Helena Zengel zu Dreharbeiten mit Tom Hanks: „Angst hatte ich gar keine“

Helena Zengel scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein: Die erst 12-jährige Deutsche brilliert neben Hollywood-Profi Tom Hanks in dem Netflix-Western „Neues aus der Welt“, der am 10. Februar auf dem Streaming-Dienst angelaufen ist. Mit wenig Worten und umso mehr emotionalem Ausdruck spielt sie eine von Waise, die mit einem Zeitungsvorleser auf dem Weg zu ihren Angehörigen die Prärie durchquert. Helena, in „Neues aus der Welt“ lernt Dich der Zuschauer wieder als wildes, aufsässiges Mädchen wie in „Systemsprenger“ kennen. Hast Du keine Angst, auf solche Rollen festgelegt zu werden? Nö! Angst habe ich komplett gar nicht. Ich spiele gern diese Rollen, ich fühle mich damit wohl. Und ich möchte gern weiter solche Filme machen. Natürlich würde ich gern auch mal einen Kinderfilm drehen, das klappt bestimmt auch mal. Aber ich finde es nicht schlimm, in dieses Fach gesteckt zu werden, weil es mir bestimmt am besten liegt und ich es mag. Man sagt, dass ich solche Rollen gut spielen kann, von daher macht es ja auch einen Sinn. Schauspielkunst ohne Worte: Deine Filmfigur hat auch viele emotionale Szenen mit wenig Dialog. Wie schwierig war das Spielen ohne Worte? Ich denke, es ist eine der schwierigsten Sachen für einen Schauspieler, in einem Film nicht reden zu können und alles über die Augen zu vermitteln. Das war manchmal nicht so leicht. Aber es war auch mal cool, einfach nichts zu sagen und trotzdem zeigen zu können, was man kann. „Systemsprenger“-Regisseurin Nora Fingscheidt hat sich schon sechs Monate vor Drehbeginn regelmäßig mit Dir getroffen. Hattest Du auch in Amerika die Möglichkeit, die Leute vorher kennenzulernen? Ja, ich habe vorher den Regisseur und teilweise Leute vom Filmset kennengelernt. Tom habe ich tatsächlich erst drei Tage vor Filmbeginn getroffen. Eigentlich sollte ich ihn sogar erst einen Tag vorher kennenlernen, damit nicht schon eine gute Beziehung zwischen uns entsteht. Sonst wäre es im Film vielleicht nicht so authentisch rübergekommen, dass wir uns am Anfang noch nicht kennen. Es war bestimmt nicht leicht, Tom Hanks nicht sofort zu mögen, oder? Das stimmt. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und uns auf den ersten Drehtag gefreut. Wirklich gekannt haben wir uns nach dem ersten Treffen und der Warm Up-Party aber nicht. Das ist nicht ungewöhnlich. Tom hat mir erzählt, dass er die Piraten bei „Captain Phillips“ auch zum ersten Mal gesehen hat, als sie aufs Schiff gekommen sind. Das macht die Reaktionen authentischer. Tränen am letzten Drehtag: Gab es am letzten Drehtag Tränen? Ja. Das ist oft so. Nicht immer, manchmal ist man am Ende auch erschöpft und freut sich darauf, endlich frei zu haben. Das habe ich bei vielen Leuten gesehen, die sehr viel am Set machen. Ich selbst bin immer sehr traurig. Bis jetzt habe ich bei fast jedem Film am Ende geweint. Tom nicht so sehr. Er hat ja schon viele Filme gemacht, er weiß, dass Dreharbeiten beginnen und enden. Aber generell war dieser Tag sehr emotional. Ich habe als allerletzte Szene gedreht, wie ich nach meiner Familie schreie. Wir waren alle ein bisschen bedröppelt. Es war der letzte Tag und wir wussten nicht, ob und wann wir uns mal wiedersehen. Corona war zwar noch nicht so schlimm, aber Tom wohnt ja auch so weit weg. Am Ende haben wir uns ganz doll umarmt und geliebherzt. Wir haben noch ein bisschen gefeiert und ganz viele Videos gemacht. Aber dann musste man Abschied nehmen. Das ist schon schlimm, wenn man monatelang jeden Tag mit diesen Leuten zusammengearbeitet hat. Die Rolle des unbändig-renitenten Sorgenkindes Benni in Nora Fingscheidts Drama „Systemsprenger“ bescherte Helena Zengel nicht nur diverse Preise. Der furiose Auftritt erregte auch die Aufmerksamkeit internationaler Filmemacher. Regisseur Paul Greengrass („Das Bourne Ultimatum“) vertraute dem jungen deutschen Ausnahmetalent in seinem Westerndrama „Neues aus der Welt“ (seit 10. Februar bei Netflix) die Co-Hauptrolle an der Seite von Tom Hanks an. Helena Zengel spielt ein Kind deutscher Auswanderer, das nach dem gewaltsamen Tod seiner Familie bei Indianern aufwächst. Hanks als tingelnder Nachrichtenvorleser nimmt sich des Kindes unter Lebensgefahr an. Tom Hanks meinte, dass Du ihn vorher gar nicht kanntest. Konntest du deswegen so unbeschwert aufspielen oder hast du generell keine Berührungsängste bei großen Namen? Das bestimmt auch. Aber als wir mit den Dreharbeiten begonnen haben, wusste ich schon, dass er eine richtig große Nummer, ein Riesenschauspieler ist. Er hat einen guten Ruf und viele Leute beten ihn an. Er ist ein Superstar, aber er macht es einem auch sehr leicht. Er ist nett, lustig, ein Gentleman. Er ist freundlich und hat immer einen Witz auf der Tasche. Tom ist gar nicht abgehoben. Man