Vorsitzende des Bad Segeberger Unternehmervereins: Einzelhändler verärgert

Die Segeberger Unternehmerin Marlis Stagat, sie hat unter anderem eine Versicherungsagentur, ist die Vorsitzende des Unternehmervereins „Wir für Segeberg“ (WfS). Sie engagiert sich für die Bad Segeberger Unternehmen und Einzelhändler und hat im Corona-Jahr zahlreiche Aktionen initiiert um das Geschäftsleben der Vereinsmitglieder zu unterstützen. Wie geht es den Segeberger Unternehmern und Einzelhändlern nach diesem Corona-Jahr? Marlis Stagat: Gemischt, das ist eine Erfahrung, die alles sprengt, was wir bisher erlebt haben. So haben wir auch ganz verschiedene Phasen durchgemacht. Da war von der Überraschung, dem Schock, einer kurzfristigen Depression und dann wieder großem Zusammenhalt alles dabei. Mit Hygienekonzepten und einigem mehr haben viele dafür gekämpft, dass es zu keinem neuen Lockdown kommen muss. Aber weil die meisten dann am Ende doch damit gerechnet haben, gehen die Unternehmer dieses Mal deutlich gefasster mit dem Lockdown um. Haben bisher alle Geschäfte und Unternehmen überlebt? Ja, es sind derzeit noch alle da. Es gibt zwar kleine Geschäfte, bei denen wir als „Wir für Segeberg“ einmal mehr hingucken, ob sie klarkommen, aber gerade diese oft inhabergeführten Geschäfte haben sehr viel Kreativität gezeigt und überlegt, was sie alles machen können, um die Kunden zu erreichen. So wie das Modegeschäft ,Hold’, das ein Online-Shopping über Whatsapp gegründet hat, um nur ein Beispiel zu nennen. Und konnten die Segeberger Geschäfte die Kunden erreichen? Ja, das ist etwas, das wirklich positiv ist. Es gibt eine große Bereitschaft der Segeberger Kunden, die regionalen Geschäfte zu unterstützen. Nehmen wir unsere Büchergeschäfte ,Druckwerk’ und ,Buch am Markt’, die haben seit Jahren mit dem Megakonkurrenten Amazon zu tun. Doch gerade jetzt in der Corona-Krise gehören diese Geschäfte noch dichter zu uns als all die Jahre vorher. Viele Kunden entscheiden sich, ein Buch nicht online, sondern eben dort zu kaufen. Apropos positive Dinge: Was macht Sie stolz, wenn Sie auf das Jahr zurückblicken? Vieles. Wie wir im Frühjahr alle zusammengerückt sind. Oder wie wir auch bei ,Wir für Segeberg’ vieles schnell anders gemacht haben, wie wir online Informationen über Fördergelder oder Kurzarbeit für unsere Mitglieder zur Verfügung gestellt haben. Auch unsere Stadtgarten-Aktion hat viele Menschen glücklich gemacht. Und das Autokino war natürlich ein Megaerfolg. Niemand hatte uns zugetraut, dass wir so schnell die Spendengelder und Künstler zusammenkriegen. Das ,Autokuki’ war ein Riesenspaß und hat vielen Menschen in Segeberg Freude bereitet. Und ja, das alles hätte es ohne Corona nicht gegeben. Trotzdem überwiegen ja die negativen Erfahrungen. Täuscht der Eindruck, oder sind viele Händler frustriert, weil sie der Meinung sind, dass sie mit dem Lockdown etwas ausbaden müssen, was andere angerichtet haben? Nein, das ist schon so. Ich habe auch viele Gespräche dazu geführt. In Bad Segeberg hat eigentlich alles gut geklappt, die Menschen haben die Abstände eingehalten und die Geschäfte haben viel dafür getan, dass die Regeln befolgt werden. Aber anderswo gab es Demonstrationen, bei denen viele Menschen zusammengekommen sind, und es gab private Feiern, bei denen eine große Infektionsgefahr herrschte. Das hat viele von uns geärgert. Die Entwicklung der Zahlen zeigt aus unserer Sicht, dass es nicht der Einzelhandel und die Gastronomie waren, die die Infektionszahlen steigen ließen, sondern dass es das Verhalten von einzelnen Menschen und Gruppen ist. Wenn ich lese, dass eine Gruppe Corona-Infizierter mit der