Stromtrasse: Segebergs Kreispolitik verschläft Unterstützung

Die Planung für die neue Stromleitung durch den Kreis Segeberg ist quasi auf den letzten Metern. Mindestens seit 2014 wurde diskutiert, Wünsche von Bürgern, Gemeinden und Verbänden berücksichtigt. Abgewogen, welcher Korridor wohl am wenigsten Widerstand, Kosten und Einschnitte in die Landschaft verursachen würde. Auf den letzten Metern regt sich nun Empörung in Segebergs Kreispolitik, die jedoch jäh wieder versiegt. Vor allem der Südkreis hat schwer zu schlucken. Ein Erdkabel soll sich direkt durch die Gemeinden Kisdorf und Henstedt-Ulzburg bohren. Letztere will notfalls klagen, kündigte sie vergangene Woche an. Die Beschwerdefrist endet am 3. März. Für die CDU der Grund, sich jetzt durch die dicken Aktenordner zu wühlen. Lars Giering bezeichnete die Angaben des Vorhabenträgers Tennet im Ausschuss für Regionalentwicklung als „nebulös“. „Bei uns sind noch einige Fragen aufgekommen“, monierte der CDU-Mann nicht nur ihm fehlende Inhalte, sondern auch den Umfang der Papiere. „1,5 Gigabyte werden kein Zufall sein. So soll die Bürgerbeteiligung in Schach gehalten werden“, mutmaßte er auf der politischen Online-Konferenz am Mittwoch. Einige Fragen an Tennet sind noch offen: Offene Fragen drehen sich zum Beispiel um die Kosten, wenn doch entlang der A 20 mit Erdkabeln geplant werden würde. Auch seien Störungen und Risiken durch Erdkabel nicht erörtert worden. „Das wurde weitestgehend ignoriert“, kritisierte Giering. „Die Frage wurde gar nicht aufgetan, was bei Störungen passiert.“ Die CDU will außerdem wissen, was der ganze Neubau inklusive Grunderwerb kostet. Und warum das neue Umspannwerk bei Henstedt-Ulzburg größer werden soll, als unbedingt nötig. Sie stellt gar den gesamten Verlauf infrage: „Warum wird der Mensch nicht besser geschützt? Wie hat man den Westen von Henstedt-Ulzburg als optimalen Ort gefunden, wo doch besiedeltes Gebiet durchbrochen wird?“ Zur Seite sprang ihm Stephan Holowaty (FDP). Der Henstedt-Ulzburger sitzt im Kreistag sowie im Landtag. „Henstedt-Ulzburg und Kisdorf sind massiv betroffen. Es ist nicht so, dass die Erdkabel völlig verschwinden, sondern teilweise eine große Schneise durch Waldgebiet gezogen wird. Die ökologischen Auswirkungen sind dramatisch“, kritisierte er und bezeichnete Tennet als „Nebelwurfmaschine“. Kreis Segeberg wird sich neutral äußern: Doch bevor sich die Politiker so richtig in Rage reden konnten, folgte die Einsicht, dass es inhaltlich nicht mehr viel zu rütteln gibt. „Gespräche sind sinnlos. Der Antrag auf Planfeststellung läuft“, sagte Holowaty. Also wie weiter? Weniger als zwei Wochen bleiben, um wenigstens gehört zu werden. Doch mit einer geforderten Unterstützung vom Kreis blitzten die Politiker ab. Man werde wie immer fachlich Stellung beziehen und sich nicht positionieren, sagte der zuständige Fachbereichsleiter Hendrik Schrenk. Die Politik sei bereits Anfang Dezember informiert worden, um genug Vorlauf zu haben, erinnerte Kreisplaner Frank Hartmann. „Wir vermissen eine Stellungnahme. Es wirkt, als würde sich die Verwaltung heraushalten“, sagte Martin Ahrens (SPD). „Nur so können wir noch eine verträgliche Lösung hinbekommen“, meinte Holowaty. Lars Giering fühlte sich vom Kreis im Stich gelassen. Bliebe noch ein politisches Votum. Doch der Kreistag ist erst am 18. März. Hauptausschuss am 25. Februar? Abgesagt. „ Aufgrund der Sitzungssituation ist also keine politisch orientierte Äußerung mehr möglich“, zeigte sich Holowaty überrascht. Der wollte dann nur noch wissen, ob es zuletzt überhaupt Gespräche mit den betroffenen Bürgermeistern gegeben hatte. Laut Wählergemeinschaft Henstedt-Ulzburg für Bürgermitbestimmung (WHU) hat man es schon weit früher verschlafen, aktiv zu werden. Henstedt-Ulzburg habe sich nicht an seit 2012 laufenden Gesprächen beteiligt, wie es Kaltenkirchen und Alveslohe erfolgreich taten, erinnert sich Verena Grützbach von der WHU. Wie die Vorsitzende Karin Honerlah mitteilt, habe allein ihre Fraktion die Infotermine besucht und Stellungnahmen eingereicht. „Noch Anfang 2015, als die Leitung schon lange im Bundesbedarfsplan Strom enthalten war, warfen uns andere Fraktionen Panikmache vor“, so Honerlah. Erst im Juli 2015 sei Bewegung in die Sache gekommen. Umweltminister Robert Habeck brachte daraufhin das Erdkabel als Pilotprojekt ins Spiel. Eine Planung an der A20 wurde abgelehnt. „Diese ist zwar noch untersucht worden, aber in unseren Augen eher halbherzig“, so Honerlah. Erst jetzt sei das Umspannwerk Gegenstand der Unterlagen. Man habe viel zu lange gewartet und Gestaltungsräume verspielt. Eine Anwältin berät die Gemeinde in der kommenden Woche. Laut Wählergemeinschaft könne die Gemeinde jetzt nur noch einwenden, dass gemeindliche Planungen eingeschränkt werden. Belange des Gemeinwohls und die Verletzung von Rechten Dritter – wie die der betroffenen Grundstückseigentümer – könne die Gemeinde nicht vorbringen. Als Alternative bleibt nur der Klageweg. Verwaltung blieb zuletzt außen vor: „Gespräche zwischen den Bürgermeistern und dem Ministerium für Energiewende haben nach 2016 ohne uns stattgefunden. Wir sind dazu nicht eingeladen worden“, sagte Kreisplanerin Julia Maßow. „Das ist jetzt der zweite Entwurf der Planung mit dem Ergebnis, dass das die beste Trasse ist“, erinnerte sie. Bei ihr seien keine Bitten auf Unterstützung aufgelaufen. Auch Landrat Jan Peter Schröder verneinte. „ Tennet wollte zu einer Infoveranstaltung im Levopark einladen, direkt vor unserer Haustür. Auch darüber sind wir nicht mal informiert worden“, sagte Maßow. Für die Politik, erst recht für die Henstedt-Ulzburger, wird es nur ein schwacher Trost sein. Doch ein neues Mega-Projekt könnte bereits auf den Kreis zurollen: Die bundesweite Suche nach einem Lagerplatz für Atommüll. Wie berichtet, kommen auch Flächen im Kreisgebiet als Endlager infrage. „Das Thema ist ähnlich angelegt. Verstehen Sie das bitte als frühzeitige Information, um sich rechtzeitig damit zu befassen“, mahnte Hartmann. Von Irene Burow