Harfenist Xavier de Maistre beim SHMF: Ich bin zu allem bereit, um wieder auftreten zu können“

Selten steht die Harfe als Soloinstrument im Mittelpunkt von Konzerten. Geändert hat das vor allem der französische Harfenist Xavier de Maistre. Vier Mal war er bereits beim Schleswig-Holstein Musik Festival. Eigentlich sollte er in diesem Sommer 18 Konzerte gestalten – nun sind es viel weniger, und meist ohne Publikum. Dennoch freut er sich unbändig. Sie saßen während der Corona-Pandemie mit Ihrer Familie an Ihrem Wohnort Monaco fest. Wann sind Sie das letzte Mal aufgetreten? Mein letztes Konzert hat am 13. März stattgefunden. Und wo? In Australien, in Sidney. Dort gastierte ich beim Australian Brandenburg Orchestra mit meinem „Vivaldi’s Venice“-Programm. Sie hatten danach keinen öffentlichen Auftritt mehr? Nein. Alles wurde gestrichen. Bei Fußballspielern heißt es, sie müssten nach einer Pause erst wieder Spielpraxis bekommen. Wie ist das bei Ihnen, wenn jetzt beim SHMF wieder Höchstleistungen gefordert werden? Eine gewisse Aufregung ist da, weil die Routine fehlt nach der langen Zeit. Ich spüre ordentlich Druck, habe mich aber gewissenhaft vorbereitet. Die erste Zeit habe ich weniger geübt, aber dann beschäftigte ich mich mit neuen Projekten und habe jetzt auf dem Instrument wieder mein gewohntes Niveau. Andere namhafte Musiker wie der Pianist Igor Levit oder der Geiger Daniel Hope haben während des Lockdowns Online-Konzerte für sich entdeckt. Warum haben Sie das nicht versucht? Ich lebe davon, mit dem Publikum zu kommunizieren. Für mich ist Musik erst lebendig, wenn man gemeinsam Emotionen erlebt. Ich halte von diesen Online-Formaten deshalb nicht sonderlich viel. Ich gebe zu, sie können eine wertvolle Ergänzung zum Konzertbetrieb sein. Doch von zu Hause aus für anonyme Menschen zu spielen, ist höchstens suboptimal. Ich brauche die Zuhörer vor mir, nur vor einem Mikrofon oder vor einer Kamera zu spielen, ist für mich frustrierend. Beim SHMF können allerdings nur wenige Konzerte vor Publikum stattfinden. Das meiste wird aufgezeichnet und dann im Rundfunk, im Fernsehen oder über das Internet gesendet. Zumindest habe ich hier eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich mich auseinandersetzen kann. Und die Bedingungen bei der Aufzeichnung des Eröffnungsfestes mit Mitgliedern des NDR Elbphilharmonie Orchesters unter der Leitung von Alan Gilbert sind wie bei einem Livekonzert. Xavier de Maistre kam 1973 in der französischen Stadt Toulon an der Côte d’Azur zur Welt. Mit neun Jahren begann er mit dem Harfenspiel. 1995 wurde er Soloharfenist beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, 1999 bei den Wiener Philharmonikern. Seit 2010 ist er als Solist in aller Welt unterwegs, er hat aber auch eine Professur für Harfe an der Musikhochschule Hamburg, und er unterrichtet an der Juilliard School New York, der Toho-Universität Tokio und am Trinity College London. Die Zeitung „The Australian“ kündigte ihn vor einer Konzertreise nach Melbourne und Sidney zuletzt als „the sexy harpist“ an. Das Festival hat angekündigt, dass kurzfristig Open-Air-Konzerte anberaumt werden könnten? Wären Sie dazu bereit? Ich bin zu allem bereit, um wieder auftreten zu können. Ich ärgere mich zurzeit furchtbar darüber, dass der Kulturbetrieb so stiefmütterlich behandelt wird, dass uns so wenig erlaubt wird. Man darf im Flugzeug wieder eng nebeneinander sitzen, sich durch Kaufhäuser drängen. Aber die Konzertsäle müssen leer bleiben. Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich glaube fast, wir Künstler sind ein bisschen zu leise und zu brav. Oder es ist so, dass die Musik einfach nicht hoch eingeschätzt wird. Sie scheinen wirklich erbost zu sein. Ja, denn Musik und Kultur sind bedeutende Bestandteile unseres Lebens, was die Menschheit auch vom Tier unterscheidet. Die Staaten müssen sich endlich dafür etwas einfallen lassen. In Deutschland tobte eine Diskussion, ob Kultur „systemrelevant“ sei. Darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Wenn man nicht auftreten darf, ist man nicht systemrelevant. Die Relevanz hängt auch von der Lobby ab. Die Fluggesellschaften haben offenbar bessere