"Die Kinder hören Pink Floyd" - ein wunderbarer Roman von Alexander Gorkow

Man weiß nicht genau, was es mit „Dark Side Of The Moon“ von Pink Floyd auf sich hat. Es gibt verschiedene Theorien. „Es war Wahnsinn, um es kurz zu sagen“, meinte David Gilmour, der Gitarrist. „Das Leben ist kein Versuch“, das sei die zentrale Botschaft, sagte Roger Waters, der Bassist. Es gehe um „Geburt und Tod und alles, was dazwischenliegt“, sagte Clare Torry, die auf dem Album selbst um ihr Leben singt. Wahnsinn, Leben, Tod, alles dazwischen. Das ist ein großes Thema. Es geschehen jedenfalls ungeheure Dinge da draußen, und der junge Held in Alexander Gorkows wunderbarem Buch sieht sich das alles mit großen Augen an, auf geheime Art geleitet von den ernsten Herren von Pink Floyd. Es sind die Siebzigerjahre in der Bundesrepublik. Es gibt Rainer Barzel, die Mutter trinkt Campari, es wird Dunhill geraucht, als gäbe es kein Morgen mehr. Bei Horstbroichs im Kino läuft fast immer der gleiche Film, und im Fernsehen verliest Gerhard Klarner in den „heute“-Nachrichten die Wahrheit. Alexander Gorkow: „Die Kinder hören Pink Floyd“, Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 20 Euro Er stottert manchmal, der kleine Erzähler. Und in der Nacht geht er durch unruhige Träume, denn da sind Monster unter seinem Bett: Heino, der Nebelmann mit der dunklen Brille und dem blonden Gefieder auf dem Kopf, der mit dem Impresario Dieter Thomas Heck gemeinsame Sache macht. Tagsüber lebt er im Keller beim Dampfkochtopf, also nicht wie Frank Zappas Mothers of Invention, die Rabenartigen, die in der Garage das Motoröl vom Boden lecken. Und als in der Küche der Dampfkochtopf mit dem Quittengelee detoniert, bedeutet das im Herbst 1976 das Ende der Einbauküche Courage. Hubi sollte man erwähnen, Hubertus Irenäus Wendtland, ein ausgewiesener Demis-Roussos-Fachmann, der in der zweiten Klasse neu in die Schule kommt und bedenkenswerte Sätze sagt wie: „Wehe dir, leibliches Kind!“ Leviathan taucht nach Goldbarren, die seine Mutter in den Pool wirft. Herr Kothen führt ein entfremdetes Leben, weil er ein Ölporträt von Peter Alexander aus dem Kaufhof an der Wand hängen hat. Und dann ist da die Schwester des namenlosen Erzählers, die in Pink Floyd die Erlöser sieht vom Bösen und vom Establishment, was für sie dasselbe ist. Der Herzschlag aber, mit dem „Dark Side Of The Moon“ beginnt und endet, der ist so ruhig und gleichmäßig wie es ihre defekten Herzklappen niemals schaffen werden. Lesen Sie auch Nick Mason in der Laeiszhalle Roger Waters wie zu besten Pink Floyd-Zeiten: Was für eine Wucht Er spielte die Traumgitarre von Pink Floyd: David Gilmour wird 75 Alexander Gorkow, Kulturchef der „Süddeutschen Zeitung“ und Buchautor, lässt den Erzähler durch diese Welt laufen wie einen Simplicissimus. Er lernt, er staunt, er kassiert Prügel, er wehrt sich, er zweifelt im Religionsunterricht an der Geburt Evas aus der Rippe Adams, Hubi sagt: „Wehe dir, leibliches Kind!“, da holt auch schon der Pfarrer aus, und der Vater zahlt es dem Pfarrer heim, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Es stehen Sätze von erhabener Absurdität in diesem Roman wie der große, schwarze Monolith in Stanley Kubricks „Weltraum“-Film. Manchmal hat Loriot mitgeschrieben, manchmal der Bundesgeneralanzeiger, manchmal Dittsche, der große Mythologe aus Ingos Hamburger Imbiss. Man lächelt leise, das auch, aber oft genug lacht man einfach laut los. Und das alles in Meerbusch-Büderich. Das muss man sich mal vorstellen. Von Peter Intelmann