Tiny Houses aus Bad Segeberg sind in ganz Deutschland gefragt

Es riecht nach frischem Holz am Bad Segeberger Jasminweg, das Häuschen ist in wenigen Tagen fertig. Und sein Erbauer streicht mit der Hand über die Leisten aus Weißtanne an der Außenhaut. Ein Haus, das keine Wünsche für den Menschen offen lässt, der sich mit 24 Quadratmetern Platz begnügt. Tiny House – das klingt nach Natur, nach Ballast abwerfen, nach Freiheit, nach Sich-selbst-finden, nach einer neuen Lebensphilosophie. Tiny Houses: Exportschlager von Bad Segeberg: Jörg Angermann macht diese Träume als Zimmermann wahr. „Nicht jeder darf das.“ Er gelte deshalb schon ein bisschen als Exot, wenn er von seinen Minihäusern erzähle, berichtet der 52-Jährige ein wenig stolz. Er baut die Häuser für das Unternehmen „Rolling Tiny House“. Für eines braucht er etwa anderthalb Monate. Kostenpunkt 50 000 bis 82 000 Euro, je nach Ausstattung. Es ist zur Zeit ein Exportschlager von Bad Segeberg. Wer jetzt bestellt, muss bei Angermann etwa neun Monate warten, bis der Kunde sein Baby mit Tüv wegschleppen darf. Sechs Häuschen sind schon bestellt. Mini-Villa ist ein echtes Raumwunder: Bis vor fünf Jahren hatten Experten um Firmenchef und Tüftler Peter L. Pedersen an dem Prototyp gewerkelt. Heraus kam viel mehr als nur ein geschrumpftes Eigenheim. Die charakteristische Mini-Villa ist ein Raumwunder. Vier Meter hoch, 2,55 breit, 7,80 Meter lang und nicht schwerer als dreieinhalb Tonnen. Schlafzimmer, Wohnzimmer, Esszimmer, Küche, Bad – alles auf wenigen Quadratmetern, so Angermann schmunzelnd bei der Aufzählung. Klimaanlage und Pellet-Ofen werden meist eingebaut. Tiny-House aus Bad Segeberg ist sogar erdbebensicher: Alles ist wie bei einem normalen Eigenheim fix und fertig baugenehmigungsfähig mit Statik-Prüfung. Es gibt sogar ein Gutachten, das dem Tiny-House bescheinigt, dass es erdbebensicher ist. Schließlich solle es deutschlandweit exportiert werden, erzählt Angermann augenzwinkernd. Im Ernst: Die Mini-Villa hat bei gewerblicher Nutzung als Büro sogar einen Fluchtwegeplan, mit einem Fenster als zweitem Ausgang. Angermann: „Wir erfüllen alle Vorgaben wie bei einem normalen Einfamilienhaus.“ Das Tiny-House steht auf einem Fahrgestell und kann per Anhängerkupplung geschleppt werden. Allerdings brauche man dafür schon ein Auto mit einem sehr starken Motor. Immerhin bleiben Käufer und Käuferinnen mit ihrer Immobilie immer mobil. Das ursprüngliche Tiny-Musterhaus „Made in Bad Segeberg“ ist inzwischen verkauft. An einen Kölner. Es stehe auf einem Campingplatz in Plau am See in Mecklenburg-Vorpommern. Sein Eigenheimchen online kaufen: Tatsächlich ist man dank Internet mit der Segeberger Tiny-House-Kreation in ganz Deutschland vertreten. Dabei gebe es sogar Kunden, die ihr Eigenheimchen fast per Mausklick kaufen, es vorher gar nicht besichtigen. Denen reichten schon die schönen Bilder, sagt Angermann. Unter einem großen Zeltdach steht gerade Tiny-House Nummer sechs, das in zwei Wochen ausgeliefert werden soll. Da fehlen noch Kleinigkeiten wie zum Beispiel die Fenster-Laibungen. „Ich weiß nicht, ob ich beim 20. Mini-Haus noch so viel Spaß daran haben werde wie jetzt“, sagt Angermann, der mit seiner eigenen Firma Segeberger Baubetreuung hin und wieder auch normale Eigenheime oder Dachstühle baut. Tiny-House auch für 90-Jährige geeignet: Er sieht das Tiny-House eher als ideale Wohnform für Singles. „Zu zweit muss man sich darin schon verdammt liebhaben“, sagt der Familienvater überzeugt. Interessenten aller Altersklassen kämen auf seinen Bauplatz. Da ist die 16-Jährige, der die Eltern ein Tiny-House für den Reiterhof spendieren wollen. Da ist der 90-Jährige, der sich noch einmal verändern und anders leben möchte. „Wir haben deshalb sogar prüfen lassen, ob wir einen Treppenlift einbauen können. Es geht, wir können unsere Heime auch barrierefrei anbieten.“ Viele Tiny-House-Fans erinnern sich auch an ihren Kindheitsschwarm, den coolen Peter Lustig aus der Kindersendung Löwenzahn. Ein Fernsehstar mit Latzhose, der ab Folge eins seit 1979 in einem selbstgebauten Bauwagen wohnte und dem die winzige Wohnform sichtlich Spaß machte. „Ja, man lebt anders. Ich habe immer noch Kontakt zu dem Bewohner meines ersten Tiny-House in Fulda. Der ist immer noch begeistert, nachdem er aus seiner 90-Quadratmeter-Wohnung ausgezogen ist. Er nimmt die Natur jetzt ganz unmittelbar wahr, ob es regnet oder schneit“, sagt Angermann. Tiny Houses: Noch mangelt es an genehmigten Stellplätzen: Indes sei es immer noch schwierig, genehmigte Flächen oder ein Grundstück zu finden. In Bad Segeberg soll nun Bauland für Mini-Häuser überplant werden. „Es gibt aber immer noch Gemeindevertretungen, die so etwas ablehnen.“ Angermann schüttelt den Kopf: „Unsere Kunden sind ganz normale Bürger, die ihrer Arbeit nachgehen und sich verändern wollen.“ Er schätze, dass deutschlandweit etwa 90 Prozent ihr Mobilheim oder Tiny-House auf einem nicht genehmigten Platz stehen haben. Und plant er selbst einmal wie Peter Lustig in einem winzigen Bauwagen zu leben? Die Überlegung sei schon da, für sich und seine Familie einen Bauwagen für den Urlaub herzurichten und den zumindest zeitweise zu vermieten. Aber bitte etwas größer, als das Tiny-House an dem er jetzt gerade schraubt. Acht, zehn oder zwölf Meter lange Wohn-Bauwagen möchte Angermann eines Tages bauen. Von Wolfgang Glombik