Vorsicht beim Sammeln: Trockener Sommer lässt die Giftpilze wachsen

Alle wollen in die Pilze, aber nicht alle Pilze sollen in den Menschen: „Durch den langen trockenen Sommer gibt es in diesem Jahr besonders viele giftige Knollenblätterpilze“, warnt Pilzexperte Ingo Hartung. Grüne und gelbe Knollenblätterpilze seien derzeit deutlich häufiger zu finden als sonst. Gleichzeitig starte die Pilzsaison mit zwei Wochen Verspätung. Erst jetzt, wo ab und zu Regen fällt, kommen die beliebten Sammlerstücke aus dem Boden. „In diesem Jahr gibt es eine schlechte Pilzsaison“, hat Hartung beobachtet. Trockenheit schlecht für Pilze: Die Trockenheit macht den Fungi zu schaffen, die aus einem Mittelreich zwischen Tier und Pflanze stammen: Sie sind standortgebunden wie Pflanzen, ernähren sich aber nicht durch Photosynthese, sondern wie Tiere durch die Aufnahme organischer Substanzen. Der Mensch ernährt sich durch Aufnahme von Speisepilzen, die in Stormarn viele in Volkshochschul-Kursen unter Führung von Ingo Hartung suchen. „Das Interesse am Pilzsammeln hat enorm zugenommen“, sagt Hartung. Das sei eine Tätigkeit, die auch bei Corona draußen und zusammen mit anderen stattfinden könne. Seine Kurse seien voll und hätten mittlerweile lange Wartelisten. Der erste Pilzschub sei Anfang September hervor gekommen, das seien vor allem Sommersteinpilze gewesen. „Danach herrschte drei Wochen Funkstille.“ Nur wenige Pilzsorten kommen mit der Trockenheit zurecht; neben den Knollenblätterpilzen tut das trockene Wetter nur noch der Krausen Glucke gut. Die heißt wie ein Huhn, sieht ein bisschen aus wie ein Huhn und wird teils auch so groß wie ein Huhn: „Ein Pilzsammler hat gerade die größte Krause Glucke gefunden, die ich je gesehen habe“, berichtet Hartung, „die wiegt sicher über fünf Kilogramm.“ Mitte Oktober, schätzt er, wird es zu einem Neustart beim Pilzwachstum kommen. Medizinisch wertvoller Pilz: Geschätzt werden die Speisepilze als eigene Mahlzeit, als Soßenbeigabe, als Würze, aber auch als Allheilmittel. Birkenporling heißt das medizinische Wundermittel, das schon „Ötzi“ im Erste-Hilfe-Kasten mit sich führte, denn es wirkt antibiotisch. „Der Birkenporling hilft bei Magen-Darm-Beschwerden, wirkt antibakteriell, fördert den Haarwuchs, hilft gegen Sodbrennen, bremst möglicherweise das Tumorwachstum und stillt Blutungen“, zählt Hartung die Wirkung auf, die von der Schulmedizin bestätigt werde. Steckt man ein Messer hinein, verhindert er das Rosten. Verwendet wird der medizinische Pilz als Granulat, das man zehn Minuten lang abkocht und dann durch ein Sieb gießt. Der Sud soll es dann bringen. „Der Pilz schmeckt bitter“, sagt Hartung, „aber er soll sehr gesund sein.“ Auch die übrigen Pilze seien insoweit gesund, als sie keine nachweisbaren Spuren vom radioaktiven Ausfall von Tschernobyl enthielten. 2013 bis 2015 hat Hartung die Pilze beim Bundesamt für Strahlenschutz untersuchen lassen, das Entwarnung gab. Warnen tut der Experte allerdings vor Knollenblätterpilz und dem ebenso giftigen Kahlen Krempling, die es dieses Jahr vermehrt gibt. „Viele der leckeren Pilze haben giftige Doppelgänger. Für Hobbysammler kann dies gefährlich werden“, warnt auch AOK-Serviceregionsleiter Reinhard Wunsch in einer Pressemitteilung. Verursacher lebensgefährlicher Pilzvergiftungen sei beispielsweise der Knollenblätterpilz, der von unerfahrenen Sammlern oft mit dem Champignon verwechselt werde. Von den tödlich verlaufenden Pilzvergiftungen in Mitteleuropa gingen die meisten auf diesen Pilz zurück. Insgesamt gibt es in Deutschland mehrere tausend Pilzarten, von denen rund 200 giftig sind. „Die AOK Nordwest warnt dringend davor, Pilze ohne Fachkenntnisse zu sammeln und zu verzehren.“ Das Giftinformationszentrum-Nord ( GIZ-Nord ) ist für alle Vergiftungen in den vier norddeutschen Bundesländern Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die primäre Beratungs- und Erfassungsstelle. Sie ist 24 Stunden am Tag erreichbar. Die Experten vom GIZ-Nord helfen rund um die Uhr kostenfrei unter der Rufnummer 0551/19240 weiter. „Zur Erkennung von giftigen Pilzen sind zahlreiche Legenden im Umlauf. Ein verfärbter Silberlöffel im Pilzgericht weist nicht auf Giftpilze hin, ebenfalls sind Fraßspuren von Tieren oder ein Wohlgeschmack des rohen Pilzes kein Anzeichen von Essbarkeit“, wird Dr. Martin Ebbecke vom Giftinformationszentrum-Nord zitiert. „Der beste Schutz vor Pilzvergiftungen sind gute Kenntnisse der einheimischen Arten.“ Ein altes englisches Sprichwort laute: „Es gibt alte Pilzsammler und es gibt wagemutige Pilzsammler, es gibt aber keine alten, wagemutigen Pilzsammler.“ Von Bettina Albrod