Das Bordell als Labor: Emma Beckers Hurenroman „La Maison“

Emma Becker (31) war schon als ganz junge Frau fasziniert von Prostituierten. Die Französin weiß, dass in der Geschichte ihres Landes Kurtisanen eine große Rolle spielten. Sie bestimmten die Politik mit. Angetan war sie vom la Maison Close in Paris, einem Bordell, das im 19. Jahrhundert eröffnet wurde und Heerscharen von Kunden anzog. „Es geht um Frauen und Lust“: Heute sind Freudenhäuser in Frankreich nicht mehr erlaubt, Prostitution wird illegal angeboten. Emma Becker – der Name ist ein Pseudonym – findet das heuchlerisch. „Es geht um Frauen und Frauensexualität und Lust, eigentlich nicht so sehr um Prostitution, sondern um Freiheit und wie wir als Frauen das empfinden“, erklärt sie freimütig in Zeiten von Genderdebatten und MeeToo. Emma Becker: „La Maison.“ Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Rowohlt, Hamburg, 384 Seiten, 22 Euro Weil ihre Großmutter Deutsche war, hat die Autorin als Kind die Sprache etwas gelernt, es zog sie nach Berlin. An der Danziger Straße im Bezirk Prenzlauer Berg fand sie ein La Maison und verdingte sich als Hure. Als gebürtige Französin war sie ein Star in dem Etablissement. Nun hat sie darüber einen Roman geschrieben. Becker sagt in Interviews, es sei aufregend gewesen, ein „Versuchskaninchen“ zu sein. Sie habe ihre zweieinhalb Jahre im Puff als „Experiment“ erlebt, als „Labor, in dem man die Beziehungen zwischen Männern und Frauen sehr genau beobachten konnte“. Wie sie riechen, worüber sie sprechen: Darin beschreibt sie Frauen, die als Sexarbeiterinnen ihren Lebensunterhalt verdienen, wie sie ihre Körper pflegen, sich fit halten, wie sie riechen, worüber sie sprechen, welche Farben sie für die Ausstattung der Zimmer bevorzugen und wie ihr Alltag verläuft. Es seien sinnliche Frauen, resümiert sie. Und sie erzählt sie als feine und kunstvolle Figuren, durchaus mit literarischem Anspruch. In Frankreich, wo der Roman im vergangenen Jahr erschien, hat er viel Aufmerksamkeit verursacht und ist für Literaturpreise nominiert. Lesen Sie auch Günter Grass und Paul Celan – eine schwierige Freundschaft Mit wie vielen Freiern sie pro Tag Sex hatte, wird nicht angegeben. Der Autorin ist die Freiheit wichtiger, wie sie betont. Sie habe „glückliche Prostituierte“ kennengelernt, allerdings auch unglückliche. Aber von den glücklichen Huren könne die Gesellschaft lernen, das Sexthema legerer anzugehen. Lust, Körperlichkeit und Orgasmen würden Menschen verändern – zum Guten, meint sie. „Die Männer sind manchmal viel respektvoller im Bordell als auf der Straße, als im normalen Leben“, heißt es. So werden die Freier von Emma Becker auch beschrieben: schüchtern, zurückhaltend, neugierig und fixiert auf Frauen, die ihnen für Geld Sex bieten. Die Beschreibungen der Begegnungen sind intensiv, teilweise poetisch und stets enthusiastisch. Sie sind aber nicht schwärmerisch, auch missratene Begegnungen werden geschildert. Wie ein Psychopath sie sich aussuchte, weil sie noch etwas kindlich wirkte und er von Minderjährigen träumte, um mit ihnen Sex zu haben. Der Mann nahm sie in die Klemme, ohrfeigte sie, zerrte sie an den Haaren, schlug und packte sie sogar an der Kehle. Danach entschuldigte er sich kleinlaut. Vater Unternehmer, Mutter Psychologin: Becker stammt aus bürgerlichen Verhältnissen, der Vater ist Unternehmer, die Mutter Psychologin. Sie absolvierte ein katholisches Gymnasium, interessierte sich schon früh für Erotik und war eine eifrige Leserin. Vor „La Maison“ hatte sie bereits zwei Romane veröffentlicht. Am neuen Buch schrieb sie vier Jahre, zwischendurch war sie Mutter geworden. Ihr geht es um das Milieu, um die Menschen, die es aufsuchen. Ihre Porträts von ganz verschiedenen Freiern sind fast durchweg sehr einfühlsam, dazu mit einem eigenwilligen Humor vermischt. Sich selbst sah die Autorin im Bordell als Schauspielerin wie in einem Theaterstück. Ihren Roman nennt sie Autofiktion. Lesen Sie auch Selbstversuch als Prostituierte: “Wir wurden wie Rockstars begrüßt” Bordellbesitzerin: “Betrieb mit Sexpuppen hat mich finanziell gerettet” Kritiker Denis Scheck: Political Correctness hat in Literatur nichts verloren Von Roland Mischke