Das Hühnerdorf von Trenthorst stoppt das Kükenschreddern

Millionen männliche Küken werden jährlich kurz nach dem Schlüpfen geschreddert. Der Grund: Sie lassen sich nicht vermarkten, da sie keine Eier legen und kaum Fleisch ansetzen. Am Thünen-Institut für Ökologischen Landbau in Trenthorst finden jetzt umfangreiche Forschungen statt, unter anderem um dieser grausamen Praxis ein Ende zu bereiten. „Pueblo Gallos nenne ich unser Projekt. Das heißt Hühnerdorf“, sagt der Institutsleiter Prof. Dr. Gerold Rahmann. Das Hühnerdorf haben die Mitarbeiter des Öko-Instituts auf einem Klee-Acker in Wulmenau als Versuchsstation errichtet, in dem der Praxisbetrieb getestet wird. Das mobile Forschungszentrum besteht aus acht Häusern, in denen je 40 Tiere leben, mit Grünfläche rundum und jeweils einem Folientunnel als Auslauf, da wegen der Vogelgrippe Stallpflicht gilt. „Hier haben wir im Moment nur männliche Küken. Die weiblichen sind nebenan im ehemaligen Ziegenstall untergebracht.“ Die Schwestern ziehen später in das Hühnerdorf, wenn die Brüder nach 81 Tagen Lebenszeit geschlachtet werden. Geforscht wird am Institut Trenthorst nicht nach Lust und Laune, sondern danach, wie sich der Markt entwickelt. Dementsprechend breit gefächert und aufwendig sind auch die Untersuchungen, die im Hühnerdorf stattfinden. Zum einen geht es um die Produktion von Bio-Eiern und Bio-Hühnerfleisch, da die Nachfrage stetig steigt. Daneben stehen weitere Themen im Fokus: das Tierwohl, das Schreddern von männlichen Küken, die Fütterung der Hühner sowie Tiergesundheit und Tierschutz. Aber auch zur Genetik wird geforscht, also wie die Hühner sich verhalten. Ruhige Tiere wollen die Wissenschaftler für ihre Züchtungen. Früher habe sich niemand darum geschert. „Es wurden den Hühnern einfach die Schnäbel und Flügel abgeschnitten und die Krallen gestutzt“, sagt der Institutsleiter. Vor 20 Jahren wurde das Institut für Ökologischen Landbau der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft gegründet. Das Institut in Trenthorst ist inzwischen weltweit bekannt und einmalig in seiner Aufgabe und Ausstattung. Auf 600 Hektar wird der Ökolandbau von morgen – umweltfreundlich, tiergerecht und effizient –entwickelt. „Wir forschen hier an Themen, die innovativ und mutig sind. Wenn sie von der Praxis als verrückt und unmöglich bezeichnet werden, reizen sie uns besonders“, sagt Institutsleiter Prof. Dr. Gerold Rahmann. Die Forschung zur Bio-Tierhaltung steht im Mittelpunkt. Wichtige Themen sind die Milchkuhhaltung, bei der die Kälber bei der Mutter bleiben und auf der Weide fressen dürfen. Das klinge selbstverständlich, sei aber sogar im Ökolandbau die Ausnahme, so Rahmann. Auch bei der Bio-Haltung von Schweinen ist das Institut führend. „Wir wissen, wie 100 Prozent der Fütterung ökologisch und regional erfolgen kann, wie die Ferkel lange bei ihren Müttern bleiben und alle auch draußen und in Gruppen gehalten werden können“, sagt der Institutsleiter. Das alles führt nicht nur zu glücklichen Tieren, sondern sorgt auch für eine gesunde und leistungsfähige Bioschweinehaltung. Seit 2014 forschen die Trenthorster auch mit Hühnern und haben sich auf mobile Stallungen und Zweinutzungshühner spezialisiert. Rahmann: „Die Ideen wissenschaftlich zu bewerten und für die Praxis einsatzfähig und wirtschaftlich zu machen, ist unsere Aufgabe.“ „Der Ökolandbau hat keine Zukunft – das wurde von Missgönnern zur Gründung prophezeit. Das Trenthorster Institut werde bald wieder Geschichte sein. Alles hat sich als falsch erwiesen“, sagt Rahmann. Der Ökolandbau habe heute statt 2,5 Mrd. Euro einen jährlichen Umsatz von 12 Mrd. Euro, allein in Deutschland. Statt kleine Bioläden gebe es mehr als 1000 Bio-Supermärkte und mehr als 80 000 Biosiegel-Produkte und statt 8000 Biobauern nun 32 000. Hier habe die Forschung einen großen Anteil gehabt und auch Defizite im Ökolandbau identifiziert. „Auch auf Biobetrieben können Tiere leiden, und nicht jeder Biobetrieb ist erfolgreich. Auch das gehört zur Forschung: den Daumen in die Wunde legen, aber zum Heilen und nicht zum Entzünden“, macht der Wissenschaftler deutlich. Das habe geklappt, Politik, Umwelt- und Naturschutzverbände und die Gesellschaft hätten den Ökolandbau als eine Option für die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland und Europa erkannt und auch in mutigen politischen Zielen formuliert. So soll Deutschland einen Anteil von 20 Prozent und