Hamburg: Wenn aus Plakaten Kunst wird

Wenn man die traurigen Reste der Plakate zur Bürgerschaftswahl im Hamburger Stadtbild anschaut, kommt man nicht auf die Idee, dass es sich um Kunst handelt. Doch genau das ist die These der neuen Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG): Plakate sind Kunst. Zumindest diejenigen, die das Haus seit seiner Gründung 1874 gesammelt hat. Und das sind viele Tausend. 400 sind nun in der Schau „Das Plakat – 200 Jahre Kunst und Geschichte“ zu sehen. Jürgen Döring, Leiter der Sammlung Grafik & Plakat des MKG, verweist auf Museumsgründer Justus Brinckmann (1843-1915), der bereits 1896 mit einer großen Ausstellung Plakate unter das Kunst-Verdikt gestellt hatte. Vor allem, so schrieb Brinckmann, „die erstaunlichen Riesen-Placate aus dem gelobten Land der Reclame“, also den USA. Klassenkampf am Hochofen: Ein solches Billboard begrüßt nun die Besucher. Und es lässt keinen Zweifel daran, dass es sich um eine künstlerische Arbeit handelt. Die drei mal sechs Meter große Druckgrafik von 1890 zeigt eine Klassenkampfszene an einem Hochofen, die Waffen der Beteiligten sind Hammer und Spaten. Zum einen wirbt das Plakat für das Theaterstück „Master and Man“ von George R. Sims, zum anderen ist es in seiner Dramatik ein eigenständiges Werk. Als Urheber ist allerdings kein Künstler angegeben, sondern die Druckerei. Kein Wunder: Die Herstellung einer solch großen, vielfarbigen Lithografie benötigte 90 Druckvorgänge, darin bestand die eigentliche künstlerische Leistung. Die Ausstellung „Das Plakat – 200 Jahre Kunst und Geschichte“ ist bis zum 20. September im Museum für Kunst und Gewerbe am Hamburger Hauptbahnhof zu sehen. Erst im Mai wird dazu ein Katalog erscheinen. Besucher können an einer DIY-Station (steht für „Do It Yourself“), eingerichtet vom Hamburger Grafikbüro Klass, selbst Plakate gestalten. Zudem finden regelmäßig Workshops statt, der nächste am D0nnerstag, 19. März, um 19 Uhr; Kosten: 5 Euro plus Museumseintritt, Anmeldung unter: vermittlung@mkg-hamburg.deBotschaft guter Plakate geht über die bloße Werbung hinaus: Plakate vermitteln Zeitgeist. Jugendstilmaler wurden durch Plakate bekannt: Namhafte Künstler machten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert das Bildplakat schnell populär. Besonders in Paris, dort brach rund um die Weltausstellung 1889 die „Affichomanie“ aus. Erstmals wurden Plakate, die vor allem für Kulturereignisse warben, auch gesammelt – sie machten Jugendstil-Maler wie Henri de Toulouse-Lautrec oder Jules Chéret bekannt und ihre Umtriebe im Nachtleben berüchtigt. Einer überstrahlte alle: der Tscheche Alfons Mucha. Seine Anschläge gelten als Höhepunkt des Art Nouveau, wie der Jugendstil in Frankreich heißt. Er feierte auf schmalen Formaten die Auftritte der Schauspielerin Sarah Bernhardt im Theatre de la Renaissance. Diese „Affiches“ seien so begehrt gewesen, dass die meisten gestohlen worden seien, weiß Kurator Döring, der in seiner Ausstellung eine Reihe der Werke zeigt. Plakate wurden zu Postern: Einen ähnlichen Plakat-Boom gab es gab es dann wieder im Deutschland der Bauhaus-Zeit, im Russland der aufblühenden Kino-Ära, auch in der NS-Zeit, und dann wieder mit der Jugendprotestkultur der 1960er Jahre. Für die grellen Entwürfe der Pop Art war das Plakat, das nun auch in Deutschland „Poster“ hieß, das einschlägige Medium. Neben politischen Anliegen transportierten die Blätter vor allem Werbung für Popmusik, einige, wie der auf dem Klo sitzende Frank Zappa, wurden Ikonen. Sie wurden nicht an Wände oder auf Litfaßsäulen geklebt, sondern in Poster-Shops verkauft. Das Kunstplakat hat sich somit von seiner Botschaft emanzipiert. Mehr als bloße Werbung: Jürgen Döring zitiert dazu den polnische Plakatkünstler Jan Lenica, er sagte 1966: „Das Plakat hat zweifellos eine Funktion, es hat eine Aufgabe, und dieser Pflicht muss es gerecht werden. Aber seine Bedeutung liegt nicht in dem, was es zu vermitteln hat, sondern darin, was es selbst zu sagen hat.“ Die Botschaft guter Plakate gehe über die bloße Werbung hinaus, folgert Döring, sie enthielten Aussagen über Geschichte, Mode oder Geschmack. „Dieser ‚Mehrwert‘ ist es, der aus einem Plakat ein Kunstwerk machen kann.“ Die aktuellen politischen Plakate am Wegesrand vermitteln diesen Mehrwert leider nur selten. Alle Nachrichten zur Kultur im Norden lesen Sie hier Von Michael Berger

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