50 Jahre Bach-Chor Lübeck: musikalische Sternstunden

Ein halbes Jahrhundert schon ist der Bach-Chor Teil des musikalischen Lebens in Lübeck. „In diesen 50 Jahren gab es eine ungeheure Fülle von musikalischen Sternstunden“, sagt Eckhard Bürger, der seit 2008 als Kirchenmusiker an der Aegidienkirche tätig ist. „Unter meinem Vorgänger Klaus Meyers hat sich eine Vielfalt und Originalität in den Programmen entwickelt, die beispielhaft war. Diese Tradition bemühe ich mich fortzusetzen.“ Vergessene Musik neu entdeckt: In der Aegidienkirche gab es in der Tat immer wieder zu Unrecht vergessene Musik zu entdecken, von der Renaissance bis in die Gegenwart. So erklang zum Beispiel ein Requiem von Franz von Suppé, das wohl kaum jemand im Publikum jemals zuvor gehört hatte. Suppé kannte man vor allem durch seine Operetten „Leichte Kavallerie“, „Die schöne Galathée“ und „Boccaccio“. Der Komponist schuf das Requiem 1845 zum Andenken an Franz Pokorny, dem Direktor des Theaters an der Wien – aufgeführt wurde es dann nur noch sehr selten. Eine andere „Spezialität“ des Bach-Chors unter Klaus Meyers wurden dann auch szenische Aufführungen großer Oratorien. Unter anderem wurden aus Händels „Saul“ (2006) und Johann Sebastian Bachs „Matthäuspassion“ (1995) opernhafte Erlebnisse im Kirchenraum. In St. Petri wurde vom Bach-Chor 1992 Walter Krafts „Lübecker Totentanz“ szenisch aufgeführt – auch das ein bleibendes Ereignis. Mehr als 250 Chorkonzerte in 50 Jahren: „Insgesamt waren es in den vergangenen 50 Jahren wohl mehr als 140 große Oratorienkonzerte des Bach-Chors“, sagt Eckhard Bürger. „Nimmt man die großen Kantatengottesdienste und die Konzerte auf Reisen hinzu, dann waren es über 250 Aufführungen.“ Bürger hat in seiner Amtszeit auch immer wieder Kompositionen jenseits des kirchenmusikalischen Mainstreams ins Programm genommen, so Werke von Francis Poulenc, Nigel Westlake und die Tangomesse von Luis Bacalov. „Der Umgang mit solcher Musik belebt den Chor“, sagt Bürger weiter. „Musik und Chorgesang müssen immer wieder Spaß machen.“ Ein Chor ohne Nachwuchssorgen: Die musikalische Jugendarbeit am Aegidien ist ebenfalls beispielhaft. Es gibt seit vielen Jahren Kinder- und Jugendchöre, insgesamt sind es mehr als 100 Kinder und Jugendliche, die sich musikalisch an der Kirche betätigen. „Wir haben erstaunlicherweise keine Nachwuchsprobleme“, sagt Bürger. „Viele Kinder rücken aus den Familien unserer Chorsänger nach, so schließen sich dann die Kreise. Auch im Bach-Chor haben wir sogar während der Corona-Pandemie erfreulichen Zuwachs verzeichnen können, zehn junge Leute sind im vergangenen Sommer in den Chor eingetreten.“ Landesmusikräte fordern: Bei Lockerungen Chorproben wieder zulassen Lübeck singt im Lockdown – und wartet auf bessere Zeiten Shanty-Trend auf TikTok: So klingen Popsongs als Seemannslieder Dazu gehört Justine Polle (22), die gemeinsam mit ihrem Freund Mitglied im Bach-Chor geworden ist. „Ich studiere hier im dritten Semester Medizin“, sagt Justine Polle, „davor habe ich in Berlin zwei Jahre lang Kirchenmusik studiert. Musik ist ein wichtiger Teil meines Lebens.“ Im vergangenen Sommer hat Justine Polle an einer Probe des Bach-Chors teilgenommen und ist dabei geblieben. Gereizt an diesem Chor hat sie vor allem die Gestaltung der Programme: „Es ist reizvoll, nicht nur H-Moll-Messe oder Matthäuspassion zu singen, und diese Möglichkeit gibt es hier im Bach-Chor.“ Wunderbare Musik, unvergessliche Erlebnisse: Seit 1973 singt Christa Ernst (86) im Bach-Chor. „Mein Mann und ich sind damals aus Hannover nach Lübeck gekommen, dort haben wir im Hochschulchor gesungen. Mein Mann ging dann einmal zu einem Konzert des Bach-Chors, kam nach Hause und sagte zu mir: ,Ich glaube, ich habe unseren neuen Chor gefunden.‘ So sind wir zum Bach-Chor gekommen.“ Damals war Heribert Breuer noch Kirchenmusiker an St. Aegidien, ihm folgte 1974 Klaus Meyers. Dessen Programmgestaltung war ungewöhnlich. Er sagte: „Ich mache doch keine Remakes, das können die Kollegen machen“, erinnert sich Christa Ernst. „Wir haben durch diese Einstellung unseres Chorleiters wunderbare Musik kennengelernt. Dazu kommen die schönen Chor-Reisen, auch die waren unvergessliche Erlebnisse.“ Ein Jubiläum, bislang noch ohne Konzert: Die Corona-Epidemie verhinderte bislang die Organisation eines großen Jubiläumskonzertes. Eckhard Bürger hofft, dass Anfang September die Infektions-Lage es zulässt, ein solches Konzert zu veranstalten: „Wir haben im Sinn, gemeinsam mit dem Dom-Chor, der Kantorei St. Jakobi, dem Oberstufenchor des Johanneums und der Camerata St. Marien auf der Freilichtbühne die ,Carmina Burana‘ von Carl Orff aufzuführen“, sagt Bürger. „Im Moment können wir nur online proben, das erschwert die Vorbereitung immens. Wenn wir aber wieder normal proben können, nehmen wir die Matthäuspassion wieder auf, die wir im vergangenen Jahr ja nicht bringen konnten. Und unsere geplante Polen-Reise mit den Stationen Breslau und Lodz steht auch noch in den Sternen.“ Von Jürgen Feldhoff