Von Aleppo nach Neuengörs: Syrische Familie hat im Kreis Segeberg Fuß gefasst

In welches Land ihre Flucht aus der hart umkämpften syrischen Stadt Aleppo sie führen würde, wussten Shadi Mjaddami (heute 38) und seiner Frau Alaa Tahhan (27) nicht, als sie 2015 alles zurückließen, damit ihre Kinder Mohammed (10) und Jana (6) in Frieden aufwachsen können. Inzwischen lebt die Familie in Neuengörs. Beide Kinder besuchen die Grundschule und haben Freunde gefunden. Die Eltern arbeiten und denken über einen Einbürgerungsantrag nach. Es ging ihnen gut in Aleppo, der zweitgrößten Stadt in Syrien. Shadi Mjaddami arbeitete als Textilmaschinen-Mechaniker und betrieb einen Laden, in dem es von Bekleidung bis hin zu Schulsachen alles gab, was man zum Leben braucht. Seine Frau Alaa hatte nach dem Abitur 2010 ihr erstes Kind Mohammed zur Welt gebracht. Damals war noch alles in Ordnung. Als vier Jahre später ihre Tochter Jana geboren wurde, war schon nichts mehr in Ordnung. Vom Sommer 2012 an tobte der Bürgerkrieg. Aleppo lag bereits in Schutt und Asche, als Shadi Mjaddami und seine Frau Alaa 2015 das Nötigste einpackten, ihre Kinder schnappten und zusammen mit Alaas Eltern die Flucht ergriffen. Die Todesreise der Flucht: Den Weg ihrer Flucht hat Mohammed auf einem Zettel aufgeschrieben. „Todesreise“ hat er darüber geschrieben. „So haben es Flüchtlinge genannt: Todesreise. Wohin uns diese Reise führen sollte, war uns völlig egal. Wir wollten nur weg und in Sicherheit sein“, erzählt Alaa Tahhan. Am 15. August 2015 begann ihre Flucht, die sie zuerst in die Türkei führte. Ihre Eltern blieben dort bei einem Sohn, Alaa und Shadi zogen mit ihren Kindern weiter. Über Griechenland, Serbien, Ungarn, Österreich und Unterkünften in Neumünster und Flensburg wurde die Familie am 20. November in Bühnsdorf von der damaligen Bürgermeisterin Marlis Pielburg und Helfern in Empfang genommen. Hausgemeinschaft aus Bahrenhof unterstützte die Familie: Zu dem Zeitpunkt hatte Pastorin Dressler bereits ein Flüchtlingsforum ins Leben gerufen und Helfer akquiriert, um die Flüchtlinge zu begleiten. Zu den Helfern von damals und den Freunden von heute gehört Björn Radke, der diese Aufgabe nicht alleine, sondern mit seiner Hausgemeinschaft in Bahrenhof übernommen hatte. Neben ihm kümmerten sich Susanne Schmidt, Christine Bernhardt, Claus Behrens und Meike Lüdemann um die kleine Familie. „Zuerst verständigten wir uns über eine Übersetzungs-App, dann mit Händen und Füßen“, erzählt Björn Radke. Die Helfer zeigten ihnen alles, was sie wissen mussten, erkundigten sich nach Sprachkursen, halfen bei Behördengängen und bei der Anmeldung im Kindergarten „Rasselbande“. Weil die Familie noch kein Auto hatte, brachten die Eltern ihre Kinder zu Fuß von Bühnsdorf nach Neuengörs in den Kindergarten. Das war nicht immer einfach. Der Krieg hatte vor allem bei Mohammed Spuren hinterlassen. Sobald ein Flugzeug zu hören war, bekam er Panik und schrie. Vater und Mutter machten eine Ausbildung: Nachdem Vater Shadi sich bereits gut auf Deutsch verständigen konnte, unterstützten ihn die Helfer aus Bahrenhof bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Shadi hatte Glück. Bei „Camino“ in Mielsdorf konnte er nicht nur ein Praktikum machen, sondern er hatte dort einen