„Die Welt auf dem Teller“ – Hommage von Doris Dörrie an das Essen

Auf ein Frühstück verzichtet Doris Dörrie (65) häufig, nicht wegen Intervall-Fastens, sondern weil sie sich zu Mittag hin eine Phó gönnt, eine warme vietnamesische Nudelsuppe. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Essen. Schon als Studentin, hat sie erzählt, habe sie die Studie von Claude Levi-Strauss „Das Rohe und das Gekochte“ fasziniert. Der berühmte Ethnologe habe in der Küche einen Mikrokosmos gesehen für die Entwicklung einer Zivilisation. Wer bewusst kocht, nimmt von der Erde, was sie ihm bietet. „Die Welt auf dem Teller“ ist ein Buch mit Gedanken, Erinnerungen und Assoziationen, zugleich ein Blick ins Private der Autorin. Es geht um Genuss und Wertigkeit, Dörrie sieht das Essen als kulturelle Praxis. Dass sie eine Dichterin ist, zeigt sie in Vergleichen wie „Mit einer Himbeere über die Wange zu streichen fühlt sich an wie ein samtenes Pferdemaul“. Im Gegensatz zu anderen Frauen, denen das Thema Essen heikel ist, gibt die Autorin umstandslos zu, dass sie „wahnsinnig gern esse“. Doris Dörrie: „Die Welt auf dem Teller. Inspirationen aus der Küche.“ Diogenes, 208 Seiten, 22 Euro Ihr Buch hat die heutige Münchnerin ihrer Mutter in Hannover gewidmet, an deren süße Erbsensuppe mit Grießklößchen und ganz fein geschnittenem rohem Schinken erinnert sie sich bis heute. Wenn sie die betagte Mutter besucht, kommt das Gericht immer noch auf den Tisch. In puncto Essen habe sie die mütterliche Schlüsselposition in der Familie erkannt. Im Buch verrät Dörrie im Kapitel „Knust und Scherzl“ auch, dass sie eine Schwäche für das Endstück am Brot hat. Schon in Kindertagen buhlte sie um den Knust, geht sie zu langen Veranstaltungen, hat sie in ihrer Handtasche ein bisschen trockenes Brot und nagt bisweilen daran. Am liebsten ist ihr frisches Gersterbrot, das es in der Nahrungsindustrie allerdings kaum noch gibt. Im „Spiegel“ hat Doris Dörrie verkündet: „Essen verwurzelt uns in der Welt.“ Erinnerungen an Speisen und das Essen an sich weckt bei allen Menschen „starke Emotionen“ aus. Das erscheint ihr enorm wichtig, denn wenn sich schon aufgrund der Pandemie und sozialer Verwerfungen das Gefühl auftaucht, die Kontrolle zu verlieren – bei der Essenszubereitung behalten wir die Kontrolle in jedem Fall. Im Lockdown, glaubt die Autorin, habe sich das Kontrollgefühl verstärkt. Inzwischen bauen Menschen Kräuter auf dem Balkon an oder backen Brot. Das sei ein regelrechter Trend von „Sauerteigfanatikern“. Wer Hefe, Mehl, Wasser und Salz habe, könne ein Brot herstellen. „Das ist magisch“, meint Dörrie. Die Vielgereiste hat zu ihrem Thema viel gelernt in anderen Ländern. In Amerika lernte sie den Koch Edward Braun kennen, der auch ein Zen-Priester ist und sich bemüht, durch das Kochen mit Gästen „ein neues Gefühl“ zu vermitteln. Wer zum ersten Mal einen Teig knetet, empfinde pures Glück. Kochen ist für Dörrie keine Stilisierung, sondern eine Transformation. Da werden Lebensmittel kombiniert, es wird gekocht und gegart, jedes Ergebnis dieser Mühen sei eine Verwandlung von etwas Neuem. Durch das gemeinsame Essen entsteht eine tiefe Verbindung von Menschen. Kalorienfasten, Völlerei und Heilfasten gefällt der Hobbyköchin nicht. Schweinebraten ohne Messer und Gabel: Sie selbst mag am liebsten Pasta, schon als kleines Kind wollte sie „Nudeln mit ohne gar nichts“. Von Freunden wird sie am meisten gelobt für ihren koreanischen Schweinebraten mit vielen Gewürzen, den man ohne Messer und Gabel isst. Man verzehrt den Braten aus der Hand, eingewickelt in ein Salatblatt. Das Gericht heißt Momofuku Bo Ssam, da ist der Name schon eine Verheißung. Doris Dörrie hält sich nicht für eine großartige Köchin, nicht mal für eine kulinarische Expertin. Aber sie will das Essen zum kulturellen Akt erheben. Lesen Sie auch „Kirschblüten & Dämonen“: Geister der Vergangenheit Doris Dörrie: Blick in die Abgründe einer Familie Schwarzweiß wie das Leben Von Roland Mischke