„Brennendes Licht“ – Volker Weidermann über Anna Seghers

Auf der Spur von Anna Seghers begibt Volker Weidermann sich nach Mexiko und sucht dort die Orte ihres Exils. „Wo gehen wir heute hin?“ fragt Tochter Mascha, die ihn begleitet. Er nennt das Ziel. Sie fragt: „Und was ist da?“ Er antwortet: „Nichts“, und schreibt jetzt im neuen Buch: „So ist das mit den Spuren der Literatur in der Wirklichkeit. Sie sind flüchtig, unsichtbar, sie sind in uns, den Leserinnen und Lesern.“ Bezaubernde Bücher: In bezaubernden Büchern wie „Träumer: Als die Dichter die Macht übernahmen“ (2017) oder „Das Duell: Die Geschichte von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki“ (2019) hat der 1969 in Darmstadt geborene Volker Weidermann schon den großen Stimmen der Literatur nachgelauscht. Mit „Brennendes Licht: Anna Seghers in Mexiko“ widmet er sich jetzt erneut Künstlern im Exil, wie schon in „Ostende. 1936: Sommer der Freundschaft“ (2014). Volker Weidermann: Brennendes Licht: Anna Seghers in Mexiko. Aufbau Verlag, 186 Seiten, 18 Euro Weil die USA sie als Kommunistin nicht aufnehmen wollen, kommt Anna Seghers 1941 nach Mexiko und lebt mit Exilanten aus aller Welt in einer „Oase des kollektiven Optimismus“, wie Weidermann schreibt. Sie geben eine Zeitschrift heraus, gründen im Andenken an einen anderen berühmten Exilanten den „Heinrich-Heine-Club“ und feiern in Mexico City ihre Partys. Mit dem Eispickel erschlagen: Mit fiebernden Worten beschwört Volker Weidermann die Atmosphäre unter den kommunistischen Exilanten herauf, ihre schwelenden Machtkämpfe und das Misstrauen, durch ein falsches Wort von Stalins Schergen selbst in der Ferne zur Rechenschaft gezogen zu werden, so wie schon Leo Trotzki, der in Coyoacán mit einem Eispickel erschlagen wurde. An sich könnte Anna Seghers ein ruhiges Leben führen. Die amerikanische Übersetzung ihres Romanes „Das Siebte Kreuz“ und der Verkauf der Filmrechte haben ihr einen schönen Geldsegen beschert. Das Buch, das vorführt, wie Widerstand in einem totalitären Staat möglich ist, wird den US-Soldaten in einer verkürzten Ausgabe sogar mit an die Front gegeben. Auf der anderen Seite aber reicht es, den Roman im Regal stehen zu haben, um beschattet zu werden. Auch Anna Seghers wird überwacht. Die FBI-Akte über sie umfasst gut 1000 Seiten. Die Logik der Geheimdienste ist manchmal nur schwer zu verstehen. Lesen Sie auch Günter Grass und Paul Celan – eine schwierige Freundschaft Volker Weidermann beschreibt das alles fundiert, wie man es von ihm kennt. Wenn er aus den Werken von Seghers zitiert, merkt man ihm den Literaturwissenschaftler ein wenig an. Sonst aber weiß er gefällig zu erzählen und verleibt sich den Ton der Schriftstellerin ein ums andere Mal ein. Manchmal wird er dabei ein wenig zu pathetisch und suggestiv. Doch das stört nicht weiter. Dass das neue Buch nicht an die vorhergehenden heranreicht, liegt am Stoff. Er gibt einfach nicht mehr her. Sieht man von dem Unfall mal ab, den Anna Seghers auf der Paseo de la Reforma erleidet, als sie angefahren wird – ein Unfall, oder ein Anschlag? – so ereignet sich in den Jahren bis 1947 nicht viel. Nach dem Unfall bleibt ein Riss. Eine Verunsicherung. Mit dem Fluchtroman „Transit“ und der Erzählung „Ausflug der toten Mädchen“ schreibt sich Seghers nach dem Gedächtnisverlust zurück ins Leben, erholt sich in Cuernavaca, wo sie die Fresken von Diego Rivera und dessen Willen bewundert, Staatskunst zu produzieren und als Künstler doch frei zu bleiben. Puzzle aus Exilanten: Weil Volker Weidermann merkt, dass die Exiljahre von Seghers allein nicht genug hergeben, erzählt er von all den anderen Exilanten. Von Malcom Lowry, der in Mexiko „Unter dem Vulkan“ schreibt. Von der leidgeprüften Frida Kahlo, die sich an der Seite des Frauenhelden Diego Rivera behaupten muss. Und von der blonden Schauspielerin Hilde Krüger, die einst von Joseph Goebbels verehrt, später dann für den US-Geheimdienst spionierte und die mexikanischen Politiker betörte. So setzte sich aus vielen Teilen ein lebendes Mosaik der Exilgemeinschaft zusammen. Als der Krieg zu Ende ist, geht Anna Seghers ins „neue, kommunistische, freie Deutschland“. Die Familie, die sie in all den Jahren zusammengehalten hat, zerfällt. Die Kinder emigrieren nach Paris, der Mann bleibt mit der Geliebten in Mexiko. DDR-Jahre wären ergiebiger gewesen: Anna Seghers’ Jahre in der DDR, über die Volker Weidermann im Nachwort einen kurzen Ausblick gibt, hätten sicher mehr hergegeben. Sie sind allerdings auch schon sehr viel gründlicher ausgeleuchtet worden. Lesen Sie auch „Transit“: Irrlichternde Gestalten Eine Nacht im Bunker: Fragment von Anna Seghers „Das Literarische Quartett“: Volker Weidermann verlässt ZDF-Sendung Von Welf Grombacher