die EU sogar 25 Prozent Ökolandbaufläche bis 2030 erreichen. Hierfür sollen in den nächsten Jahren Gelder bereitgestellt und Strukturen geschaffen werden. Hühner zur Doppelnutzung statt Kükentöten: Die Tötung von Küken, ein Thema, das viele bewegt. Am Thünen-Institut werden die männlichen Küken nicht geschreddert, sondern die Forscher wollen das Problem mit Hühnerrassen lösen. Sie arbeiten an der Züchtung von Geflügel, bei dem die weiblichen Tiere die Eier legen und die männlichen Tiere gemästet werden. Als „ Doppel- oder Zweinutzungshühner“ bezeichnet sie Prof. Dr. Rahmann. Beide Leistungen – Eier und Fleisch – seien zwar vergleichsweise geringer als die der Hochleistungshühner, dafür ließen sich jedoch auch die Brüder der Legehennen nutzen. Rahmann: „Jeder, auch der Öko, sagt: Geht nicht, rechnet sich nicht, wollen wir nicht. Wir sagen: Wenn wir das Thema Tierschutz ernst nehmen und das Kükenschreddern nicht wollen, dann müssen wir auch im Ökobereich die Konsequenzen tragen.“ Die Fütterung ist ebenfalls ein großer Forschungszweig in Trenthorst. „Hühner sind so hoch gezüchtet, dass sie ohne künstliche Zusatzstoffe nicht auskommen, weil sie so schnell wachsen und so viele Eier legen. Eine natürliche pflanzliche Produktion reicht dafür nicht aus.“ Da es verboten sei, tierische Abfälle an Hühner zu verfüttern und man im Ökolandbau auch keine künstlichen Stoffe zufüttern dürfe, sei es extrem schwierig, diese veganen Hochleistungstiere zu ernähren. Wicken – die regionalen Proteinbomben: Das Team um Prof. Dr. Rahmann hat sich deshalb mit der Fütterung, insbesondere mit der streng regionalen Fütterung aus dem nahen Umkreis von 80 Kilometern beschäftigt und dabei eine sensationelle Entdeckung gemacht. Eine alte Pflanze haben die Wissenschaftler wiederentdeckt – die Wicke. Und die macht sogar der Sojapflanze Konkurrenz, wie sie herausgefunden haben. „Wir haben jetzt drei Jahre Fütterungsversuche hinter uns. Die Wicke ist eine Leguminose – hoch proteinhaltig. Die Inhaltsstoffe sind wie Soja, und Soja ist bislang unschlagbar gut. Sie haben so gute Aminosäurenwerte, sie sind züchterisch nur noch nicht so gut entwickelt.“ Daran will Rahmann weiter arbeiten und die erfolgversprechenden Wicken-Sorten auf größeren Flächen anbauen. „Die Wicke ist ganz unempfindlich gegen Krankheiten, sie wächst gut, und man kann sie gut gekeimt verfüttern.“ Prof. Rahmann sieht hier immenses Potenzial. Tiergesundheit und Tierschutz sind weitere wichtige Forschungsthemen. „Der Boden wird vier Jahre gepflügt und für Ackerbau genutzt, dann zwei Jahre mit Kleegras bepflanzt, dadurch ist er hygienisch sauber.“ Durch vier huhnfreie Jahre könnten sich keine Parasiten und Krankheitskeime im Boden akkumulieren. Bei der Hühnerhaltung ohne Standortwechsel sei das hingegen problematisch, Milben, Würmer und andere Parasiten vermehrten sich oft explosionsartig. Das Freilandleben für Hühner ist eben nicht nur schön, sondern auch gefährlich. Das ist auch der Grund, warum Netze über das Forschungsdorf gespannt sind. Habichte sollen damit ferngehalten werden. „Habichte können bis zu 20 Prozent der Tiere wegfressen. Bei Standorten, wo Hühner seit zehn Jahren stehen, ist alles voll mit Habichten. Das ist wie ein Imbiss für die.“ Auch vor dem Fuchs werden die Tiere im Hühnerdorf geschützt – durch einen Zaun. Hühner sind empfindlich: Carolin Klein ist die Versorgerin der 320 Hähne und 280 Legehennen in Trenthorst. Füttern, Tiere und Wasser kontrollieren, Stall ausmisten, Wiegedaten aufnehmen – all das gehört zu ihren Aufgaben. „Die neun Wochen alten Hähne kommen gerade in die Pubertät. Morgens versuchen sie sich jetzt im Krähen, was bei manchen noch ein zaghaftes Krächzen ist“, berichtet die Sandesnebenerin. Hühner fand sie schon immer interessant. Aber sie seien auch sehr pflegebedürftig. „Hühner sind wirklich empfindlich. Sie brauchen viel Wärme, der Stall muss trocken sein, eigentlich muss man auf alles achten.“ Einen Tag kein Wasser – zack, ist die Legeleistung weg. Das Pueblo Gallos ist ein EU-gefördertes Projekt, das für sechs Jahre angelegt ist. Das Wicken-Fütterungsprojekt verschlingt allein eine halbe Million Euro mit allen Labor- und Personalkosten. „Eine Million Euro kostet das dreijährige Hühner-Projekt, um Genetik, Umwelt und Interaktion zu erforschen“, so Rahmann. Davon will das Öko-Institut zwei Durchgänge machen, um auszuprobieren, welches der richtige Weg ist. Von Britta Matzen