Oldesloer Eisenbahnfreund entwickelt Dampflok im 3D-Druck

Wer sein Hobby seit mehr als 40 Jahren ausübt, bewegt sich womöglich in eingefahrenen Gleisen. Doch dass dies nicht unbedingt der Fall sein muss, dafür ist Rüdiger Otahal wohl das beste Beispiel. Der Travenbrücker hat dem Modellbau stets eine neue Seite abgerungen und damit freilich auch die Ausstellungen der Oldesloer Eisenbahnfreunde mit erstaunlichen Exponaten bereichert, wie etwa den ferngesteuerten Siku-Fahrzeugen im Vorjahr. Zurzeit tüftelt er wieder an einem außergewöhnlichen Projekt: dem maßstabsgetreuen Modell der Dampflokomotive BR 60 aus den 1930er Jahren mithilfe digitaler Technik. Das Schienenfahrzeug der Lübeck-Büchener Eisenbahn gehörte zu bahnbrechenden Entwicklungen im Schnellverkehr, durchbrach es doch die Schallmauer von 100 Stundenkilometern im deutschen Bahnverkehr. Von Hamburg nach Travemünde dauerte die Fahrt gerade einmal 40 Minuten. Tüfteln ohne Lötkolben und Messingblech: Statt mit Messingblechen, Lötkolben, Klebstoff und dem obligatorischen Set Feinwerkzeuge zu hantieren, sitzt Otahal also konzentriert vor seinem Laptop. Denn die Lok wird mithilfe spezieller Software zunächst als virtuelles Modell konstruiert. „Man muss mit der Zeit gehen“, sagt der ehemalige Polizeibeamte, für den sein Hobby stets ein guter Ausgleich zu den stressigen Einsätzen in Hamburger Brennpunkt-Bezirken darstellte. Da er sich vor drei Jahren in den Ruhestand verabschiedet hat, bleibt ihm nun mehr Raum und Muße, sich aufwendigeren Vorhaben zu widmen. Und dazu gehört unbestritten die Baureihe 60. „Schon vor 20 Jahren hätte ich gern eine solche Lok für die Spur-1 besessen. Es gab einige Hersteller, die dieses Modell auf den Haken genommen, aber dann wieder storniert haben“, erzählt der Travenbrücker. Das hohe Fahrgastaufkommen zwischen Hamburg und Lübeck führte in den 1930er Jahren dazu, dass der Dampftriebzug mit seinen 137 Plätzen nicht mehr ausreichte, um die Passagiere zu befördern. Die Lübeck-Büchener Eisenbahngesellschaft (LBE) gab deshalb die Entwicklung der Baureihe 60 in Auftrag. Hergestellt wurde sie in den Henschel-Werken in Kassel. Aufgrund ihrer grauen Verschalung wurde sie im Volksmund „Micky Maus“ genannt. Genau genommen war sie der Vorläufer des heutigen ICEs. Die stromlinienförmigverkleidete Lok bot so wenig Luftwiderstand, dass ganz neue Geschwindigkeiten möglich wurden. Binnen fünf Minuten beschleunigte das mit Dampf betriebene Schienenfahrzeug auf 120 Stundenkilometer – ein Novum in der damaligen Zeit. Die Fahrt zwischen Hamburg und Lübeck dauerte gerade einmal 40 Minuten. Hinzu kam, dass sich die Lok fernsteuern ließ und somit nicht vom Zugende an den Anfang gesetzt werden musste, wenn’s zurück ging. Lokführer am einen und Heizer am anderen Ende kommunizierten jeweils per Klingel oder Lautsprecheranlage, wenn sich die Lok wieder in Bewegung setzen sollte. Für ihre Zeitwaren die doppelstöckigen Züge recht exklusiv ausgestattet. Wie Eisenbahnexperte Rüdiger Otahal berichtet, gab es an Bord sogar eine Klima-Anlage. Durch Klappen im oberen Bereich der Wagen stopfte man ganze Eisblöcke, die während der Fahrt für Abkühlung sorgten. Die Temperatur ließ sich wohl sogar regeln. Nicht zuletzt wurden die Passagiere an Bord mit Musik berieselt. Der Lok-Führer legte Schallplatten auf. Drei Stückder legendären Baureihe 60 wurden allerdings nur gebaut, zwei im Jahr 1936, eine 1937. Ein Jahr später wurde die LBE verstaatlicht und von der Reichsbahn übernommen. Mit Beginn des Krieges fand das Schnellverkehrsprogramm ein jähes Ende. 15-jähriger Start-up-Chef wirkt mit im Team: Was andere aufgaben, wollte Rüdiger Otahal unbedingt fortsetzen. Da er selbst kein ausgebildeter Produkt-Designer oder CAD-Experte war, holte er Rat aus der bundesweiten Modellbauerszene ein und wurde fündig. Er stieß auf zwei ebenso begeisterte Tüftler aus Hessen und arbeitet mit ihnen