Wegen Corona: Große Segeberger Sportvereine verlieren Mitglieder

Kleine Speckröllchen auf den Hüften, mehr Sofa statt Sportplatz – in Pandemiezeiten ist da kein Auspowern mehr, kein Gewinnen oder Verlieren, kein Jubeln, kein Käffchen, kein Muskelkater. Das einzige, was jetzt noch geht, ist etwa zu zweit Joggen oder Zumba vorm Laptop. Das Leben in Hallen und Vereinsheimen liegt brach. Lehrgänge sind abgesagt. Die Sehnsucht nach verschwitzten Trikots, Plaudern am Spielfeldrand und die Geselligkeit im Team steigt. Selbst jeder Gegner dürfte inzwischen schmerzlich herbeigesehnt werden. Die Corona-Pandemie wirkt sich auf die Mitgliederzahlen in Segeberger Vereinen aus. Dabei ist ein Trend erkennbar: Vor allem in größeren Vereinen gibt es einen auffälligen Mitgliederschwund. „Je größer der Verein, desto mehr Austritte“, sagt Holger Böhm, Vorsitzender der Kreissportverbandes Segeberg (KSV). „Vor allem in den Städten sind viele ausgetreten. Das ist landesweit ein großes Problem.“ Eine gewisse Fluktuation gebe es zwar immer. „Doch im Moment wird sie nicht ausgeglichen“, sagt Mike Lehmann von der KSV-Geschäftsstelle in Bad Segeberg. Der Verband geht von rund zehn Prozent Verlusten aus. Große Solidarität in kleinen Vereinen: Aber es gibt eine erfreuliche Beobachtung: je kleiner die Vereine, desto größer der Zusammenhalt. Im ländlichen Raum sind die Mitgliederzahlen relativ stabil. Der Grund: Die Menschen kennen sich untereinander viel besser, sind nicht so anonym. „In kleineren Vereinen sind die Sorgen nicht ganz so groß, zumindest noch nicht“, sagt Böhm, der auch Vorsitzender des SV Todesfelde ist. Sein Verein sei etwa noch nicht betroffen. Er zählt rund 600 Mitglieder. Doch was viel schwerer wiegt, als die bloßen Zahlen, ist die fehlende Geselligkeit. „Katastrophe hin oder her. Das ist alles totaler Mist“, so Böhm. „Die Menschen sind nicht geschaffen für sozialen Abstand oder Eremitentum. Es sind nun schon so viele Monate, das macht unzufrieden und aggressiv.“ Er sieht es allein bei sich selbst. Denn normalerweise ist er entweder auf dem Sportplatz oder irgendwo im Kreis Segeberg unterwegs. Wem er sonst drei oder viel Mal pro Woche begegnet, den hat er schon lange nicht mehr gesehen. „Es gibt Menschen, die leben da fast. Die sind jeden Tag da, auf dem Platz oder in der Halle. Das ist deren Lebensmittelpunkt.“ SV Todesfelde kann historische Saison kaum feiern: Für den SV Todesfelde sei das bitter. „Das Jahr 2020 war das erfolgreichste in der Vereinsgeschichte. Das konnte nicht mal richtig gefeiert werden. Wir konnten niemanden auszeichnen. Wir brauchen die Feste, die Bühnen, die Ehrenamtler“, betont Böhm. Nach dem Triumph beim Landes-Hallenmasters und dem Oberliga-Staffelsieg gewann der SVT sogar das Landespokalfinale. Dazu die Teilnahme der Fußballer am DFB-Pokal, das größte Spiel der Vereinsgeschichte. Den Fans wurde einiges geboten – auch wenn sie auf Abstand jubeln mussten. Der MTV Segeberg ist der größte Sportverein in Bad Segeberg. Normalerweise mit rund 1150 Mitgliedern. Aktuell sind es noch genau 1003. Im Jahr 2019 waren rund 250 Menschen eingetreten, im vergangenen Jahr mit 110 nicht einmal die Hälfte. Rund 90 haben sich verabschiedet. „Das merkt man dann schon“, sagt Malte Butzlaff vom Vorstand. „Das ist eindeutig eine Folge von Corona.“ Auffällig: Die meisten davon kommen aus ganz bestimmten Sparten. „Was uns zusätzlich zusetzt, ist das Hallenbad, das seit März geschlossen ist. Unsere Schwimmer haben keine wirklichen Alternativen.