Bahn fährt, das ist doch irre. Und solche Leute machen auch die Geschäfte kaputt. Auch wenn die Segeberger die Geschäfte unterstützen, hat der Online-Handel während der Krise wieder einen großen Schritt nach vorne gemacht. Wie weit sind da die Geschäftsleute in Bad Segeberg? Das kommt ja sehr stark auf das Geschäftsmodell an. Und als Unternehmerin muss ich sogar Geschäftsleuten, die keine Kompetenzen in dem Bereich haben, davon abraten, einen Online-Shop aufzumachen. Das ist gar nicht so leicht. Und umso vielfältiger das Warenangebot ist, umso schwieriger ist es, ein Online-Geschäft zu betreiben. Ich nenne mal zwei Beispiele. Wenn ich einen Kaffeeshop habe, habe ich nur ein paar Artikel, vielleicht fünf Sorten Kaffee und dann noch Kaffeedosen. Das kann ich super vorhalten und auch online verkaufen. Aber jetzt nehmen wir mal Segebergs größtes Modehaus, M&H. Dort gibt es eine riesige Vielfalt von Artikeln, die zudem zu den Jahreszeiten ja auch wechseln. Da einen Onlineshop zu pflegen, ist deutlich schwieriger und sie müssen ja auch noch die ganze Logistik hinbekommen. Alles muss versandt werden und dann kommen noch Retouren. Gibt es denn Überlegungen, vielleicht mal einen einzigen gemeinsamen Online-Shop für regionale Waren aus Segeberg anzubieten? Ja, und der Gedanke ist gar nicht so neu. Wir haben das vor ein paar Jahren schon mal überlegt und dazu auch eine Veranstaltung im Rathaus gehabt. Doch damals war noch niemand so weit. Jetzt gibt es schon viel mehr regionale Anbieter für bestimmte Waren. Deshalb gibt es auch die Überlegung, so einen Regio-Shop zu programmieren. Da gibt es einige bei uns, die sich damit befassen. Das ist jedoch ein sehr komplexes Thema und nichts, was jetzt gleich im Januar starten könnte. Was macht es so kompliziert? Wir brauchen Warenlager, die bevorratet werden, in denen verpackt und versendet wird. Die ganze Logistik hinter einem Online-Shop muss ja auch abgebildet werden. Außerdem gibt es einen Konflikt: Viele von uns sind sehr umweltbewusst. Aber gerade das Online-Kaufen produziert sehr viel Verpackungsmüll und dann gibt es noch viele Menschen, die Ware ausprobieren und nicht ordnungsgemäß zurückschicken, so dass sie nicht mehr normal in den Verkauf gehen kann. Da ist nicht alles Gold, was glänzt. Und für die Umwelt ist das alles auch keine geringe Belastung. Haben Sie die Hoffnung, dass es nach dem Lockdown-Ende am 10. Januar mit dem Geschäftsleben weitergeht? Ich persönlich und die meisten, mit denen ich gesprochen habe, glauben, dass der Lockdown verlängert wird. Wenn wir die Infektionszahlen sehen und dann noch die Nachrichten von dem mutierten Virus hören, denken wir, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass es im Januar wieder losgeht. Nur der Impfstoff lässt uns etwas hoffen. Wenn ich dann aber noch sehe, was in den vergangenen Tagen in den Lebensmittelgeschäften los war, glaube ich, dass wir auch dafür noch die Quittung kriegen werden. Können die Geschäfte denn mit den Corona-Hilfen der Bundesregierung noch etwas durchhalten? Ich sorge mich nicht nur um den Einzelhandel. Es gibt Unternehmen, zum Beispiel aus der Eventbranche oder auch Soloselbstständige, die besonders hart betroffen sind. Nicht alle werden die Kraft und die Rücklagen haben, bis zum Ende durchzuhalten. Nicht nur die Corona-Hilfen der Bundesregierung sind in dieser Zeit wichtig. Es kommt jetzt darauf an zusammenzuhalten und gemeinsame Lösungen zu schaffen. Das können Abhol- und Lieferservices oder gemeinsame Portale sein. Gerade jetzt brauchen wir einen starken Zusammenhalt, und dafür sorgen wir im Unternehmerverein „Wir für Segeberg“. Von Sven Wehde