Wittenborn: Fledermausstation auf Ex-Übungsplatz gut angenommen

Die Luft ist feucht-kalt. Alles ist still und stockdunkel. Wohl nur ein dumpfes Geräusch vom Aufschließen der eisernen Tür nehmen die Tiere wahr. Doch kurzzeitig blitzt es auf und wird taghell. Die Fledermäuse würden es schon leicht mitbekommen, wenn da jemand mit der Taschenlampe leuchtet, sagt der Artenspezialist Matthias Göttsche. Aber wirklich gestört fühlen sie sich nicht. Vielleicht blinzeln sie müde. Mehr nicht. Denn sie schlafen. Als er an diesem Januartag die simulierte Höhle betritt, hofft er vielleicht auf zehn Tiere. Das klingt wenig. Doch man muss es aus Sicht der Fledermäuse betrachten, sagt Göttsche. Für sie ist die Unterkunft völlig neu, sie befindet sich quasi noch mitten in der Geburtsstunde. Obwohl es sie schon seit über sechs Jahren gibt. Doch Fledermäuse sind wählerisch. Und sie brauchen sehr lange, bis sie ein neues Quartier annehmen – und wiederkommen. Erst wenn einzelne Tiere den Weg gefunden haben, werden andere folgen. Deswegen kommt es bei seiner Zählung jetzt auf jedes Geschöpf an. Ist ein Trend zu erkennen? Fledermäuse: Feuchter Keller ist gemütlich genug: Glücklicherweise haben mehrere den Winterschlafplatz als gemütlich genug befunden. Das alte Übungshaus ist eines der letzten sichtbaren Relikte des ehemaligen Truppenübungsplatzes Wittenborn. Der Betrieb der Bundeswehr ist längst stillgelegt, nach 2009 wurde das Areal zum Naturschutzgebiet. Das Haus stand vor dem Abriss. Doch gute Kontakte ließen die Idee reifen, den Rohbau zur Fledermausstation umzubauen. Die erste Winterzählung 2016 ging schnell: Nur ein einziges Langohr hatte sich in das Fledermaus-Hotel verirrt. Seitdem kommt Göttsche regelmäßig in das Haus im Wald. Und geht auf Inventur. Matthias Göttsche zählt seit 20 Jahren Fledermäuse im Land. Im Sommer wie Winter. „Das hängt mit EU-Richtlinien zusammen. Die Tiere sind streng geschützt worden. Alle paar Jahre muss Deutschland die Zahlen aller Bundesländer übermitteln“, erklärt er. Insgesamt ist von 2015 bis 2020 ein Positivtrend zu erkennen. Die Population hat an den Winterstandorten um die Hälfte zugelegt. „Das zeigt nicht unbedingt, dass es mehr Tiere werden. Aber es zeigt, dass die Schutzbemühungen wirken“, sagt er. „Wenn wir es schaffen, die Tiere weiter an solche geschützten Plätze zu ziehen, hilft das, die Arten zu erhalten. Das bestärkt uns, weiterzumachen.“ Die Feldermausstation bei Wittenborn ist ein gemeinsames Projekt der Faunistisch-Ökologischen Arbeitsgemeinschaft, des Fledermauszentrums Noctalis in Bad Segeberg und der für die Fläche zuständigen Bundesforsten. Die Umrüstung wurde gefördert durch den Kreis Segeberg. 2016 ist die bundesweit einmalige Idee mit dem UN-Dekade-Preis für Biologische Vielfalt ausgezeichnet worden. Auf vier Etagen gibt es diverse Kammern. Für jeden Geschmack der Arten ist etwas dabei. Schwere Hohllochsteine hängen an den Decken. Holzbretter, Zwischenwände oder Wellblech bieten innen ausreichend Schlupflöcher. An der Fassade hängen Flachkästen und Blenden. Das bunte Angebot zeigt Wirkung. Systematisch sucht Göttsche die Ritzen ab, leuchtet mit Taschenlampe und Spiegel fast jeden Winkel aus. Diesmal entdeckt er 15 Winzlinge. Station ist zum Ganzjahresquartier geworden: Mit 13 Braunen Langohren, einer Fransenfledermaus und einer Breitflügelfledermaus sind es bereits drei Arten. Die meisten haben es sich im Keller gemütlich gemacht. Denn hier wurden ideale Bedingungen geschaffen. Das Wasser steht einige Zentimeter hoch. Es hält den Raum feucht wie in einer natürlichen Höhle. Es ist frostfrei und es gibt zahlreiche Verstecke. „Eigentlich ganz simpel. Aber ohne diese Bedingungen gäbe es keine Fledermäuse“, sagt der Fachmann der Faunistisch-Ökologischen Arbeitsgemeinschaft, die eng mit der Uni Kiel zusammenarbeitet. Er ist zufrieden. „Es ist zum Ganzjahresquartier geworden, so wie geplant.“ Im Sommer gibt es schon weitaus mehr fellige Gäste: Zu Spitzenzeiten sind bereits hundert Bewohner und bis zu sieben Arten gleichzeitig da. 70 Rauhautfledermäuse, 15 bis 20 Abendsegler, 20 bis 40 Zwerg- und Mückenfledermäuse sowie einzelne Fransenfledermäuse, Langohren- und Breitflügelfledermäuse kommen regelmäßig. Besonderer Erfolg ist eine sommerliche Wochenstube der Rauhautfledermaus. Also jener Sozialverband der Weibchen, die gemeinsam ihre Jungen säugen. Die Breitflügelfledertiere, so die Hoffnung, könnten damit die nächsten sein. Und wenn in zehn Jahren auch nur annähernd so viele Tiere im Keller überwintern, wäre das schon optimal. Bunker und Tunnel schützen die Tiere: Allein innerhalb des Winterzensus werden, die Kalkberghöhlen ausgenommen, alle unterirdischen Winterquartiere in Schleswig-Holstein gezählt. Das sind knapp 90 Standorte mit mehr als 200 Objekten. Dazu gehören Bunker wie in Wahlstedt, alte Keller und Hallen, Stollen oder Tunnel. Im ehemaligen Munitionsdepot in Kropp bei Rendsburg wurden beispielsweise 50 Bunker hergerichtet. Das Reservat ist unter Experten bekannt für ein Winterquartier, das überproportional schnell erobert worden ist. 4400 Tiere schlafen dort inzwischen – seit 2008. Normalerweise braucht es eher ein halbes Jahrhundert, um Tausende zu haben. Nur noch 15 Fledermausarten gibt es in Schleswig-Holstein. Dazu wenige Höhlen. Zudem verschwinden immer wieder Quartiere, zum Beispiel, wenn Gebäude abgerissen werden. Der Mensch ist fix mit seinen Planungen, aber die Natur ist es eben nicht: „Sie wird oft zu spät berücksichtigt. Und dann heißt es, die Tiere behindern Bauprojekte“, erklärt Matthias Göttsche. Dass es auch anders geht, zeigt eine Aktion in der Bunkeranlage von Hohenlockstedt (Steinburg), gar nicht weit vom Kreis Segeberg entfernt. Dort sollte eine alte Halle abgerissen werden. 1,5 Jahre vorher hatte man die benachbarten Bunker hergerichtet, die die Tiere auch fanden, um sich wenigstens umzuorientieren. Erst danach wurde man tätig. „Die Tiere gaben sozusagen den Abriss vor, eine sehr erfolgreiche Aktion“, erinnert er sich. Inzwischen leben dort unterirdisch mehr Fledermäuse als vorher in der Halle. Von Irene Burow