Karten, auch die Discos und die Clubs, in Frankreich sogar die Kinos. Deren Vertreter gingen auf die Barrikaden und drohten, wenn sie nicht wieder öffnen dürften, gingen sie Pleite. Die ersten Pleiten gibt es aber im Musikbetrieb. Private Veranstalter können nicht mehr lange überleben. Es geht nicht nur um die Künstler, es geht um sehr viele Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. Ich sehe nicht ein, warum wir in einem Saal mit tausend Plätzen nicht einmal für hundert Zuhörer spielen dürfen. In Österreich und der Schweiz dürfen Konzerte mit bis zu 1000 Menschen wieder stattfinden. Eröffnungsfest: So., 5. Juli, 20 Uhr, auf NDR Kultur; 20.15 Uhr auf 3sat. Xavier de Maistre läutet mit den ehemaligen Porträtkünstlern Sol Gabetta, Martin Grubinger, Avi Avital, Sabine Meyer sowie mit Kristian Bezuidenhout und Mitgliedern des NDR Elbphilharmonie Orchesters unter der Leitung von Alan Gilbert den „Sommer der Möglichkeiten“ ein. Xavier de Maistre mit dem Mahler Chamber Orchestra: Mo, 6. Juli, 20 Uhr, live auf www.shmf.de; So., 26. Juli, 11 Uhr, auf NDR Kultur Wie könnte ein verantwortungsvoller Konzertbetrieb in Pandemie-Zeiten aussehen? Man könnte zum Beispiel ganz einfach zwei Konzerte für jeweils die Hälfte des Publikums hintereinander veranstalten. Sie haben diverse Lehrverpflichtungen, sind Professor an der Musikhochschule Hamburg. Sind Sie damit finanziell abgesichert? Für mich ist das Unterrichten ein wichtiger Bestandteil meines Musikerlebens. Ich möchte unbedingt weitergeben, was ich selbst gelernt habe. Aber das macht nur etwa ein Fünftel meines Einkommens aus. Mein eigentlicher Beruf ist es, Musik zu machen, auf der Bühne zu spielen. Wie war das mit dem Unterricht während des Lockdwons? Das funktionierte erstaunlich gut, das hätte ich am Anfang nicht gedacht. Die Studenten hatten plötzlich mehr Zeit zum Üben, das konnte man schnell feststellen. Sie schickten mir Videos, ich habe sie dann online korrigiert und Anregungen gegeben. Wir sind also alle vorangekommen. Dabei hat die digitale Welt Wunder bewirkt. Natürlich hoffen wir alle, dass wir im nächsten Semester wieder normal arbeiten dürfen. Sie sind der international bekannteste Harfenist, ein Star der Klassikszene. Dennoch müssen Sie immer erklären, warum Sie dieses Instrument spielen. Und dann noch, wie es funktioniert. Ein Pianist wird das nicht gefragt. Geht das nicht mit der Zeit auf die Nerven? Ich muss mich da oft wiederholen, das stimmt. Andererseits ist es ein schönes Gefühl, wenn man merkt, dass man Pionierarbeit leisten kann. Ich darf die Harfe als Soloinstrument präsentieren, dem Publikum ein neues Repertoire bieten. Ich bin der Meinung, dass ich das für alle Harfenisten tue. Und es gelingt mir meist, bei den Zuhörern das Interesse für Musik, die sie noch nicht kennen, zu wecken. Von Mozart gibt es gerade mal ein Konzert für Flöte und Harfe. Die populären Wiener Klassiker, neben Mozart Beethoven und Haydn, fallen für Sie aus ...... und die Romantiker auch. Erst im 20. Jahrhundert haben bedeutende Komponisten für die Harfe geschrieben. Deshalb spiele ich viele Bearbeitungen, von Klavier- oder Gitarrenwerken zum Beispiel. Und in letzter Zeit habe ich selbst einige Kompositionen in Auftrag gegeben. Ist es schwierig, dem Publikum diese Neue Musik zu vermitteln? Ja, das kann man sagen. Aber als Solist habe ich auch die Chance, in Kontakt mit dem Publikum zu kommen. Das ist einfacher, als wenn ein großes Orchester die Menschen mit ungewohnten Dingen konfrontiert. Als Solist kann man neue Klänge und neue Facetten des Instruments deutlich machen. Das funktioniert aber nur im Konzertsaal. Bei Rundfunkübertragungen oder in CD-Form ist das viel schwieriger. Neue Musik muss direkt erlebt werden. Wie ist das mit dem Instrument, wenn Sie reisen? Reist die 50 Kilogramm schwere Konzertharfe mit? Nein. Ich reise meistens nicht mit einer Harfe. Ich besitze mehrere Instrumente in verschiedenen Städten, eine zu Hause in Monaco, eine in Paris, eine in Deutschland. Meistens wird diejenige Harfe, die am nächsten ist, zum Konzertort gebracht. Wenn ich in Asien oder in Übersee spiele, dann werden mir Harfen gestellt. Von Michael Berger