stellt sich vielleicht vor, dass so jemand etwas hochnäsig daherkommt und immer schicke Klamotten trägt. Dabei ist er völlig normal und kommt in Jogginghose und Puschen. Klar war ich ein bisschen aufgeregt. Aber man muss sich dann irgendwie fallenlassen. Es bringt gar nichts, wenn du immer angespannt bist. Ich hätte nicht gedacht, dass zwischen uns so eine enge Freundschaft entsteht. Keine echten Mitbewerberinnen: Wie kam es eigentlich zu der Zusammenarbeit, hattest Du auch Mitbewerberinnen? Ich habe Mitbewerberinnen gesehen. Eine davon hat schon eine Netflix-Serie bekommen und wurde deshalb auch nicht genommen. Als ich nach London eingeladen wurde, war schon relativ klar, dass ich die Rolle habe. Im Grunde genommen kam es dazu, weil der Regisseur „Systemsprenger“ gesehen hatte. Berlinale 2021: Ein komprimiertes Hoffnungszeichen für das Kino Offener Brief an Daniel Günther: Kultur darf nicht an letzter Stelle bei Öffnungen stehen US-Kritikerpreis: Helena Zengel als bester Nachwuchsstar nominiert An welchem Set ging es strenger zu, bei „Systemsprenger“ oder bei diesem Film? Oh, das ist eine gute Frage. „Strenger“ war es, glaube ich, bei keinem der Filme. Ich würde ansonsten aber Amerika sagen, weil man hier neun Stunden am Set ist statt fünf Stunden. Das macht mir nichts aus, aber es ist mehr Zeit und mehr Aufwand. Auch mit der Schule ist es in Deutschland besser geregelt. Es war schon immer so ein Hin und Her: „So, fünf Minuten Pause. Mach’ schnell alles, was Du schaffen kannst!“. Das war schon manchmal sehr schwer zu handlen. Der Film hat einen großen Umfang, es gab viele große und aufwendige Szenen, die in nur drei Monaten gedreht werden mussten. So eine Szene einzurichten, dauert sehr lang, vielleicht eine dreiviertel Stunde. Wenn man dann nur neun Stunden am Tag und insgesamt dreihundert Szenen hat, ist es wirklich schwer, den Film unterzukriegen. Was mir in Amerika noch aufgefallen ist, ist diese krasse Einstufung. Teilweise mussten Leute vom Set zu mir kommen, damit ich Tom etwas frage, weil sie nicht selbst hingehen durften. Das gilt als eine Frage des Respekts. Als einfacher Mitspieler kann man nicht einfach zu einem Produzenten gehen. Das war schon echt schräg. Dass man dort so krasse Regeln hat, hätte ich nicht gedacht. Aber ansonsten war alles sehr entspannt. Wir hatten gute Verpflegung und sehr nette Leute. Sprache der Kiowa-Indianer gelernt: Im Film sprichst Du die Sprache der Kiowa-Indianer. Hast Du nur Deinen Text phonetisch gelernt oder hattest Du echten Sprachunterricht? Es war so eine Mischung. Ich habe zwar meistens meine Texte gelernt, aber auch ein paar andere Sachen darüber hinaus. Zum Beispiel, wie man zählt. Willst Du eine Schauspielschule besuchen oder auf Dein Naturtalent setzen? Ich möchte nicht so gern auf eine Schauspielschule gehen. Nicht, weil ich es für falsch halte. Ich finde, es ist für mich selbst nicht das Richtige. Ich möchte meine Natürlichkeit und Authentizität beibehalten. Aber für viele Menschen, die nicht so früh hineingerutscht sind, ist es ein sehr guter Weg, die Schauspielerei zu verstehen. Hat sich an Deinem Alltag etwas verändert? „Ich gehe ganz normal zur Schule“: Nö. Ich gehe ganz normal in die Schule. Es sei denn, Corona lässt es nicht zu. Ich hoffe, dass Corona bald weggeht und wir wieder unsere Familie und unsere Freunde treffen können. Ich komme mit dem Homeschooling ganz gut klar, aber es ist schon nervig. Man kann nicht ins Kino und auf keine Promotiontour gehen. Aber das ist für mich okay. Ich kann mir aber vorstellen, dass es viele Menschen sehr schnell und krass depressiv machen kann, weil man bis jetzt keinen Ausweg weiß. Ich hoffe, dass das bald aufhören wird, wenn wir uns an die Regeln halten. Gibt es Traumpartner, mit denen Du gern zusammenarbeiten würdest? Ja. Lady Gaga. Oder Lily Tomlin und Jane Fonda aus der Serie „Grace and Frankie“. Die möchte ich sooo unglaublich gern mal treffen. Sie sind so lustig! Dass Frauen in diesem Alter noch eine so – sorry – geile Serie machen, finde ich unglaublich. Sie sind stark und vermitteln Werte, gerade was das Leben älterer Menschen betrifft. Sind manche Schulkameraden neidisch auf das, was Du erlebst? (lacht) Wenn ich das jetzt sagen würde, wäre es natürlich sehr blöd, wenn ich dann zurück in die Schule komme. Aber tatsächlich erlebe ich wenig Neid. Generell würde ich auch nie darüber sprechen. Meine Schulkameraden sind neugierig und fragen viel. Und ich beantworte diese Fragen sehr gerne. Hast Du schon neue Angebote aus Amerika und könntest Du Dir vorstellen, irgendwann dort zu leben? Irgendwann ja. Aber mein ganzes Leben, mein Pferd und meine Schule sind ja hier. Über neue Projekte kann ich nichts sagen. Aber ich kann versprechen, dass es neue Filme geben wird und wir in Kontakt zu Filmproduzenten sind. Von André Wesche