“ Und so ist die Hälfte der Austritte auf diese Sparte zurückzuführen. Auffällige Rückgänge gibt es zudem im Fitnessbereich. Doch die Erfahrung des letzten Sommers hat gezeigt: Sobald es wieder losgeht, kommen die Leute wieder. Kinder können nicht Schwimmen lernen: Die geschlossene Schwimmhalle, die ab diesem Sommer saniert werden soll, birgt ein weiteres massives Problem: Die Kinder haben keinen Ort mehr zum Schwimmenlernen. „Die Warteliste war vorher schon lang, die Kinder mussten zwei Jahre warten“, erklärt Butzlaff. „Jetzt kann nicht mal die Warteliste abgearbeitet werden.“ Stillstand seit fast einem Jahr. Die Kinder werden älter, kommen in die Schule und können nicht schwimmen. „Das ist nicht gut und sogar gefährlich“, so der Vorstand. Die Stadt habe sich bereits stark gemacht. Doch auch in umliegenden Hallen, wie in Wahlstedt, gebe es keine Kapazitäten. Doch den Kopf hängen lassen komme nicht infrage. „Wir versuchen, in diesen Zeiten alles schnell zu kommunizieren.“ Im Dezember gab es trotz allem für Trainer und Übungsleiter ein Dankeschön – ein Glas mit Vereinslogo und ein Gutschein für die lokale Gastronomie. „So was kann man nicht verschieben“, sagt der Handballer. Weiterer Lichtblick ist die nahezu fertig umgebaute Gosch-Jansen-Halle. Der Hallenboden ist bestellt, Umkleiden und Beleuchtung sind so gut wie fertig. Zieleinlauf soll nun im ersten Quartal sein. Der MTV hofft dadurch auf einen positiven Effekt. Hoffnung auf positive Effekte durch neue Sportstätten: Geduldiges Abwarten auf den sportlichen Neustart auch in anderen Vereinen: „In den Sparten bleibt der Kontakt, aber übergreifend ist das Vereinsleben tot“, bedauert Tim-Frederik Priebe, Sprecher des SV Westerrade. Weitere Mankos: „Feste und Veranstaltungen fehlen als Einnahmequelle. Rein rechtlich wäre es auch ganz schön, mal wieder eine Jahreshauptversammlung abzuhalten, um den Vorstand zu entlasten.“ Bis zu 700 Mitglieder gibt es hier. Doch sie halten dem Verein die Treue. „Das ist ganz schön zu sehen.“ Viel könne der Vorstand nicht machen, außer neue Sponsoren suchen. Seit Herbst gibt es einen Online-Fanshop – Shirts, Mützen und Mundschutz mit Vereinslogo inklusive. „Alle vermissen sich und sind gefrustet“, weiß Renate Schönfeldt, Vorsitzende des SV Weede mit 280 Mitgliedern. Besonders den Kindern fehle die Auslastung beim Sport. Auch hier gab es trotz allem Weihnachtsgrüße. „Wir haben niemanden vergessen und sind gespannt, ob alle wiederkommen.“ Das neue Vereinsheim soll im ersten Halbjahr fertig sein. KSV Segeberg förderte 2020 so viele Sportgeräte wie nie: „Wir haben im vergangenen Jahr so viele Sportgeräte gefördert, wie noch nie. Das ist einmalig, was Vereine und Gemeinden investiert haben“, sagt Sven Neitzke, Geschäftsführer des Kreissportverbandes. „Alle warten nur darauf, dass es endlich wieder losgehen kann.“ Rund 80 größere Projekte seien kreisweit in der Pipeline, zum Beispiel die Laufbahn der Bramstedter Turnerschaft, die dringend saniert werden muss. Freude herrsche auch über die neue Dreifeldhalle, die die Stadt Norderstedt baut. Daran habe der KSV zwar keinen Anteil, „aber das ist natürlich insgesamt eine Sportstätte zusätzlich“, so Neitzke. Genauso wie die Halle des MTV in Bad Segeberg und andere. Laut KSV ist jeder dritte Segeberger Mitglied in einem Sportverein. Das sind insgesamt rund 65 000 Menschen in 200 Vereinen. Sie gehen dort 40 Sportarten nach. Von Irene Burow