Die neue Lust am Gesellschaftsspiel: In der Pandemie gewinnt die Spielebranche

Natürlich wollen wir gewinnen, da soll mal keiner etwas anderes erzählen. Das macht schließlich den Reiz des Spiels aus: Wer spielt seine Karten am besten aus? Wer entwickelt die beste Strategie um, Häuser, Reiche, Vermögen anzuhäufen? Welches Bündnis erweist sich als erfolgreich? Und das Gute dabei: Wir spielen um des Spielens willen. Es geht um nichts oder höchstens darum, in der Niederlage nicht die Nerven zu verlieren. „Pandemic“ – das Spiel zur Lage Kaum ein Spiel passt da so gut in die aktuelle Situation wie „Pandemic“. Der amerikanische Spieleautor Matt Leacock hat das Spiel entwickelt, in dem es darum geht, vier tödliche Seuchen zu bekämpfen, die in der Welt ausgebrochen sind. Dabei müssen die Spieler, in den Rollen von Experten – Ärzte, Forscher, Wissenschaftler, Krisenmanager – zusammenarbeiten, um Heilmittel zu entwickeln, Quarantäne zu verordnen, die Infektionsraten zu senken – und nicht die Nerven zu verlieren, wenn sich das Virus trotz aller Bemühungen weiter ausbreitet. Das Spiel ist in Deutschland vor acht Jahren auf den Markt gekommen und hat die Corona-Pandemie praktisch vorweggenommen; inzwischen gibt es mehrere Erweiterungen und seit 2016 mit „Pandemic Legacy“ eine ganze Spielereihe mit unterschiedlichen Szenarien. Auch wenn das Spielen an sich völlig zweckfrei ist, so gibt es doch schon Kindern die Gelegenheit, ihre motorischen und geistigen Fähigkeiten zu schulen, das strategische und logische Denken zu entwickeln und im gemeinsamen Spiel zu kooperieren. Ein bisschen spielerische Nachhilfe in der Bewältigung der Pandemie könnte da auch unter Erwachsenen ganz zuträglich sein und dabei helfen, das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel im Lockdown zu bewältigen. Und dabei mit Kindern, Eltern und Großeltern auch noch Spaß zu haben, wer immer dabei auch gewinnen mag. LN-Vorlesen im Advent: Sehen Sie hier alle Geschichten und Videos! So können Sie Kulturprojekte in Lübeck unterstützen Lübecker Wunschkonzert: So kommt Beethoven zu Ihnen nach Hause Einen sicheren Krisengewinner gibt es jedenfalls schon einmal: Die Spielebranche profitiert von der Corona-Pandemie. Die Umsätze von Gesellschaftsspielen stiegen nach Angaben des Verbandes der Spieleverlage im bisherigen Jahresverlauf um 21 Prozent. Die Branche 2020 wird voraussichtlich einen Rekordumsatz von mehr als 650 Millionen Euro erwirtschaften. 2019 waren es 594 Millionen Euro Umsatz. „Ausgleichssport für die Seele“: Die Deutschen entdecken die Lust am Spiel wieder, und zwar am analogen Spielspaß. Das ist den sogenannten Ludologen zufolge, den Experten der Spielwissenschaft, auch nicht verwunderlich. Das Spielen ist zum einen Zeitvertreib und Flucht aus der Wirklichkeit, der momentan schwer zu entkommen ist – selbst im Urlaub ist bleibt Coronavirus und die damit verbundenen Einschränkungen präsent. Zum anderen macht es den Spieler wieder zum Herr der Lage: Wer spielt, kann Strategien entwickeln, Entscheidungen treffen, den Spielverlauf beeinflussen. Er kann handeln statt aushalten und wird zum Akteur in der Krise. Das Spielen ist dem Menschen mehr oder weniger in die Wiege gelegt. Kinder erwerben im Spiel Kompetenzen fürs Leben. Das Spiel sei „eines der ältesten Kulturgüter, älter als Lesen und Schreiben“, erklärte der langjährige, inzwischen verstorbene Programmleiter für Gesellschaftsspiele beim größten deutschen Spieleverlag Ravensburger, Erwin Glonnegger. Er sah im Spiel einen „Ausgleichssport für die Seele“. Gespielt wird seit Jahrtausenden: Eines der ältesten Brettspiele fanden Forscher 1922 in der Grabkammer des ägyptischen Pharaos Tutenchamun: Das Laufspiel Senet, das die Überfahrt vom Diesseits ins Jenseits symbolisiert, war bereits vor fast 3000 Jahren bekannt. Seitdem ist die Menge der weltweit existierenden Gesellschaftsspiele ins Unüberschaubare angewachsen, und jedes Jahr kommen allein in Deutschland laut Spieleforscher Prof. Jens Junge 1500 neue Spiele auf den Markt. Solange der Lockdown andauert gibt es noch viele Winterabende, um einige davon auszuprobieren. Ausgesprochen beliebt sind seit einigen Jahren Exit-Room- und Escape-Games. Sie haben es aus dem virtuellen Spieleparadies der PC-Games und Spielekonsolen aufs analoge Spielbrett geschafft. Die Spiele, bei denen eine Gruppe von Spielern anhand von Hinweisen und zu lösenden Rätseln aus einem verschlossenen Raum entkommen muss, setzt auf Kooperation. Gewinnen können dabei allerdings nur alle – oder keiner. Von Regine Ley