Zivilbeschäftigte der Bundeswehr bei Corona-Nachverfolgung in Stormarn

Die Bundeswehr spielt seit Mitte der Woche eine wichtige Rolle bei der Pandemie-Bekämpfung in Stormarn. Wie berichtet, hatte die Kreisverwaltung angesichts steigender Fallzahlen um Amtshilfe gebeten. In ganz Schleswig-Holstein hat nach Informationen der Bundeswehr bisher nur noch der Kreis Pinneberg Unterstützung beantragt. In Bad Oldesloe haben nun im Verlauf der Woche drei Frauen und vier Männer die mühevolle Aufgabe übernommen, die Infektionsketten nachzuverfolgen und Bürger darüber aufzuklären, dass sie sich möglicherweise bei einem ihrer Mitmenschen angesteckt haben. Als Grundlage dafür dienen ihnen Listen all jener Personen, zu denen positiv getestete Stormarner 48 Stunden zuvor noch Kontakt hatten. Maritimes Blau statt Camouflage: Wer glaubt, die Helfer säßen im tarnfarbenen Drillich an den Schreibtischen, die ihnen die Kreisverwaltung für ihren Job zur Verfügung gestellt hat, der irrt gewaltig. Schließlich handelt es sich um Zivilbeschäftigte der Bundeswehr und nicht um Soldaten. Auch wurden sie nicht abkommandiert, um der Verwaltung in Bad Oldesloe unter die Arme zu greifen, sie haben sich allesamt aus freien Stücken gemeldet. Im richtigen Leben Techniker und Forscher: Der gestreifte Schatten einer Sonnenblende liegt auf Tim Porepps Gesicht. Der 44-Jährige stammt ebenfalls aus dem hohen Norden. Wie seine Kollegen in den anderen Büros trägt auch er ein maritim anmutendes, dunkelblaues T-Shirt. Doch obgleich es eigentlich naheliegen würde, bedeutet das aufgeprägte Logo „WTD“ nicht etwa Wassertechnische, sondern Wehrtechnische Dienststelle 71. „Im richtigen Leben kümmern wir uns um Schiffe und Marinewaffen, maritime Technologien und Forschung, also um alles, was um, an, über und unter Wasser mit der Marine zu tun hat“, erklärt Frank Bernhardt, Leiter des Technisch-Betrieblichen Servicebereichs der WTD aus Eckernförde. Einfühlungsvermögen ist bei Telefonaten gefragt: Tim Porepp hat einen Einzelplatz im Büro erwischt und somit ziemliches Glück. Schließlich gelten auch für ihn und seine Kollegen strenge Hygieneregeln. Da er allein im Raum sitzt, braucht er keine Maske zu tragen, was die Telefonrecherche um einiges erleichtern dürfte. Und doch ist der Job, den er hier versieht, gewöhnungsbedürftig, was auch Bernhardt bestätigt. „Die Mitarbeiter hier sind Techniker oder sie fahren unsere Schiffe zur See. Mit wildfremden Menschen zu telefonieren, ist für sie natürlich eine total ungewohnte Tätigkeit“, sagt er. Nicht zuletzt erfordere das Thema, um das es gehe, auch ein gewisses Einfühlungsvermögen. „Wenn Gesprächspartner erfahren, dass es in ihrem Umfeld einen Covid-19-Fall gibt, sind sie natürlich erst einmal sehr besorgt und wollen wissen, was müssen sie tun, was ist ab jetzt verboten. Das heißt, wir versuchen natürlich die Informationen von den Personen zu erhalten, aber auch gleichzeitig zu beruhigen und zu beraten, sodass sie sich mitgenommen fühlen“, beschreibt Porepps Vorgesetzter, worauf es ankommt. Sollte jemand tatsächlich panisch reagieren, so gebe es die Möglichkeit, ihm ein besonderes Hilfsangebot zu vermitteln. 751 bestätigte Covid-19-Fällehat es bisher insgesamt in Stormarn gegeben (Stand 16. Oktober). Damit sind 57 Neuinfektionen im Kreis binnen der vergangenen sieben Tage aufgetreten. Somit ist auch der Inzidenzwert gestiegen, nämlich von 19,3 Fälle auf 23,4 Fälle pro 100 000 Einwohner. In Quarantänebefinden sich aktuell 81 Stormarner, das sind sechs Fälle mehr als am Vortag. Insgesamt vier Personen werden gegenwärtig aufgrund einer Infektion mit dem Virus stationär im Krankenhaus behandelt. Im Verhältnis zum Vortag bedarf also eine weitere Person der akuten medizinischen Hilfe. 631 Personen sind seit Ausbruch der Pandemie in Stormarn wieder genesen, 35 Personen erlagen der Krankheit. Rechercheure müssen schweigen: Wie alle Rechercheure auf Zeit ist auch Porepp zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet worden. Das war eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Kreisverwaltung die Nachverfolgung überhaupt an Dritte delegieren durfte. „Es werden ja ganz persönliche Daten abgefragt, die unter besonderem Schutz stehen. Wir fragen nicht nur nach Adressen und Kontaktdaten, sondern auch danach, ob es Vorerkrankungen gibt oder aktuelle Symptome. Wenn Letzteres der Fall ist, müssen wir möglichst schnell weitere Schritte einleiten, dass die Personen zum Hausarzt geht. Wir nehmen natürlich alles in eine Datenbank auf und versuchen die Arbeit so zu strukturieren, dass wir alle erwischen, die wir nachverfolgen müssen“, sagt Christiane Clobes, Leiterin des Gesundheitsamtes. Zum Glück weder „Mickey Mouse“ noch „Merkel1,2,3“: In den Büros stapeln sich derweil die Aktenordner mit Listen, die es abzuarbeiten gilt. „Unmöglich“, winkt Christiane Clobes auf die Frage ab, wie viele Telefonate zum gegenwärtigen Zeitpunkt genau zu führen sind, um die Infektionsketten hinreichend nachverfolgen zu können. Sicher sei lediglich, dass die Anzahl der Kontakte im Verhältnis zu Beginn der Corona-Pandemie erheblich zugenommen haben. „Das ist auch nur logisch. Während des Lockdowns haben Infizierte allenfalls bis zu fünf andere Personen getroffen. Jetzt, wo viele Beschränkungen gelockert sind, haben wir Listen mit 40 Personen“, erklärt sie. Sehr häufig müsse das Umfeld von Reiserückkehrern recherchiert werden, wobei sogar Passagierlisten abgefragt würden, um ein komplettes Bild über das Infektionsgeschehen zu erhalten. Doch auch infizierte Sportler und Schüler gehörten zu den stark betroffenen Personenkreisen. „Zum Glück haben wir es mittlerweile mit qualifizierteren Angaben zu tun“, fügt Clobes hinzu. Fantasienamen wie „Mickey Mouse“ oder „Merkel1,2,3“ kämen so gut wie nicht mehr vor. Das erleichtere die Arbeit um ein Vielfaches. Freiwillige wieder auf der Heimreise: Inzwischen haben die sieben Rechercheure die Hörer wieder auf die Gabel gelegt und befinden sich bereits wieder auf der Heimreise. Ab kommender Woche wird eine neue Gruppe Freiwilliger aus dem Bundeswehrverband die Arbeit fortsetzen. Laut Frank Bernhardt wurde dem Antrag auf Unterstützung vorerst bis zum Ende des Monats stattgegeben. Dann werde die Lage neu bewertet. Von Dorothea von Dahlen