Anna Kimmel: Schäferin auf Abruf

Anna Kimmel ist zurück in Lübeck. Eine Pause nach drei Wochen Schafe hüten in der Eifel. Rechtzeitig zu Ostern war sie zurück, durchatmen, Familienzeit genießen mit den Kindern. Groß sind sie schon, der Sohn gerade 18 geworden, die Tochter 15. Und das ist gut so, denn wenn Anna Kimmel arbeitet, ist sie als Aushilfsschäferin oft weit entfernt von Zuhause. Schafe brauchen Vertrauen: Während die Corona-Pandemie Deutschland erfasste und das Virus sich auch in Schleswig-Holstein ausbreitete, war die Schäferin in einer anderen Welt unterwegs: draußen auf den Wiesen und sanft schwingenden Hügeln der Eifel mit ihren beiden Hütehunden Ylva und Lillebror und der Herde eines Schäfers, der als Bundesvorsitzender der Berufsschäfer in Deutschland oft unterwegs ist. In diesen Zeiten hütet die Aushilfsschäferin Anna Kimmel seine Tiere. Die Schafe sind inzwischen mit ihr vertraut, aber dieses Vertrauen müsse sie sich mit jeder neuen Herde erarbeiten, sagt sie. Lillebror und Ylva haben die Herde im Griff: „Schafe haben eine enge Bindung zu ihrem Schäfer. Sie möchten sich auf ihn verlassen können, dass er sie zu neuen Weidegründen führt, wo ihnen das Futter schmeckt“, erklärt die 44-Jährige. „Als Aushilfsschäferin muss ich erst einmal darum ringen, dass sie mir folgen, aber dafür habe ich meine Hunde, dass sie ihnen das klar machen.“ Die Wanderschäferin hat ihre beiden altdeutschen Hütehunde selbst ausgebildet. „Ohne sie wäre das nicht zu machen.“ Wenn die Schafe der Meinung sind, dass das Futter auf der Wiese nebenan saftiger und grüner ist, sorgen Lillebror und Ylva dafür, dass sich die Ausreißer schnell wieder zur Herde gesellen. Ein aussterbender Beruf? Es ist ein Vollzeitjob, sieben Tage die Woche, und es ist und ein Nomadenleben. Sie hat es so gewollt, hat sich als Tochter eines Schäfers für dieses Leben und den aussterbenden Beruf entschieden, für Wind und Wetter, fürs Zäune setzen, Klauen schneiden, Lämmer aus den Dornen holen. Und auch dafür, keine eigene Schäferei zu betreiben, um nicht „stets und ständig“ für eine Herde verantwortlich zu sein und unter andauernden Existenzsorgen wirtschaften zu müssen. Als Aushilfsschäferin ist sie ausgebucht. Das, was sie braucht, hat sie immer dabei: warme Sachen, Regenumhang, Hut, Thermoskanne und Tasse, Klauenmesser und Notfallmedikamente für die Tiere und natürlich ihr wichtigstes Instrument, den Hütestock mit Fanghaken. „Er ist mein verlängerter Arm!“ „Narla. Die Wurzellose“ ist ein Fantasyroman von Anna Kimmel und ist als Band 1 der auf Fortsetzung angelegten Reihe „Wolfschroniken“ im Verlag Edition Weltenschreiber erschienen (14,90 €, ISBN-13-978-3-944879-81-9). Der Roman erzählt von einer jungen Frau ohne Erinnerung, die an einen Wolf geklammert aus dem Meer gerettet wird. Über ihre Arbeit berichtet Anna Kimmel in ihrem Blog: wanderschaeferin.blogspot.com/ Der Frühling ist ihre liebste Jahreszeit, und an perfekten Tagen, wenn die Lämmer voller Lebensfreude springen und sie sich im Einklang fühlt mit Tieren und Natur, dann weiß Anna Kimmel, warum sie ihren Beruf liebt und darauf hofft, dass er eine Zukunft hat. Dann gibt es die seltenen Momente der Muße, ihre Gedanken können schweifen und die Geschichte von Narla weiterspinnen, die Anna sich schon als Jugendliche ausgedacht hat. Anfang März ist sie als Buch erschienen. Das Schreiben ist ihre Passion neben der Schäferei. Seit 2016 schreibt sie in einem Blog über ihre Arbeit. „Ich habe so viel Resonanz darauf bekommen, das hat mir den Mut gegeben, mein Buch fertig zu schreiben, und jetzt halte ich es in der Hand“, sagt Anna Kimmel, und man kann den Jubel in ihrer Stimme hören. Bald geht es zurück in die Eifel. Die Wanderschäferin bricht mit einem mulmigen Gefühl auf, zurück aus einer veränderten Welt, in der die Menschen Masken tragen und Abstand halten, in die Natur. „Fahr ruhig Mama“, habe ihr Sohn gesagt, „dort bist du wenigstens sicher“. Von Regine Ley

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