so guten Eindruck hinterlassen, dass ihm eine Ausbildung zum Betonfertigteilebauer angeboten wurde. Der Familienvater griff zu. Die Zeit der Ausbildung war nicht immer einfach, denn für den Blockunterricht musste er eine Berufsschule im 750 Kilometer entfernten Ulm besuchen. Die Prüfung bestand er mit Bestnoten. Den Rat der Schule, auch die Meisterprüfung zu machen, musste er ablehnen. „Das ist viel zu teuer“, bedauert der Syrer. Nach zwei Praktika hat auch Mutter Alaa inzwischen beruflich Fuß gefasst. „Zuerst wollte ich Krankenschwester werden. Bei meinem ersten Praktikum aber war mein Deutsch wahrscheinlich noch nicht gut genug. Ich fühlte mich nicht angenommen“, erzählt die junge Frau. Sie orientierte sich neu und entschied sich für eine Ausbildung zur Sozialpädagogischen Assistentin. Diese hat sie bereits bestanden. Inzwischen sattelt sie im Berufsbildungszentrum Segeberg auf, um Erzieherin zu werden. Den praktischen Teil ihrer Ausbildung absolviert sie derzeit im Hort des Familienzentrums „Spurensucher“ in Bad Segeberg. „Unsere Zukunft liegt in Deutschland“: „Diese Familie kam vor fünf Jahren in Bühnsdorf an und konnte kein Wort Deutsch. Wie sie sich hier integriert hat, das ist einfach enorm“, freut sich Björn Radke, der in den fünf Jahren zu einem Freund der Familie und ein gern gesehener Gast in der neuen Wohnung in Neuengörs geworden ist. An ihrem neuen Wohnort haben die Kinder inzwischen Freunde gefunden und erste Kontakte zu den Nachbarn sind auch geknüpft. Wer sich einbürgern lassen möchte, muss zum Zeitpunkt der Einbürgerung ein unbefristetes Aufenthaltsrecht erlangt haben, eine „Blaue Karte EU“ besitzen oder eine befristete Aufenthaltserlaubnis haben, die zu einem dauerhaften Aufenthalt führen kann. Antragsteller müssen mindestens acht Jahre rechtmäßig in Deutschland leben. Diese Frist kann nach erfolgreichem Besuch eines Integrationskurses auf sieben Jahre verkürzt werden, bei besonderen Integrationsleistungen sogar auf sechs Jahre. Weitere Voraussetzungen sind ein bestandener Einbürgerungstest, ausreichende Deutschkenntnisse, keine Verurteilung wegen einer Straftat, ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und die eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes auch für unterhaltsberechtigte Familienmitglieder. Grundsätzlich verlieren Antragsteller bei erfolgreicher Einbürgerung ihre alte Staatsangehörigkeit. Je nach Herkunftsland sind Ausnahmen möglich. Antragsformulare gibt es bei Ausländerbehörden und in Stadt- und Kreisverwaltungen. Die Einbürgerung kostet für Familien 255 Euro pro Erwachsene, je 51 Euro für minderjährige Kinder. Werden minderjährige Kinder ohne ihre Eltern eingebürgert, werden ebenfalls 255 Euro fällig. Ratenzahlung ist möglich. Auch wenn Alaa und Shadi Sehnsucht nach ihren Eltern haben, möchten sie in Deutschland bleiben. „Alles, was wir in Aleppo hatten, ist zerstört. Unsere Zukunft liegt in Deutschland“, ist Alaa Tahhan überzeugt. Noch haben Eltern und Kinder einen Flüchtlingsstatus, den besonders die junge Mutter gerne ablegen möchte: „Ich würde gerne eingebürgert werden.“ Einen Antrag darauf kann sie in einem Jahr stellen. Lesen Sie auch: Gefährliche Flucht von Syrien nach Segeberg: Jetzt will Mohamad Steuerberater werden Von Petra Dreu