Corona: Werden die Alten im Kreis Stormarn beim Impfen abgehängt?

Seit Tagen schiebt Klemens Henkes Panik. Der 84-Jährige gehört zum Kreis der Personen, die als erstes den Schutz einer Corona-Impfung genießen sollen. Doch das Anmeldesystem, das gegenwärtig in Schleswig-Holstein praktiziert wird, versetzt ihn in dauerhafte Unruhe. Bei der Registrierung für den Impfstart am 4. Januar ging der Oldesloer bereits leer aus. Als er es Dienstagfrüh erneut probierte, scheiterte er abermals und das auf sämtlichen Kanälen: im Internet und bei der Hotline der Kassenärztlichen Vereinigung unter 116 117. Belastendes Wettrennen um Termine: „Ich sehe ja ein, dass nicht gleich alle Menschen über 80 Jahre an die Reihe kommen, weil nicht genügend Impfstoff vorhanden ist. Aber ich finde es unverantwortlich, dass Senioren generell einem Wettrennen nach dem Windhundprinzip ausgesetzt werden“, beklagt Klemens Henkes. Er selbst ist vorgeschädigt und leidet unter einer chronischen Bronchitis. Deshalb fürchtet er eine Infektion mit Sars-CoV-2, dem schweren akuten Atemwegssyndrom, ganz besonders. „Das wäre für mich das Todesurteil“, sagt er. Er und seine Frau halten sich exakt an die Vorsichtsmaßnahmen, beschränken Einkäufe und Begegnungen mit anderen Menschen auf das nötige Minimum. In der Möglichkeit, über kurz oder lang geimpft zu werden, sieht er die Chance auf etwas mehr Zuversicht. Doch momentan frisst ihn die Ungewissheit schier auf. Auch vom Call-Center keine Hilfe: „Man macht sich Tage zuvor schon Sorgen, ob die Anmeldung dieses Mal klappen wird. Kurz vor 9 Uhr war aber auch dieses Mal schon alles gelaufen. Auch das Call-Center ist da keine Hilfe. Manchmal ist besetzt, dann bekommt man gar keine Verbindung. Wir wohnen allein und nicht in einem Altenheim, wo die Impfungen organisiert werden“, schildert Henkes seine Situation und die seiner Ehefrau. Blick nach Mecklenburg-Vorpommern: Doch der Oldesloer kritisiert nicht nur, er macht auch einen Vorschlag. Statt Senioren länger dem Druck auszusetzen, sich selbst anmelden zu müssen, ließe sich auch ein anderes System einführen. „Man könnte alphabetisch vorgehen und für Menschen begrenzter Buchstabengruppen Termine reservieren. Dann muss man sich zwar auch gedulden, aber es entfällt die ständige Sorge darum, ob es beim nächsten Versuch klappt oder nicht“, sagt Henkes. Er schaut schon ein wenig neidisch aufs Nachbarbundesland Mecklenburg-Vorpommern. Wie die Ostsee-Zeitung berichtet, bekommen dort alle über 80 Jahre alten Einwohner Einladungsschreiben für die Corona-Impfung. In der ersten Woche, also ab dem 4. Januar, wurden 5000 Briefe verschickt, in den darauf folgenden Wochen sollen es jeweils etwa 10 000 sein, vorausgesetzt die Impfstoffmenge reicht aus. Offener Brief an den Bürgermeister: Um seine Anregung loszuwerden, hat Klemens Henkes dem Bürgermeister einen offenen Brief geschickt. Darin macht er auf das Problem der Senioren aufmerksam. „Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Wochen weitere systemrelevanten Personengruppen wie Busfahrer, Feuerwehrleute, Lehrer usw. ihre durchaus berechtigten Impfwünsche stellen werden. Alle diese Gruppen sind organisiert, ihnen stehen technische Möglichkeiten zur Verfügung, um bei der Vergabe von Terminen nach dem Windhundprinzip besser und schneller Zusagen zu bekommen. Für die meisten der über 80-Jährigen, die nicht in Heimen, sondern selbstständig zu Hause leben, trifft dies aber nicht zu, sie haben so gut wie keine Chance. Ich ersuche Sie daher dringend, mit Ihrer Behörde sofort alle impfwilligen Oldesloer über 80 zu ermitteln und ihnen bei der nächsten landesweiten Aktion einen Impftermin im Impfzentrum Jugendherberge in Oldesloe zu organisieren“, schreibt er. Verständnis für Senioren, aber nicht zuständig: Auf Henkes Zuschrift angesprochen, erklärte Bürgermeister Jörg Lembke, die Stadt sei völlig außen vor, was die Organisation der Impfungen anbelangt. Deshalb habe er den offenen Brief an den Kreis Stormarn weitergeleitet. „Ich habe ja Verständnis für die Bürger, die möglichst schnell geimpft werden wollen“, fuhr Lembke fort. „Aber man muss sehen, wie groß die Gruppe ist, die derzeit behandelt wird.“ Der Kreis sei sehr bemüht, möglichst vielen die Chance auf eine Immunisierung zu bieten. So begrüßenswert das System der Einladungsbriefe, wie es in Mecklenburg-Vorpommern praktiziert werde, auch für Senioren sei, für die Impfzentren berge es dagegen ein großes Risiko. Immerhin sei der Impfstoff nicht sehr lange lagerfähig und müsste vernichtet werden, wenn unter den angeschriebenen Personen seien, die nicht geimpft werden wollen. Kreis: Ältere Generation wird nicht abgehängt: Fachdienstleiter Andreas Rehberg, beim Kreis Stormarn für die Organisation der Corona-Impfungen in Stormarn zuständig, bestätigt, dass die 840 Termine für die nächste Woche im Oldesloer Impfzentrum binnen kürzester Zeit ausgebucht waren. Ihm zufolge besteht aber Hoffnung, dass ab dem 25. Januar mehr Impfstoff ausgegeben werde, sodass auch eine weitere Impflinie eröffnet werden könne, um mehr Personen versorgen zu können. Doch das sei vom Land noch nicht offiziell bestätigt worden. Dass Senioren beim gegenwärtigen Vergabesystem nicht zum Zuge kämen, entspreche aus Rehbergs Sicht nicht der Realität. Sowohl am ersten, als auch am zweiten Tag seien 80 Prozent der Impflinge über 80 Jahre alt gewesen. „Die ältere Generation wird also nicht abgehängt“, erklärte Rehberg. Verluste durch verpatzte Termine: Auf Henkes Argument, dass der psychische Druck immens groß sei, wenn alle Bemühungen ins Leere liefen und viele Senioren zudem mit den neuen Medien nicht gut zurechtkämen, antwortete der Fachbereichsleiter, die Entscheidung für das gegenwärtige Anmeldesystem habe die Landesregierung zu verantworten. „Natürlich ist das alles frustrierend für die Senioren. Aber das Problem liegt darin, dass es deutlich zu wenig Impfstoff gibt“, sagte er. Wenn zu viele Termine im Voraus vergeben würden, bestehe aber auch die Gefahr, dass einige nicht eingehalten würden – teils aus gesundheitlichen Gründen, teils aber auch, weil sie vergessen und nicht abgesagt würden. Der Verlust durch nicht ausgeschöpfte Impfstoffkapazitäten sei angesichts der Knappheit kaum zu verantworten. „In Bad Oldesloe ist bisher nur eine Person nicht zur Impfung erschienen. Deshalb scheint sich das aktuelle System zu bewähren. Außerdem: Während des Ritts den Sattel zu tauschen, ist nie eine gute Lösung“, sagt Rehberg. Von Dorothea von Dahlen