seitdem im Team. Neben einem technischen Zeichner aus Fulda wirkt auch ein auf Modellflugzeuge spezialisierter Jungunternehmer mit. Der 15-jährige Frank Kläres hob schon mit 14 ein Start-up für 3D-Druck-Service aus der Taufe und war in diesem Jahr für den Gründerpreis nominiert. Alle Drei tragen nun gleichermaßen ihr Scherflein dazu bei, dass die Lok eines Tages in Miniaturausgabe über die Gleise rollen kann. Tägliche Konferenzen sind das A und O: Als eingefleischter Modellbauer bringt Otahal freilich die praktische Erfahrung mit. Die Angaben zu restlos allen Bauteilen der BR 60 in richtigem Maßstab und Anordnung hat er mühsam über viele Jahre hinweg gesammelt, aus der Fachliteratur, Konstruktionszeichnungen, die ihm die Freunde der Lübeck-Büchener Eisenbahn zur Verfügung stellten und anderen Quellen. Ebenso zeitaufwendig ist es, diese Informationen ins jeweils andere Medium zu übersetzen: vom nackten Zahlenwerk zur Zeichnung und von dort in den dreidimensionalen Druck. Fast täglich sprechen sich Otahal und seine Mitstreiter deshalb telefonisch oder per Videokonferenz untereinander ab. Ausdruck dauert etwa eine Woche: Mit einem sogenannten Tragmodell, einem aus Pappe hergestellten Prototyp, fing alles im Juli dieses Jahres an. „Das haben wir angelegt, um die Größenverhältnisse zunächst zu ermitteln. Anhand dessen konnten wir inzwischen auch das Gehäuse drucken“, berichtet Otahal. Und das war ihm zufolge keineswegs im Nu erledigt. Die Datei für das noch recht ungeschliffene erste Teil ist 53 Megabyte groß und dauert im Druck fünf bis sechs Stunden. „Und so ist es mit jedem einzelnen Teil, ob das der Kessel ist, der Führerstand, die Klappen, Griffe, was auch immer, wobei es keine Rolle spielt, ob das Endprodukt aus Kunststoff oder aus Messing gedruckt wird“, sagt Otahal. Kein Wunder also, dass die finale Herstellung des 38,6 Zentimeter langen, 3,5 Kilogramm schweren und bis ins Detail ausgearbeiteten Modells weit mehr Zeit in Anspruch nehmen wird. Der Modellbauer schätzt, dass das Mammutprojekt gut eine Woche dauern kann. Mit Airbus-Leuten beim Seminar: Um sich mit der neuen Technik vertraut zu machen, belegte der Travenbrücker selbst einen Lehrgang in 3D-Druck, an dem sogar ein Airbus-Mitarbeiter teilnahm. Immerhin ist die Technologie inzwischen schon State of the Art in der Flug- und Fahrzeugindustrie. Das Team um Otahal favorisiert zurzeit zwei verschiedene Drucktechniken, die jeweils auf thermischen Prozessen basieren. Entweder wird der Kunststoff durch Wärme verflüssigt und Schicht für Schicht bis zur endgültigen Form aufgetragen oder aus einem Berg pulverisierten Materials mithilfe eines Lasers herausgeschmolzen. Dank Decoder zischt und pufft die Lok: Um das Erlebnis Eisenbahn auch akustisch perfekt zu machen, wird die Dampflok mit einem elektronischen Bauteil versehen. „In so einem kleinen digitalen Decoder ist alles drin, was man sich wünschen kann. Die Lok bekommt den originalen Sound, fahrgeräuschabhängig dieses Zisch und Puff. Aus dem Schornstein entweicht der Dampf, synchron gesteuert“, erklärt der Eisenbahnfan. Das alles sei zudem am Rechner noch variierbar. Otahal würde sich wünschen, das mit allen Schikanen ausgestattete Modell im kommenden Jahr präsentieren zu können. „Wir hoffen, dass uns Corona lässt“, sagt er achselzuckend. Die für dieses Jahr geplante Ausstellung der Oldesloer Eisenbahnfreunde, die eigentlich in vier Wochen stattfinden sollte, musste schon aufgrund verschärfter Hygienebedingungen abgesagt werden. Es wäre die 35. Veranstaltung dieser Art seit Gründung des Vereins gewesen. Weitere Informationen über die Projekte des Travenbrückers gibt es übrigens auf seiner Homepage www.modellbau-mit-herz.de. Lesen Sie auch Grönwohld: 22-Jähriger tot auf Spielplatz gefunden Corona-Fall an Ida-Ehre-Schule in Bad Oldesloe Corona: So geht Bad Oldesloe mit Maskpenpflicht und Sperrstunde um Von Dorothea von Dahlen