Lost Places: Der Geisterbahnhof von Großhansdorf

Wer in Großhansdorf, der letzten Station der Linie U1, aus der U-Bahn steigt, ist eigentlich noch gar nicht an der Endstation – die wurde im ersten Weltkrieg noch 1,2 Kilometer weiter im Beimoor gebaut. Doch da hielt nie ein Zug: Heute befindet sich dort ein „Geisterbahnhof“, der nach über 100 Jahren großteils zerstört ist. Die ehemalige Eingangshalle steht noch als großer Backsteinbau im Unterholz. Darin ist inzwischen ein Überwinterungsquartier für Fledermäuse eingerichtet. Endstation „Irrenanstalt“: Wenn man heute vor den überwucherten Gebäuderesten steht, fällt als erstes die bunte Bemalung auf, die Graffiti-Sprayer überall angebracht haben. Ein Scherzbold hat zwei große Gartenfiguren aus Kunststoff auf den oberen Sims des Baus gesetzt, und aus den Überbleibseln der Station ragen an einer Stelle noch zwei kurze Metallstücke aus dem Mauerwerk. Sie sind der Rest einer ungewöhnlichen Bahngeschichte. Am 1. Juli 1914, während des Baus der Walddörferbahn, beschlossen Bürgerschaft und Senat der Hansestadt Hamburg die Verlängerung der Strecke von Großhansdorf bis Beimoor. Denn in Großhansdorf, das bis zum Groß-Hamburg-Gesetz 1937 zu Hamburg gehörte, war eine „dritte hamburgische Irrenanstalt“ geplant, wie man damals psychiatrische Kliniken nannte. „Im nahen Beimoorwald war zudem eine Rüstungsfabrik vorgesehen, wofür wiederum ein Güterbahnhof und eine Arbeitersiedlung konzipiert waren“, schreibt Ulrich Alexis Christiansen in seinem Buch „Hamburgs dunkle Welten“. Auch eine Verbindung nach Siek zur Strecke der Südstormarnschen Kreisbahn sei geplant gewesen. Versailler Vertrag machte alle Pläne zunichte: Für eine zügige Anbindung an die Hansestadt sollte deshalb die Bahnstation „Beimoor“ gebaut werden. Im Archiv der Hamburger Hochbahn gibt es Unterlagen, wonach für den Senat auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle spielten, weil die Erdarbeiten bei einer Streckenverlängerung unentgeltlich geleistet werden mussten. Im Gemeindearchiv Großhansdorf zeigen die Originalpläne der Linienführung, dass außerdem noch eine weitere Station hinter Beimoor geplant war, „Auekämpe“ am Hansdorfer Kamp. Die hat aber immer nur auf dem Papier existiert. 1915 wurde mit der Aufschüttung des Bahndamms begonnen, bis 1919 waren die Gleisanlagen installiert und ein 60 Meter langer Mittelbahnsteig errichtet worden, der teils überdacht war, schreibt Anne Matthiesen in ihrem Artikel „Der Bahnhof Beimoor“. Ein Entwurf im Großhansdorfer Archiv zeigt den Bau, der so konzipiert war wie der Bahnhof Buchenkamp. Am Streckenende entstand laut Matthiesen ein verglastes Treppenhaus mit einer Ausgangshalle darunter. „Auf dem Bahnsteig hing schon das Stationsschild.“ Doch statt des ersten Zugs kam der Versailler Vertrag, der allen Rüstungsplänen einen Riegel vorschob. Damit war das Projekt vom Tisch, zumal die wirtschaftliche Situation nach dem Krieg auch den Bau der Psychiatrie nicht mehr erlaubte. Hitlerjugend machte Sprengübungen: „Nach dem Ersten Weltkrieg baute man die Gleise zwischen der Hoisdorfer Landstraße und Beimoor komplett ab“, heißt es 2002 in einem Artikel des HVV zum Thema „90 Jahre Hamburger U-Bahn“. Zu der geplanten elektrischen Ausstattung war es nie gekommen. Weil der Bahnhof Beimoor immer mehr verfiel und laut „Hamburger Anzeiger“ von 1931 dort „Rowdyhorden“ die Fenster einwarfen, entstand die Idee, in dem Gebäude eine Jugendherberge einzurichten. Doch das wurde aus Kostengründen schnell wieder verworfen. In den ersten Jahren des zweiten Weltkriegs wurden auch die stählerne Brückenkonstruktion über die Straße Mielerstede und die Halterung des Bahnhofsdachs demontiert. Unter den Nationalsozialisten diente das Gebäude laut Christiansen der Hitlerjugend für militärische Ausbildungszwecke, „einschließlich diverser Sprengübungen.“ Dadurch wurde das Gebäude immer mehr zerstört. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Trümmer zum Bau neuer Unterkünfte verwendet, weil in Großhansdorf inzwischen viermal soviel Menschen wie vor dem Krieg lebten. 1946 mauerte man den Bahnhofseingang aus Sicherheitsgründen zu. Die „grüne Hölle von Beimoor“: Anne Matthiesen beschreibt, dass anschließend ein Behelfsheim Marke Eigenbau auf dem Bahnhofsvorplatz entstand, das aus einem Raum bestand und den Tunnel der Anlage als Wirtschaftsraum einschloss. Auf der Wiese soll es einen Brunnen gegeben haben, mit dessen Wasser und Brausepulver die erste Bewohnerin Limonade an Ausflügler verkauft habe. Nach mehreren Bewohnern brannte das leerstehende Behelfsheim Anfang der 70er-Jahre ab. Auf dem Bahndamm soll ab 2010 auch einige Male der „Bahnhof Beimoor Marathon“ abgehalten worden sein, den die Sportler wegen der Brennnesseln als die „grüne Hölle von Beimoor“ bezeichneten, berichtet Matthiesen: 51 Runden vom Bahnhofskopf zur Mielerstede und zurück ergaben 42,33 Kilometer. „Ein Läufer blieb unter vier Stunden.“ Heute Fledermausquartier: Die Gemeinde Großhansdorf hat 1980 Bahnhof und Bahndamm für drei Mark gekauft. In einem Schulprojekt wurde auf dem Bahndamm ein Trockenrasenprojekt angelegt. 1986 zogen nach einem Umbau zum Fledermausquartier das Große Mausohr und das Braune Langohr in den Bahnhof ein. Ein Fledermausbeauftragter kümmert sich um die Unterkunft. Lesen Sie auch Lost Places: Eine Fabrik in Pronstorf ist seit Jahrzehnten im Dornröschenschlaf Lost Places: Sagenumwobene Insel im Neversdorfer See Lost Places: Die alte Nazi-Wache am Rande des Segeberger Forstes Von Bettina Albrod