Auch gut drei Monate nach dem schweren Lkw-Unfall auf der A 1 kurz hinter dem Autobahnkreuz Lübeck mit anschließender stundenlanger Sperrung schlagen die Wellen hoch. Grund: Die vermeintlichen Verkehrssünder, die widerrechtlich in der Rettungsgasse wendeten, wehren sich gegen ihre Bußgeldbescheide. 400 Euro sollen sie zahlen, dazu kommt ein einmonatiges Fahrverbot.
Einer der Autofahrer hat sich nun an die LN gewandt – und berichtet von einer ganz anderen Version. Demnach habe die Polizei den Verkehr geregelt und habe die im Stau stehenden Autofahrer zurück zum Kreuz Lübeck geleitet – entgegen der Fahrtrichtung.
Erste Autos wendeten
In seiner Stellungnahme an die Bußgeldstelle des Kreises Stormarn, die den LN vorliegt, schreibt der Mann aus Niedersachsen, der namentlich nicht genannt werden möchte: „Nach dem Unfall bildeten die Fahrzeuge sofort eine Rettungsgasse, ich stand rechts in der zweiten Reihe. Feuerwehr, Polizei und ein Rettungshubschrauber kamen. Dann passierte eine Stunde lang nichts.“
Er habe sich mit anderen Autofahrern unterhalten, als plötzlich Bewegung in die Sache gekommen sei. „Erste Pkw und Lkw drehten um und fuhren auf Geheiß der Polizei in entgegengesetzter Richtung zurück zum Autobahnkreuz“, berichtet der Mann. „Ein Polizeibeamter stand mit dem Gesicht zu uns und winkte mit der rechten Hand Fahrzeuge, die gewendet hatten, in die Ausfahrt.“ Mehrere Autos seien dem gefolgt. „Kurz gesagt: Nach meiner Überzeugung lag eine Verkehrsregelung durch Polizeibeamte vor“, erklärt der Mann aus Niedersachsen.
Falsche Autofahrer erwischt?
War also alles ganz anders? Zu einem späteren Zeitpunkt habe es tatsächlich eine geordnete Rückführung durch die Polizei gegeben, erklärt Stefan Muhtz auf LN-Anfrage. Muhtz ist Sprecher der Polizeidirektion Lübeck, die damals die Videoaufnahmen eines anderen Autofahrers auswertete. Es habe jedoch mehrere Fahrer gegeben, die vorher widerrechtlich gewendet hätten.
Die Frage ist also, wer wann umgedreht ist und ob die Ermittlungsbehörden jeweils die „richtigen“ Autofahrer erwischt haben. Der Kreis Stormarn jedenfalls ließ die Ausführungen des Mannes aus Niedersachsen nicht gelten, der Bescheid blieb bestehen. In der Antwort habe es lapidar geheißen: „Die Angaben in Ihrer Anhörung konnten Sie nicht entlasten“.
Was zeigen die Videoaufnahmen?
Entscheidend sind in diesem Zusammenhang offenbar die Videoaufnahmen von Norbert Lehmkuhl. Er sei immer noch erschüttert über das Verhalten einiger Verkehrsrowdys, hatte damals seine Smartphone-Aufnahmen sofort bei Facebook gepostet – und ein riesiges mediales Echo ausgelöst.
Den LN schilderte er nun noch mal seine Erlebnisse: „Ich habe die Aufnahmen von den wendenden Autos gemacht und etwas später dann Polizeibeamten davon berichtet, die von hinten an den Stau heranfuhren. Sie baten mich, dass ich mich mit Warnblinker querstelle, damit kein Auto mehr zurückfährt.“ Als die Polizei so weit gewesen sei, ist Lehmkuhl nach eigener Aussage als erster regulär zurück Richtung Kreuz Lübeck gefahren – und hat dabei natürlich nicht mehr gefilmt.
Von den ersten Wendemanövern in der Rettungsgasse will der Mann aus Niedersachsen wiederum nichts mitbekommen haben. Er sei sich aber sicher, erst später – mit polizeilicher Erlaubnis – umgedreht zu sein. „Ich habe mich aus dem Fenster heraus noch bei einem der Beamten bedankt. Er erwiderte: ,Man tut, was man kann’.“
Geht es nun vor Gericht?
Insgesamt haben zwei der zehn vermeintlichen Verkehrssünder ihren Einspruch so begründet, dass sie erst später gefahren seien, als die Polizei den Verkehr auf der A 1 regelte. Das bestätigt Ingo Lange den LN, Fachdienstleiter Öffentliche Sicherheit bei der Stormarner Kreisverwaltung. In beiden Fällen habe man die Polizei in Lübeck noch einmal um eine Stellungnahme gebeten. „Das ist noch in der Mache“, erklärt Lange.
Sollte sich herausstellen, dass die beiden Autofahrer zu Unrecht beschuldigt werden, wird das Verfahren eingestellt. Anderenfalls landen die Fälle wohl vor Gericht.
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Von Markus Carstens