, die schon seit Jahren zur Segeberger Tafel kommen. „Vier Jahre und länger“, schätzt er. Das gebe es auch. Tafelausweise und weitere Ausgaben mussten her: Als sich 2015 abzeichnete, dass die Lettow-Vorbeck-Kaserne zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge werden würde, wurden Tafelausweise eingeführt. Denn schnell war klar: So viele Lebensmittel konnten nicht verteilt werden. Seit Mai 2016 betreibt die Segeberger Tafel zudem eine Zweigstelle in Wahlstedt, in den Räumen der Kirchengemeinde. Bis 2018 hatte sich die Zahl der Bedürftigen verdoppelt. 260 Ausweise gab es da für beide Standorte. Eine Folge davon war auch, dass in Segeberg ein zweiter Ausgabetag eingeführt wurde. Und die Zahlen stiegen weiter: Weit mehr als 300 Ausweise sind derzeit ausgegeben. Sie berechtigen dazu, Lebensmittel für sich und die Familie abzuholen. Hochgerechnet werden insgesamt etwa tausend Menschen versorgt. Zu 60 Prozent wird die Hilfe von Flüchtlingen in Anspruch genommen. Das heißt aber nicht, dass Einheimische verdrängt werden, betont der Tafel-Vorstand. Wer wirklich will, fällt schon früh auf: Diejenigen unter den Flüchtlingen, die es hier wirklich schaffen wollen, fielen schon früh auf. „Und ich unterstelle mal, dass Asylbewerber ihr Land verlassen, um sich freizuschwimmen. Dass sie eine Sprache lernen, um nicht auf andere angewiesen zu sein“, sagt Wild. Er erinnert sich an eine ganze Reihe, die es geschafft haben. Denn viele meldeten sich später bei den Ehrenamtlern zurück. Ganz glücklich, mit Job und als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft. So wie ein junger Syrer, der gleich nach seiner Ankunft bei der Segeberger Tafel mithelfen wollte. Erst lief die Verständigung auf Englisch, später auf Deutsch. Nach kurzer Zeit war er voll in die Tafelarbeit integriert. Er bekam in Hamburg eine Lehrstelle als Speditionskaufmann, schloss sie erfolgreich ab und wurde dort schließlich übernommen. „Wann immer es ihm möglich ist, kommt er nach Bad Segeberg zurück“, berichtet Wild. „Wenn das nicht gelungene Integration ist, ich wüsste nicht, was sonst.“ Er findet, diese „Krise“ wurde gut gemeistert. Wenn auch mit großer Kraftanstrengung in allen Tafel-Standorten, also auch in Trappenkamp und den umliegenden Gemeinden. Eine neue Welle an Flüchtlingen „zu wuppen“ – da ist er skeptisch. „Nicht weil wir nicht wollen. Aber ich glaube, die räumlichen Voraussetzungen in Form von Wohnungen fehlen.“ Corona: „Ohne BBZ hätten wir dichtmachen müssen“: Ungleich schwieriger ist die Situation nun durch Corona. Selbst in der ersten Hochphase der Pandemie im Frühjahr, als viele Verwaltungen und Unternehmen die Türen abschließen mussten, blieben die der Tafel offen. „Aber nur, weil wir Hilfe bekommen haben“, sagt der Vorsitzende. Eine Klasse des Berufsbildungszentrums sei eingesprungen. „Ohne sie hätten wir dichtmachen müssen. Wir gehören ja fast alle zur Risikogruppe.“ Momentan sind die 100 bis 120 Ehrenamtler noch gut aufgestellt. Gesichtsschutz und Einbahnstraßenverkehr sichern die Abläufe – vor allem draußen. Doch wie das im Winter funktionieren soll, steht in den Sternen. Denn Hilfe benötigen die Menschen weiterhin. Das Problem verschärft sich zusätzlich. Dass es wieder eine Warteliste gibt, bevor die Ausweise ausgehändigt werden, könne nur mit dem Virus zusammenhängen. Anders kann Hans-Joachim Wild es sich nicht erklären. „Ich sehe hier jüngere, unter Umständen im Alter von Mitte 30. Sie haben ihren Job verloren oder sind in Kurzarbeit und haben dennoch ihre finanziellen Verpflichtungen. Da bleibt zum Leben nicht mehr viel übrig.“ Lesen Sie auch Erster Teil der LN-Flüchtlingsserie: Fünf Jahre nach „Wir schaffen das“ – die Bilanz in Segeberg Von Irene Burow