Pomarium Wulfsdorf: Äpfel aus der Vergangenheit

Der Ohlsdorfer Friedhof wird zum Überlebensraum für alte Obstsorten aus Stormarn: Der Ahrensburger Michael Heißenberg hat 2014 damit begonnen, historische Apfel- und Obstsorten zu retten. Daraus entstand das Pomarium Gut Wulfsdorf. Drei Jahre später hatte Agraringenieur Peter Tillmann die Idee zur „Arche Ohlsdorfer Friedhof“, um auf dem Park-Friedhof historische Obst- und Beerensorten zu erhalten. Als Kooperation zwischen Friedhof und Pomarium wurde 2018 eine erste Pflanzung von 50 jungen Wulfsdorfer Obstbäumen in Ohlsdorf angelegt. Der Apfelbaum in Nachbars Garten: Die Arche Ohlsdorfer Friedhof ist nur ein Teil des Stormarner Projekts, das vor sieben Jahren mit einem Apfelbaum in Nachbars Garten begonnen hat. „Mein Nachbar wollte damals einen alten Apfelbaum fällen“, berichtet Heißenberg. Er ließ einen Apfel von Experten bestimmen und erfuhr, dass er von der Sorte „Stahls Winterprinz“, sehr selten und einer der letzten seiner Art war. „Damals gab es davon nur noch fünf bis zehn Bäume.“ Also nahm Heißenberg Edelreiser von diesem Baum und zog sie zu ein paar Jungbäumen heran. Damit war sein Interesse an historischen Obstsorten geweckt. Heißenberg belegte Kurse und bildete sich zum Pomologen weiter. Gleichzeitig sammelte er immer mehr alte Sorten. Den Platz dafür fand er auf Gut Wulfsdorf, wo er nach und nach 200 verschiedene Obstbäumchen anpflanzte. Begleitend baute er auf dem Hofgelände eine kleine Baumschule für alte Sorten auf, die er selbst veredelt hat. Dort stehen heute rund 800 Jungbäume im Alter von ein bis drei Jahren und warten auf ihre Auspflanzung. Die erfolgt nicht nur auf dem Gut und in Ohlsdorf, sondern auch auf weiteren norddeutschen Standorten. Dazu gehören das Haus am Schüberg in Ammersbek, Flächen an der Ostsee und in Volksdorf. „Im nächsten Jahr kommt ein großes Pflanzprojekt in Dänischenhagen dazu.“ Insgesamt 1800 Obst-Antiquitäten von 470 unterschiedlichen Sorten hat der Ahrensburger mittlerweile angepflanzt. „Mein Ziel ist der Erhalt alter Obstsorten “, betont Heißenberg, „nicht die Vermarktung.“ Heißenberg will die alten Sorten vor dem Aussterben retten, denn sie sind ein wichtiges Kulturgut. Allein kann er die Arbeit nicht mehr bewältigen, deshalb trat er dem „ Initiativkreis Gut Wulfsdorf “ bei und gründete die Stiftung „ Zeitlupe “. „Im Laufe der Arbeit habe ich viele Experten kennengelernt und gehöre zum Erhalternetzwerk im Pomologenverein.“ Ziel sei es, zum einen alte Sorten zu erhalten und nachzupflanzen, zum anderen bestehende Obstbaumflächen zu pflegen und zu schützen. Dafür will der Pomologe nach und nach weitere Flächen akquirieren. Eigene Sorten auf dem Gut entdeckt: „Wir haben mittlerweile Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen, Quitten, Walnüsse und Maronen“, zählt er auf. Darunter sind besondere Sorten wie die sehr seltene „Kaiserbirne mit dem Eichenblatt“ oder der Apfel „Kanada-Renette“. „Der hat einen sensationellen Geschmack, fühlt sich aber an wie Schmirgelpapier.“ Ein anderer Apfel schmecke so scharf, als wäre er mit Pfeffer gewürzt. „Das ist die ,Duvenstedter Renette’“. Denn Gut Wulfsdorf hat eigene Sorten. „Die habe ich entlang der Wanderwege entdeckt. Vor 50 Jahren hat mal jemand einen Apfel weggeworfen, und daraus ist ein Baum geworden.“ So hat das Pomarium Wulfsdorf mittlerweile die Äpfel „Gelber von Gut Wulfsdorf“, „Duvenstedter Wachsapfel“, „Joseph Beuys“ und „Duvenstedter Renette“. „Der Beuys ist eine Duftbombe, wenn man da einen im Zimmer hat, duftet der ganze Raum.“ Alle Bäume sind in einer Datenbank dokumentiert. Zudem bemüht sich die Stiftung darum, historische Aufzeichnungen anzukaufen und zu digitalisieren, um das Wissen um die alten Sorten zu erhalten. Im Bestand ist beispielsweise der handschriftliche Nachlass des Pomologen Friedrich Kilp, dessen Aufzeichnungen von 1885 bis 1895 transkribiert und digitalisiert wurden. Einziges Beerenobstprojekt Norddeutschlands: Für die Baumpflege arbeiten die „Zeitlupe“ und der Initiativkreis mit der Einrichtung „ Robben “ zusammen, in der Menschen mit Behinderung leben und arbeiten. Sie übernehmen die Baumpflege. Dort soll in Zukunft auch die Ernte zu Apfelringen verarbeitet werden, die im Robben-Café angeboten werden. Neu ist die Kooperation mit der Naturschule „Wilde Zeiten“ in Wulfsdorf, wo zusätzlich zu Apfel, Birne und Co ein Beerenobstprojekt entsteht. „Von 2021 an wollen wir schwarze und rote Johannisbeere, Him- und Stachelbeere erhalten“, kündigt der 62-Jährige an. Für das einzige Beerenobstprojekt in Norddeutschland übernehmen die Wulfsdorfer Pomologen aus einer Schweizer Genbank das Erbmaterial, um die Beeren zu vermehren. Die alten Obstsorten wachsen auf Flächen, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Heißenberg wünscht sich deshalb einen Radwanderweg entlang einer Obstroute von Ohlsdorf nach Wulfsdorf. Künftig sollen außerdem auf dem Ohlsdorfer Friedhof Führungen, Veredelungskurse und Seminare zum Obstbaumschnitt in Zusammenarbeit mit Michael Heißenberg und der Kulturinitiative KulturKleinBorstel/Kapelle 6 angeboten werden. Von Bettina Albrod